Der mutige Aufbruch in die Ferne. Ein Porträt dreier deutscher Juristen in Sydney, San Francisco und New York City. Justament-Serie in drei Teilen, Teil 1
Ines Duhanic
Es ist doch wirklich schade. Da hat man erst das Dickicht der Rechtswissenschaften durchdrungen, die zwei Qualen der Staatsexamina gemeistert, zusätzlich vielleicht noch ein Masterstudium im Ausland, eine Promotion und dann auch noch den Fachanwalt aus den Kraftreserven ausgequetscht, nur um anschließend festzustellten zu müssen: Eine internationale Anwaltschaftszulassung, mit der man überall auf der Welt arbeiten kann, gibt es nicht. Dass man als deutscher Jurist dennoch seine Koffer packt und getrieben von der Globalisierung oder auch nur vom Abenteuer dem Beruf der Advokatur in der Ferne nachgehen kann, zeigen diese drei erfolgreichen Juristen.
Sydney. San Francisco. New York.
Unterschiedlicher könnten die Drei nicht sein. Hanna Steinbach, So-Ang Park und Wolfgang Babeck. Doch eine Sache scheinen sie gemeinsam zu haben: Sie sind kreativ, ehrgeizig und anspruchsvoll. Das Versprechen auf ein hohes Gehalt jedenfalls reicht nicht mehr aus, um Berufseinsteiger oder auch bereits etablierte und hoch angesehene Rechtsexperten in eine der großen Wirtschaftskanzleien zu locken. Viele lassen sich beim Berufsstart oder bei dem nächsten Karriereschritt von ganz anderen Motiven leiten: Mehr Lebensqualität oder Abenteuerlust verleiten dazu, Deutschland, dem Land der ewigen Bedenkenträger, introspektiven Grübler und Risikoscheuen, den Rücken zu kehren. Oder schlicht auch die Liebe auf den ersten Blick, die selbst alteingesessenen Playern in der deutschen Legal Community der Mergers & Acquisitions den Atem des gemütlich-deutschen „Zu Hause ist’s doch am schönsten“ verschlagen kann.
„No worries, mate“
So wie im Beispiel von Wolfgang Babeck. Vom Kanzleibüro in Sydney aus unternimmt der Jurist – seit bald 20 Jahren Partner der deutschen Großkanzlei Buse Heberer Fromm und nach über 16 Jahren in der australischen Kanzlei DibbsBarker (heute Dentons) nun seit kurzem European Counsel bei Hall & Wilcox – bei afternoon tea und Anzac Biscuits – seine Streifzüge durch die unerschlossenen Gestaden des Unternehmensrechts. Ursprünglich ein Kind des Bergischen Landes berät er nun deutsche Unternehmen, die in den australischen Markt eintreten wollen. Er ist Deal-Maker, Buchautor, Notar, Honorarprofessor, Rechtsanwalt, Solicitor of New South Wales und Solicitor of England & Wales. Das sind nur einige offizielle Titel, die er trägt.
Es ist 21:00 Uhr in Sydney und Babeck schaut mit seinem, so scheint es, stets gutmütigen, aber doch ernsten Blick auf seine Zweizonenarmbanduhr und bereitet sich auf das kommende Gespräch in Hamburg, Ortszeit 9:00 Uhr, vor. Mit der Heimat stets am Handgelenk erzählt Babeck, wie er es geschafft hat, seinen beruflichen Erfolg, den er bereits als Kanzleipartner von Buse inne hatte, in einem komplett anderen Rechtssystem auf der äußersten Südhalbkugel von neuem unter Beweis zu stellen. „Eigentlich wollte ich ja nur meine Freunde in Vietnam besuchen, die ich bei meiner Wahlstation bei White & Case vor ein paar Jahren kennengelernt hatte. Am Flughafen-Terminal in Hanoi lernte ich Doro kennen.“ So war es nicht etwa nur strategisches Kalkül und eine von nüchterner Logik getriebene, knallharte Entscheidung über akquirierte Umsatzbeträge und trockene Zahlen, Sydney als neuen Kanzleistandort zu wählen. Nein. Die Expansion in das bis dato für diese Großkanzlei unbekannte Terrain des australischen Rechtsmarktes geht zurück auf den zufällig erhaschten Blick eines damals 33-jährigen Rechtsanwaltes, der lediglich den Flughafenbus in die Stadt nahm und dabei eine Frau aus Westfalen traf, die zu der Zeit bereits 7 Jahre als deutsche Auswanderin in Sydney lebte. Dies war der Anfang einer Liebesgeschichte, die darin mündete, dass Babeck zwei Jahre später seine Dorothee, die er liebevoll Doro und seine Traumfrau nennt, heiratete und mit zwei Kindern und neuem Kanzleistandort am anderen Ende der Welt ankam und von Australien aus deutsches Recht praktizieren sollte.
