Konfuzius und ich

Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen

Liebes Tagebuch,

ich war jung, grad erst 16 Jahre, als ich im Herbst 1988 zum ersten Mal in meinem Leben Konfuzius begegnet bin. Dies geschah in einem kleinen mecklenburgischen Kaff namens Bad Doberan an einem heruntergekommenen Bahnhofskiosk, also an einem Ort, wo man es vielleicht nicht unbedingt erwartet hätte. Dort erblickte ich beim Umsteigen in den Zug nach Kühlungsborn neben den üblichen langweiligen DDR-Zeitungen in der Auslage ein kleines schwarzes Reclam-Büchlein mit dem vielversprechenden Titel „Gespräche des Konfuzius“ zum Preis von zwei DDR-Mark. Zu jener Zeit, das kann sich heute keiner mehr vorstellen, war interessanter Lesestoff schwer zu finden, jedenfalls bei uns im Osten. Mit der Tageszeitung war man meistens schon nach ein paar Minuten fertig (außer montags, wenn die Sportberichte drinstanden; wenigstens diese waren nicht schlechter als die im Westen). Bei Journalen und dergleichen sah es ähnlich trübe aus. Bücher waren eigentlich nur dann interessant, wenn sie aus dem Westen kamen. Doch die, die ich kriegen konnte, hatte ich immer gleich ganz schnell durch. Was lag also näher, als die Gelegenheit beim Schopfe zu packen und die Gesprächssammlung des großen chinesischen Philosophen zu erwerben? Immerhin glaubte ich, seinen Namen schon mal irgendwo gehört zu haben…

Konfuzius (551-479 v.u.Z.), dessen Äußerungen erst posthum von seinen Schülern zu Papier gebracht worden waren, gefiel mir sofort, wenn auch keineswegs in jeder Hinsicht. Nahezu alles, was er seinen Gesprächspartnern mitzuteilen hatte, war klar und verständlich, was sich ja längst nicht von jedem Philosophen behaupten lässt. Auch ohne Hintergrundwissen und Vorkenntnisse – das etwas langatmige Vorwort hatte ich nur überflogen – verstand man immer sogleich, was er meinte. Hauptsächlich ging es in den Gesprächen um „praktische Philosophie“: Wie sollte man leben, wie sich als Mensch in der Gesellschaft verhalten? Welche Auswirkungen hat dies auf das Funktionieren eines Gemeinwesens? Konfuzius stellt die Idealfigur des „Edlen“, der sich stets maßvoll, vernünftig, verantwortungsvoll und korrekt verhält, der Figur des Alltagsmenschen, des „Gemeinen“, gegenüber, der sich nur blind von seinen Affekten und Stimmungen treiben lässt. Während der „Gemeine“ in Unwissenheit lebt, sich seinen menschlichen und allzumenschlichen Lastern hingibt sowie wenig Urteilstraft besitzt, ist der „Edle“ sein Leben lang ein Lernender und bleibt dabei stets demütig, selbst in der Stunde des Triumphes.
Gar nicht gefiel mir an Konfuzius allerdings, dass er der Meinung war, man müsse immer und unbedingt seinen Eltern gehorchen. (In diesem Punkt sollte ich auch in meinem weiteren Leben strikt gegenteiliger Ansicht bleiben.) Sehr gut fand ich hingegen seine Ansichten über das Lernen (auch wenn meine eigene Lernbereitschaft, das muss ich zugeben, im Laufe der Zeit leider stark nachgelassen hat) und vieles andere mehr… Immer wieder las ich über die Jahre in diesem Buch. Ich würde sogar sagen, dass mich nur wenige Bücher im Leben mehr geprägt haben als diese Konfuzius-Gespräche.

Wenn ich heute nach langer Pause wieder im schwarzen Büchlein blättere, dann wirken die Sprüche des Meisters auf mich genauso frisch wie damals, auch wenn ich heute so manches mit ganz anderen Augen lese. Hier ein paar Kostproben:

– Konfuzius sprach: „Fordere viel von dir selbst und erwarte weniger von anderen! So wird dir Ärger erspart bleiben.“
– Konfuzius sprach: „Der Edle fordert sich selbst. Der Gemeine fordert von anderen.“
– Konfuzius sprach: „Es betrübt mich nicht, wenn mich die Menschen nicht kennen, aber es betrübt mich, wenn ich die Menschen nicht kenne.“
– Konfuzius sprach: „Sieh, welche Mittel ein Mensch verwendet, um seine Ziele zu erreichen; betrachte die Beweggründe, die sein Handeln bestimmen; prüfe, worin seine Seele Ruhe findet und was ihn bewegt. Wie kann ein Mensch da noch sein Wesen verbergen? Wie kann ein Mensch da noch sein Wesen verbergen?“ (Wiederholung im Original!)
– Konfuzius sprach: „Die Verfehlungen, die begangen werden, entsprechen der Sorte von Leuten, die sie begehen. An seinen Fehlern kann man einen Menschen erkennen.“
– Konfuzius sprach: „Der Edle lässt sich nicht wie ein Werkzeug behandeln.“
– Konfuzius sprach: „Der Edle verhält sich zu allen gleich, der Gemeine hingegen liebt Kumpanei und Cliquenwirtschaft.“
– Konfuzius sprach: „Lernen ohne zu denken – das ist nutzlos. Denken, ohne etwas gelernt zu haben – das ist verderblich.“
– Konfuzius sprach: „Der Edle steht mit niemandem im Wettstreit. Wenn es überhaupt geschieht, dann höchstens beim Bogenschießen. … Ein solcher Wettstreit schickt sich für den Edlen.“
– Konfuzius sprach: „Der Edle steht den Dingen dieser Welt vorurteilslos gegenüber. Nur an das Rechte hält er sich.“
– Konfuzius sprach: „Triffst du einen wertvollen Menschen, dann sei darauf bedacht, ihm gleich zu werden. Siehst du hingegen einen Unwürdigen, dann wende dich deinem Inneren zu und prüfe dich selbst.“
– Konfuzius sprach: „Einen Fehler machen und ihn nicht korrigieren – das heißt erst wirklich einen Fehler machen.“
– Konfuzius sprach: „Nur die wirklich Klugen und die wirklich Dummen ändern sich nicht.“
– Konfuzius sprach: „Der Edle ist ausgeglichen und innerlich ruhig; der Gemeine hingegen ist innerlich verkrampft und lebt stets in Nöten und Ängsten.“

Besonders der letzte Spruch zeigt mir, dass ich trotz aller Bemühungen wohl doch bis heute ein „Gemeiner“ geblieben bin…

Dein Johannes

Veröffentlicht von on Aug 3rd, 2018 und gespeichert unter JOHANNES, LIEBES TAGEBUCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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