In ihrem neuesten Buch rechnet die Journalistin Bettina Röhl mit den Linksterroristen der RAF und den Vertretern der „68-er Bewegung“ ab
Benedikt Vallendar
München/Hamburg – „Nützliche Idioten“, das waren in Augen Bettina Röhls die Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) für Organe der DDR-Staatssicherheit, an ihrer Spitze Stasi-Minister Erich Mielke und Oberst Walter Heinitz, seinerzeit zuständig für Ermittlungen und Observationen. Als Röhls Mutter Ulrike Meinhof im Sommer 1970 in Ostdeutschland Unterschlupf suchte, sagte Mielke zunächst „Nein“, bevor er die gesuchte Terroristin drei Tage später dann doch einreisen ließ, wohl auch, um den Klassenfeind im Westen ein wenig zu piesacken. Zwei Jahre später war der Spuk zunächst vorbei und die erste Generation der RAF hinter Schloss und Riegeln, indes die Gruppe erst 1998 ihre Selbstauflösung bekannt gab. Mehr als dreißig Morde, viele Verletzte und Schäden in Höhe mehrerer Hundert Millionen Euro gehen bis heute auf ihr Konto.
Auf mehr als 500 Seiten rechnet die studierte Historikerin Röhl mit den Taten ihrer Mutter, der RAF und der so genannten „Studentenbewegung“ ab. Ihr Credo: „Nie ging es West-Deutschland materiell besser als in den sechziger und siebziger Jahren“. Auf den Politklamauk an westdeutschen Universitäten vor und nach 1968 und die anschließende Genderdebatte hätte das Land gut und gerne verzichten können. Röhl widerspricht damit der weit verbreiteten These, die 68-er um Dutschke, Cohn-Bendit und Co hätten die Bundesrepublik „demokratischer“ gemacht. „Das Grundgesetz gab es schließlich schon vorher, und ein freies Land war die Bundesrepublik auch in den fünfziger und frühen sechziger Jahren“, so das Urteil der 1962 in Hamburg geborenen Autorin.
Röhls Fazit: Die 68-er waren nicht Motor, sondern sich selbst inszenierende Statisten einer im Wandel begriffenen Gesellschaft, denen es erfolgreich gelang, das Interesse der Medien zu erheischen und damit selbst gestrickte Mythen zu erzeugen.
Bettina Röhl „Die RAF hat euch lieb“. Die Bundesrepublik im Rausch von 68 – Eine Familie im Zentrum der Bewegung, Heyne Verlag, München 2018.
Seit langem lese ich, mit zunehmender Befremdung, die Stellungnahmen
– es gibt weitaus bessere Kompendien zur Geschichte der Studenten-
bewegung und zur Geschichte der RAF – der Bettina Röhl zur Geschichte
der 68er; von der Neuen Linken als geistiger und philosophischer Bewe-
gung im Geist der Aufklärung weiß sie wenig, ist sie v.a. von geringer
Urteilsfähigkeit geprägt. Von wenig Sachkenntnis getrübt.
Ich wurde in diesem Jahr 70 Jahre alt. Geboren am 1.2.1948 in Reichen-
bach im Vogtland, also noch in der SBZ geboren. Ich gehöre wie R.D.,
Bernd Rabehl – aber auch der älteren Generation der Genscher, Mischnick,
Gerhard Baum, v.a. Herbert Wehner – zu denen, die aus dem Osten stamm-
ten, und nach entsprechender Umprägung im Westen politisch wirksam
zumindest aktiv wurden. Zumal die hier Genannten wurden politisch, in erster
Linie Herbert Wehner und H.-D. Genscher, höchst wirksam.
Frau Röhl nimmt für sich in gewisser Weise „die Gnade der späten Geburt“
in Anspruch. Die Gnade der frühkindlichen politischen Amnesie.
Woher sie ihr vermeintliches Wissen, als Tochter von Ulrike Meinhof
und Klaus Rainer Röhl (K 2 R), bezieht weiß ich nicht. So dicht war ich
nie an der Hamburger Schickeria dran. Obwohl ich in HH studiert hatte,
13 Jahre in HH und um zu lebte und v.a. später in der Nordheide einer
Reihe von Topjournalisten aus SPIEGEL, STERN UND ZEIT kennenler-
nen durfte. Da fällt eine Menge an Hintergrundinformation ab.
„Die Zwillinge“ des Paars Meinhof Röhl tragen den Namen des Vaters,
sicher wurden sie vom Vater erzogen . KRR war eine der dubiosesten
politischen Figuren aus dem linken Spektrum der 60er/70er Jahre.
