Warum die brennenden Autos in Berlin die Gentrifizierung nur vorantreiben
Thomas Claer
Beeindruckend minutiös listet es die Seite www.brennende-autos.de auf: 451 Brandanschläge von Unbekannten auf parkende Autos hat es in Berlin seit dem Frühjahr 2007 gegeben. Die Tendenz ist dabei stark zunehmend: Gingen im gesamten Jahr 2008 lediglich knapp 100 Fahrzeuge in Flammen auf, waren es im laufenden Jahr bereits mehr als 270 (Stand: 7. Dezember 09). Fast jede Nacht, heißt das, brennt in Berlin irgendwo ein Pkw. Betroffen sind, die Karte auf besagter Internetseite verrät es, ganz überwiegend die Innenstadtbezirke Kreuzberg, Friedrichshain, Mitte und Prenzlauer Berg, also jene Bezirke, in denen Stadtsoziologen schon seit mehr als einem Jahrzehnt eine ausgeprägte Tendenz zur Gentrifizierung ausgemacht haben, also zur gezielten Aufwertung der Stadtviertel durch Restaurierung, Umbau und Verränderung der Bevölkerungsstruktur. Keineswegs ausschließlich, aber doch ganz überwiegend trifft es Luxusfahrzeuge der Marken Mercedes (90 Fälle) und BMW (53 Fälle). Vereinzelte Bekenntnisse aus der linksautonomen „Szene“ bestätigen nur, was ohnehin jeder weiß: Die Brandstiftungen sollen politische Aktionen gegen die „kapitalistische Gentrifizierung“ darstellen. Brennen nur möglichst viele Nobelkarossen, dann werden es sich die Yuppies schon überlegen, ob sie unbedingt hier wohnen wollen, war laut „taz“ aus Kreuzberg zu vernehmen. Assistiert werden die feurigen autonomen Bemühungen regelmäßig durch gezielte Brandsätze auf Baustellen von Luxus-Wohnhäusern sowie entsprechende Graffiti: An Parolen wie „Fuck Yuppies!“ oder „Yuppies und Schwaben raus!“ an Häuserwänden hat man sich ja inzwischen schon gewöhnt.
„Ein brennendes Auto eine Straftat – 100 brennende Autos eine politische Aktion“
Haben wir es bei den Zündeleien nun also mit einer neuen Form des sozialen Protestes zu tun oder sind es letztlich doch nur stinknormale Brandstiftungen gem. § 306 Abs. 1 Nr. 4, 1. Var. StGB – allerdings in ungewöhnlich großer Zahl? Für letzteres plädiert der Kriminologe Christian Pfeifer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) und füherer niedersächsischer Landesjustizminister (SPD). Er sieht nur „ganz normale Brandstifter“ am Werk, die „politisch nichts bewegen“ können, zitiert ihn die „taz“. Schließlich seien Brandstifter „meistens Serientäter.“ „Jede neue Tat bedeutet eine Luststeigerung. Macht ausüben. Manche haben sogar ein Hochgefühl, vergleichbar einem Orgasmus, wenn sie aus sicherer Entfernung den Anblick der Flammen und die Aufregung genießen. Dieses Tatütata, wenn Polizei und Feuerwehr kommen und sich überall die Fenster öffnen.“ Manche Brandstifter würden nun eben „ein politisches Mäntelchen drumhängen“. Slogans wie „Ein brennendes Auto eine Straftat – 100 brennende Autos eine politische Aktion“ bezeichnet Pfeifer als „dumme Sprüche“. Die Einzigen, die durch die Brandanschläge auf die meist vollkaskoversicherten Autos beglückt würden, seien die Taxifahrer, weil das Opfer eine Weile keinen fahrbaren Untersatz habe.
Teil der Krawall-Folklore
Doch ist das alles? Könnte es nicht sein, dass die brennenden Autos sehr wohl etwas Größeres bewirken, nämlich stadtsoziologisch und damit gewissermaßen auch politisch, nur gänzlich anders, als es sich die autonomen Feuerteufel vorstellen können? Sind sie nicht schon zu einem Teil der Krawall-Folklore geworden, ähnlich den ritualisierten Gewalt-Eskalationen wie wir sie seit langen Jahren am 1. Mai erleben? Wer die Entwicklung der Mieten und Immobilienpreise in den entsprechenden Bezirken in den letzten Jahren verfolgt hat, der wird feststellen, dass autonome Krawalle eine zahlungskräftige Klientel keineswegs vom Zuzug in die schicken, coolen Szeneviertel abhalten konnten. Ganz im Gegenteil: Der Revolutions-Chic der autonomen Protestler gibt den Trend-Bezirken erst jene Spur von Anrüchigkeit, die die Gegenden für eine sich als irgendwie „alternativ“ fühlende, wohlhabende und amüsierfreudige Schicht so richtig hipp macht. Sogar viele Prominente, von Sandra Maischberger über Alfred Biolek („Mein New York ist heute Prenzlauer Berg.“) bis zu diversen internationalen Filmstars, wohnen inzwischen in den Berliner Szenebezirken.
Die, die man früher als „Spießer“ bezeichnet hat, mögen in den ruhigen, gediegenen Vierteln am südwestlichen Stadtrand bleiben. Wer jedoch das blühende Leben, das Bunte, das ständige Abenteuer liebt, den zieht es in die angesagten Szenebezirke. Das hat natürlich, wie gesagt, inzwischen seinen Preis. Fast vierhunderttausend Euro kostet eine Vier-Zimmer-Luxuswohnung etwa am Viktoriapark in Kreuzberg. Das mag Münchener, Hamburger oder Frankfurter nicht sonderlich beeindrucken, doch muss man wissen, dass die durchschnittlichen Berliner Eigentumswohnungen noch immer für lediglich fünfstellige Summen gehandelt werden.
Arme Autonome
Den Krawall-Brüdern geht es also wie der wütenden jungen Frau in jenem alten Film, dessen Namen ich vergessen habe. Sie schreit und tobt und wütet gegen ihren Ehemann, doch der lächelt nur überlegen und sagt: „Du bist hinreißend, Liebling, wenn du dich aufregst!“ Es ist wie beim Protestsong gegen die Kommerzialisierung, der an die Spitze der Hitparade gelangt. Lenin hätte die autonomen Brandstifter als „nützliche Idioten der Gentrifizierung“ bezeichnet.
Neulich war ich zu Besuch in einer der Kreuzberger Luxuswohnungen. Der Bildschirmschoner auf dem Laptop der Bewohnerin zeigte ein Bildnis von Che Guevara.
Klasse Artikel!