Arthur Koestlers „Sonnenfinsternis“ nach dem wiedergefundenen deutschen Originalmanuskript von 1939
Katrin Sasse
Der Roman „Sonnenfinsternis“ von Arthur Koestler führt uns in die Zeit der Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts. Obwohl Koestler das Land der Handlung nie eindeutig benennt, ist schon auf Grund der Namen sämtlicher Protagonisten klar, dass nur die Sowjetunion gemeint sein kann, das erste kommunistische Land der Welt.
Rubaschow, der Held des Romans, ist ein älterer Mann, nicht ganz gesund, mit einem analytischen Verstand ausgestattet und ein überzeugter Kommunist. Sein ganzes Leben hat er dem Aufbau des Kommunismus gewidmet. Sowohl in der Heimat als auch im Ausland hat er dafür gekämpft. In ausländischen Gefängnissen wurde er sogar gefoltert, doch blieb er immer standhaft und der kommunistischen Partei treu ergeben. Wegen seiner Verdienste ist Rubaschow bei seinen Genossen hoch geachtet und beliebt.
Doch eines Nachts zu später Stunde wird er zu Hause verhaftet und in eine Gefängniszelle gebracht. Obwohl ihm ein formal rechtmäßiger Haftbefehl vorgelegt wird, kann Rubaschow nicht ausmachen, was ihm vorgeworfen wird. Er weiß nur, dass die gegen ihn erhobenen Vorwürfe falsch sind, und er weiß auch, dass man ihn letztlich verurteilen und erschießen wird.
Scheinbar pragmatisch findet sich Rubaschow mit seiner Situation ab. Gelassen inspiziert er seine Gefängniszelle. Die Ereignisse haben ihn nicht unbedingt überrascht, denn willkürliche Verhaftungen sind zu jener Zeit an der Tagesordnung. Altgediente Genossen werden abgeholt, angeklagt und schließlich eliminiert.
Allein in seiner Zelle, denkt Rubaschow über sein Leben nach. Als er zum ersten Verhör abgeholt wird, sitzt er ausgerechnet einem alten Kameraden gegenüber. Iwanoff, der Rubaschow sein Leben verdankt, will die alte Schuld begleichen und ihn „retten“. Denn die gegen Rubaschow erhobenen Anschuldigungen wiegen schwer. Nichts Geringeres als ein Attentat auf „No. I“ (also auf den Genossen Stalin) soll er geplant haben. Um von seinem früheren Freund die drohende Todesstrafe abzuwenden, versucht Iwanoff, ihn davon zu überzeugen, die Mitarbeit bei einer oppositionellen Gruppe zuzugeben, die jedoch kein Attentat geplant haben soll. Doch Rubaschow lehnt dies ab und erhält von Iwanoff Bedenkzeit.
Wieder zurück in seiner Zelle hängt Rubaschoffs erneut seinen Erinnerungen nach. Er denkt an Begegnungen mit Genossen in Deutschland und Belgien zurück, die dort unter lebensgefährlichen Bedingungen gegen die Nazis kämpften. Für diese Genossen war die Hilfe der russischen Kommunisten die einzige Hoffnung. Rubaschow als ihr Verbindungsmann handelte getreu dem Parteiauftrag und überließ sie ihrem Schicksal. Auch als seine frühere Mitarbeiterin und Geliebte unter falschen Anschuldigungen verhaftet wurde, unternahm er nichts.
Als man ihn zum zweiten Verhör holt, ist sein alter Freund Iwanoff nicht mehr da. Jetzt führt der junge, gnadenlose Offizier Gletkin das Verhör. Gletkin hat den Ehrgeiz, um jeden Preis ein Geständnis von Rubaschow herbeizuführen. Nach langen, zermürbenden Verhören kommt Rubaschow schließlich für sich selbst zu der bemerkenswerten Erkenntnis, dass er schuldig geworden ist; schuldig allerdings nicht dessen, was ihm vorgeworfen wird, sondern weil durch sein Handeln unschuldige Menschen zu Schaden gekommen sind. Er entscheidet sich dafür, für seine begangenen Fehler zu bezahlen.
Der Schriftsteller Arthur Koestler (1905-1983) gehört zu den vielleicht schillerndsten intellektuellen Figuren des 20. Jahrhunderts. Als ungarisch-österreichischer Jude in Budapest geboren, arbeitet er in der Weimarer Republik als Ullstein-Journalist in Berlin, vorübergehend auch als glühender Zionist in einem Kibbuz in Palästina. Anfang der 30er Jahre wird er begeisterter Kommunist, später dann ebenso entschiedener Anti-Kommunist. Nach dem Krieg lebt er in London, schreibt nur noch auf Englisch und nie wieder über politische Themen, stattdessen vornehmlich Sachbücher über Naturwissenschaft, Parawissenschaften und Zukunftsfragen der Menschheit („Der Mensch – Irrläufer der Evolution“).