Mitglied, bis zu ihrem Verbot (1956), der marxistisch-leninistischen
von Ostberlin gesteuerten KPD. Herausgeber der KONKRET, deren
Chefredakteurin Ulrike Meinhof war. Längere Zeit galt U.M. als
eine der angesehensten linken Publizistinnen der alten Bundesrepu-
Blick. Warum so eine in höchstem Maße intelligente Frau in die
Gewaltbereitschaft, später in den Terrorismus abdriftete, das wäre
ein Thema, das hätte längst gründlich aufgearbeitet werden müssen.
Stattdessen gibt es immer wieder Stückwerk, jeder reitet da sein
Steckenpferd – zB der ewige Experte Stefan Aust, die Herren Koenen
und Kraushaar etc., auch Oskar Negt schrieb zur Geschichte der 68er
ein lesenswertes Buch.
Ich finde mich in dem, was Frau Röhl immer wieder zur Rolle der
Studentenbewegung ausbreitet, in keiner Weise wieder. Sie mischt
in der Regel ihre eigene, gewiss tragische, Familiengeschichte
mit dem übergeordneten Gesamtfeld der wenig erfolgreichen kurzen
Wirkungsgeschichte der Neuen Linken in der alten BRD. Sie suhlt
sich nicht selten im Hass auf ihre eigene Mutter. Zu einer differen-
zierten Sicht auf ihre Eltern hat sie es bis heute nicht gebraucht.
Da müssen andere aushelfen.
Wahrscheinlich hat Vater und Namensgeber Klaus-Rainer Röhl,
der inzwischen, wie Rabehl, ins äußere rechte Milieu abgedriftet
ist, das Bild von der Mutter beiden Töchtern geprägt. Auch der einstige Hamburger SDS-Ideologe Reinhold Oberlercher, an den ich üble Erinnerungen habe, marschierte nach Rechtsaußen. Heute steht auch der am äußersten rechten Rand des Spektrums. Nicht ganz so weit rechts ist der „einzige wirkliche Renegat der 68er“ (Habermas),
Günter Maschke, zu finden. Für primitiven Antimarxismus ist der
hochgebildete Maschke sich zu schade.
Bettina Röhl „rechnet ab“. Wie oft noch? Zumal so kenntnisarm.
Nebenbei: Es gibt sie nicht und gab sie nie — d i e 68er.
Spätestens nach dem Auseinanderbrechen des SDS 1969 ging
jeder seiner Wege. Bei den GRÜNEN sind viele dann gelandet,
und das waren nicht die Klügsten. In den 70ern hatten die einstigen
Maoisten sich in autoritären K-Gruppen (zB KBW) herumgetrieben.
Verlorene Zeit für die Demokratisierung der Bundesrepublik in den
Brandtschen Reformjahren. Viele Linke gingen zur SPD. Ab 1977
kehrten sie der Schmidtschen SPD wieder den Rücken. Eher bürger-
liche Linke gehörten auch zur Gründergeneration der Ökopartei.
Zur Friedensbewegung. In die Grünen sickerten nun die Links-
Sektierer aus KBW und KB (bekanntester Protagonist aus dem
KB, der Bremer Jürgen Trittin)in die Ökopartei ein. Dazu kamen
Spontis aus den großen Unistandorten.
Als er 1979/80 nach Deutschland (nach Bremen) zurückkehren
wollte, warnte RUDI DUTSCHKE vor der Aufnahme der einstigen
universitären autoritären LINKSCHAOTEN in die Grünen. VERGEBLICH. R.D.
starb an Heiligabend 1989 an den Spätfolgen des Attentats vom
Gründonnerstag 1968. Aus der ganzen Bundesrepublik reisten
viele Tausend Anhänger des „Großen Aufbruchs“ der zweiten
Hälfte der 60er Jahre zur Beerdigung auf dem Waldfriedhof
in Berlin-Dahlem an. Helmut Gollwitzer hielt die Predigt. Wir
standen vor der viel zu kleinen Kapelle auf den steinernen
Rändern der anderen Gräber. Rudi Dutschke wurde nur 39
Jahre alt. Was hätte er noch für dieses immer wieder ge-
fährdete Land tun können? Fast ein Jahr später wurde in
New York John Lennon ermordet. Warum ausgerechnet
er?
Aber was weiß die gut betucht aufgewachsene Bettina
Röhl schon davon?