EU-Datenschutzgrundverordnung und BDSG aktuell und vollständig kommentiert
Matthias Wiemers
Es ist für den deutschen Juristen nach wie vor etwas merkwürdig: Verordnungen der Europäischen Union treten kurz nach ihrer Verkündung in Kraft, gelten aber regelmäßig erst zwei Jahre später in allen Mitgliedstaaten.
Für die Rechtsverbindlichkeit kommt es letztlich allein auf die Geltung an. Der Rechtsunterworfene, der als regelmäßiger Nichtjurist diese feinsinnigen Unterscheidungen ohnehin nicht nachvollziehen kann, wartet regelmäßig auf den Tag des Inkrafttretens, bis er Aktivitäten entfaltet, die die Anwendung einer für ihn geltenden Verordnung ab dem Tag des Geltungsbeginn zu gewährleisten. Wohl bei keiner anderen Verordnung aus Brüssel war dies in den letzten Jahren in so extremer Weise der Fall wie jetzt bei der Datenschutz-Grundverordnung (EU) 2016/679, die auf einen Kommissionsentwurf von Anfang des Jahres 2014 und vorherige Entwürfe von Anfang 2012 zurückgeht und damit einen mittelumfänglichen zeitlichen Vorlauf in den Gesetzgebungsgremien der EU aufweist.
War die Vorauflage dieses in der mittlerweile fest etablierten Reihe der „roten Kommentare“ des Beck-Verlages (ohne dass dies eine offizielle Bezeichnung wäre)mit Stand März 2017 und über 1100 Seiten in der Mitte der vorstehend angesprochenen zweijährigen Übergangszeit erschienen, so hatte man damals nur den Referentenentwurf zum neuen BDSG berücksichtigen können. Inzwischen wurde das Gesetz verabschiedet und wird zeitgleicht mit dem Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung am 25. Mai Geltung erlangen. Die Bearbeitung scheint auf dem Stand von Ende 2017 zu sein, stammt doch das Vorwort vom vergangenen Dezember, und die Kommentierung der Grundverordnung hat innerhalb weniger Monate um gut 100 Seiten zugenommen, während die Bearbeitung des neuen Bundesdatenschutzgesetzes allein noch einmal deutlich über 300 Seiten umfasst. Allein dies schon kann als eine gewaltige Leistung bezeichnet werden. Die Herausgeber Kühling (Universität Regensburg) und Buchner (Universität Bremen) werden von 19 ausgewiesenen Experten aus Hochschule, Anwaltschaft und Datenschutzbehörden unterstützt.
Der Band beginnt mi einer ausführlichen Einführung durch die beiden Herausgeber, die am Ende dieses Textes auch auf das (neue) BDSG eingehen, das zur Ausfüllung von Öffnungsklauseln in der Verordnung, aber auch zugleich der Umsetzung einer ebenfalls neuen Datenschutz-Richtlinie für die Bereiche Justiz und Inneres dient. Zu recht weisen die Herausgeber darauf hin, dass sich die Blickrichtung des Rechtsanwenders mit den neuen Vorschriften wenden muss. Er muss nun zuerst in die EU-Verordnung schauen und erst danach ergänzend in das neue Gesetz – während früher der erste Blick in das Gesetz erfolgte (vgl. Einf., Rdnr. 128) In ihrem Fazit bringen sie die Hoffnung zum Ausdruck, dass es künftig noch zu einer weiteren Rechtsharmonisierung kommt und „die störenden Öffnungsklauseln reduziert werden“ (Rdnr. 137).
Die nicht weniger als 173 (!) Erwägungsgründe der Verordnung werden voranstellend kommentiert, danach aber gelegentlich in der Kommentierung herangezogen.
Jede Einzelkommentierung der Verordnung enthält zu Beginn eine Gliederung mit Angabe der entsprechenden Randnummern und ist durch einen Aufbau gekennzeichnet, die mit einem Überblick („Allgemeines“) beginnt und immer mit einem Gliederungspunkt endet, der die betreffende Vorschrift in Beziehung zum nationalen Recht setzt. Trotz des beachtlichen Umfangs des Kommentars sind die Autoren bestrebt, den eigentlichen Text knapp ausfallen zu lassen. Nachweise in Fußnoten und insbesondere die jeder Einzelkommentierung vorangestellten Literaturangaben lassen allerdings nichts zu wünschen übrig. Wesentlich knapper fallen hingegen die Kommentierungen des BDSG aus, wo auf eine Übersicht zumeist verzichtet wird und auch die Literatur – vielleicht einfach den Tatsachen des Neuen und nicht so Bedeutenden folgend – nur gelegentlich und knapp vorangestellt wird.
Alles in allem wird man sagen dürfen, dass dieser Kommentar, der im Markt so einen guten Antritt hingelegt hat, dringend gebraucht wird, um die in der Tat vielfach ausgebrochene Panik ob des bevorstehenden 25. Mai zu dämpfen. Denn schon die Verordnung wirft zahlreiche Fragen auf, die durch das BDSG selbstverständlich nicht gelöst werden können, sondern über die der Streit der Experten hoffentlich zu pragmatischen Lösungen führen wird, für die es eben auch Angebote in Kommentierungen bedarf. (Als Stichwort sei hier nur die Frage der Ausnahmen zum Verarbeitungsverzeichnis nach Art. 30 genannt – mit bedenkenswerter Gesamtwürdigung im Kommentar von Hartung, Rdnr. 39).
Auf zu den neuen Ufern des Datenschutzes!
Jürgen Kühling/ Benedikt Buchner (Hrsg.), DatenschutzGrundverordnung/BDSG. Kommentar, 2. Aufl. 2018, Verlag C. H. Beck, München, 1624 S., 179 Euro (ISBN 9783406719325)