Der Roman „Sonnenfinsternis“ wurde von Arthur Koestler 1939 ursprünglich auf Deutsch geschrieben, während er selbst in Frankreich in Le Vernet interniert war. (Auch die Westmächte sperrten, was heute fast vergessen ist, während des zweiten Weltkriegs Menschen aus den Ländern ihrer Kriegsgegner „vorsichtshalber“ in Lager; auch wenn es dort immerhin längst nicht so schlimm zuging wie in den sowjetischen Arbeitslagern oder gar den deutschen Konzentrationslagern.) Koestler war selbst sieben Jahre lang Mitglied der KPD (Kommunistischen Partei Deutschlands) und hatte während einer Reise in die Sowjetunion (1932) Karl Radek und Nicolai Bucharin getroffen, beide hoch angesehene Weggefährten Stalins. Auf dieser Reise erlebte er auch einen der ersten sowjetischen Schauprozesse.
Die so genannten „Moskauer Schauprozesse“ erreichen ihren Höhepunkt zwischen 1936 und 1939 und waren von Stalin persönlich angeordnet worden. Unter absurden Anschuldigungen wurden alte Kampfgenossen, Parteifunktionäre und Offiziere der Roten Armee verurteilt und hingerichtet. Auch viele langjährige „Gefolgsgenossen“ Stalins, so auch Karl Radek und Nicolai Bucharin, wurden nicht verschont.
Als Arthur Koestler davon erfährt, tritt er – nach langen inneren Kämpfen und vermutlich als erster westlicher Intellektueller – demonstrativ aus der Kommunistischen Partei aus. Mit dem Roman „Sonnenfinsternis“ verarbeitet er die Ereignisse dieser Zeit literarisch und lässt dabei keinen Zweifel am wirklichen Ziel des Terrors, der Machterhaltung Stalins.
Obwohl Koestler den Roman auf Deutsch geschrieben hatte, erschien er 1940 zunächst nur in englischer Sprache. Erst 1946 konnte der Roman erstmals auf Deutsch erscheinen, als Rückübersetzung aus dem Englischen durch Koestler selbst, da das deutsche Original-Manuskript in den Wirren des Krieges verloren gegangen war. Erst 2015 wurde das originale Manuskript durch Martin Wessel wiederentdeckt und vom Elsinor Verlag in diesem Jahr neu aufgelegt. Das umfangreiche Vorwort von Michael Scammel erklärt die Umstände der Entstehung des Romans.
Für den interessierten Leser dürfte aber das Nachwort von Matthias Wessel mit den biographischen Hintergründen zu Arthur Koestler ebenso wichtig und hilfreich sein. Besonders gefiel mir auch die im Anschluss angefügte Zeittafel, in der die relevanten biographischen Daten von Arthur Koestler aufgeführt sind. So wird es den heutigen Lesern, auch jenen mit weniger Vorkenntnissen, erleichtert, sich ein klareres Bild von den damaligen Geschehnissen zu machen.
Der Roman „Sonnenfinsternis“ ist für jeden interessant, der mehr über die Geschichte des „Jahrhunderts der Ideologien“, etwas abseits von unserer eigenen deutschen Geschichte, erfahren möchte. Auch wenn es sich keineswegs um eine leichte Lektüre handelt, so ist der Roman in seiner klaren Sprache auch heute noch gut zu lesen. Mich hat er zum Nachdenken angeregt, und ich finde, auch nach fast 80 Jahren hat uns „Sonnenfinsternis“ noch eine Menge zu erzählen. Zum einen angesichts der gegenwärtig wieder aufziehenden totalitären Bedrohungen, zum anderen angesichts der unverminderten Aktualität der „sozialen Frage“, die abschließend zu lösen der Kommunismus einst angetreten war. Außerdem sind die abenteuerliche Biographie von Arthur Koestler und die Umstände der Entstehung dieses Romans mindestens genauso interessant wie der Roman selbst. Das Werk dieses umtriebigen, aber heute nur noch wenig beachteten Autors und gerade auch seine autobiographischen Schriften verdienen es, wiederentdeckt zu werden.
Arthur Koestler
Sonnenfinsternis. Roman. Nach dem deutschen Originalmanuskript
Elsinor Verlag 2018. Erstausgabe der Originalfassung
256 Seiten; 28,00 EUR
ISBN-10: 3942788403