Seitdem hieß es, mit zahlreichen Zwischenetappen, unter anderem in England, und von Zweifeln, Rückschlägen und Heimweh nicht verschont: Sydney sollte die neue Heimat des deutschen Juristen werden! Abgesehen von der Tatsache, dass es sich um ein komplett anderes Rechtssystem des Common Laws handelte, war die Frage nunmehr: Wie soll ein deutscher Rechtsanwalt in Australien seinem Beruf weiter nachgehen? Eigentlich beinahe ein Ding der Unmöglichkeit. Denn der Beruf des Juristen ist wie fast überall in den westlichen Industriestaaten keine Mangelware und genau wie Deutschland werden in Australien lediglich Fachkräfte im Gesundheitswesen oder Ingenieure im Bereich Maschinenbau, Elektronik, Anlagenbau, Bergbau oder auch IT-Spezialisten, Programmierer, Software-Entwickler händeringend gesucht. Ein Visum nach der sogenannten SOL-Liste (Skilled Occupation List) kam daher nicht in Frage, aber ein sogenanntes „prospective-marriage visum“ tat es auch. Innerhalb von 9 Monaten musste Babeck seine Traumfrau also heiraten, um in Australien bleiben zu können. „Das war ein Klacks“, sagt Babeck heute, „sie aus Bondi Beach nach Berlin zu bewegen, war damals jedoch unmöglich“.
Trotz global vernetzter Wirtschaftsbeziehungen und dem Versuch das Wirtschaftsrecht zu harmonisieren, vermag die Kunst der Juristerei ihre nationalen Grenzen in der Anwaltspraxis nicht zu sprengen. Von der Visumsfrage abgesehen: In Australien wird die Anerkennung des im Ausland abgeschlossen Rechtsberufes sehr restriktiv gehandhabt; etwas verwunderlich, wenn man Australien als eines der größten Einwanderungsländer betrachtet. Die Zulassung zur Anwaltschaft wird von jedem Bundesstaat (state) und Gebiet (territory) unabhängig voneinander eigens geregelt. Allgemein gilt, der im Ausland qualifizierte und im Heimatland zugelassene Anwalt muss nach der jeweiligen Zulassungsbehörde des Legal Practice Boards in der Regel 3 bis 4 Jahre das komplette Jurastudium in Australien nachholen. Doch wie viel Muße, Disziplin, Ausdauer muss man haben, hat man doch bereits in der Regel bis zu acht Jahren damit verbracht, sich in Deutschland durch die schier nicht enden wollende Ausbildung zum Volljuristen, Fachanwalt, Promotionsabsolventen gequält, um dann weitere Jahre in den Abendkursen an der Uni nach der Kanzlei zu sitzen? Nicht zu vergessen sind auch die etwa 30.000 – 50.000 Euro, die das Zusatzstudium der Conversion-Kurse oder der Universitätsabschluss in Australien kosten können. Ist man dann qualifiziert, droht die Gefahr, dass man als Anfänger eingestuft wird.
Doch versiert und kreativ wie Babeck nun einmal ist, fand er einen cleveren Weg, seine Auslandsqualifikation anerkennen zu lassen. Über die Zulassung als englischer Rechtsanwalt gelang es ihm, dass man einen Teil seiner Ausbildung in Australien anerkannte. Der Weg war steinig, denn er musste sich einmal komplett durch das Common Law graben, wobei ihm die fremdsprachenspezifische Fachausbildung, die er seinerzeit an der Universität Passau durchlaufen hatte, nur die Grundlagen vermittelt hatte. Allerdings konnte man das Studium in England im Wesentlichen als Fernstudium abwickeln. Die deutsche juristische Ausbildung und ihre Befähigung zum unabhängigen juristischen Denken erwiesen sich als ein hervorragendes Sprungbrett. Babeck gelang es dann, das im Inland erfolgreiche Gescha?ftsmodell von Buse Heberer Fromm an die lokalen Gegebenheiten in Sydney anzupassen und sich ein unterstützendes Netzwerk von Partnern aufzubauen. Seine Handwerkskunst ist die des cleveren Netzwerkers und die der analytischen Rechtsvergleichung der australischen Rechtspraxis, wie in seiner „Einführung zum australischen Recht“ im C.H. Beck-Verlag nachzulesen ist. Die Rechtsvergleichung hatte ihn schon immer fasziniert: Während seines Jurastudiums ging Babeck für ein Jahr in die Sowjetunion, genauer in das exotische Georgien der 90er Jahre. Dort knüpfte der junge Student bereits bedeutende Kontakte mit reformorientierten georgischen Verfassungsrechtlern und Politikern, die später dazu führten, dass er bei der Neugestaltung der georgischen Verfassung mitwirken sollte.
Während seine Kommilitonen ihre Auslandsemester traditionell eher in Genf oder Lausanne verbrachten, zerriss Europas eisener Vorhang. Im Jahre 1991 wurde Babeck somit unfreiwillig Augenzeuge, wie die Sowjetunion kollabierte und ultranationalistische Milizen gegen die georgische Regierung putschen, während die „Swiadisten“ mit Bombenanschlägen und Überfällen ihre Macht auf den Straßen in Tiflis demonstrierten und vor selbsternannten Kriegsfürsten davonrannten. In seinem Buch „Der georgische Knoten“ verarbeitet er diesen politischen Umwälzungsprozess und versucht auch in „Verfassungsgebung in Georgien“ mit Vorworten von Eduard Schewardnadse und Hans-Dietrich Genscher, den sich aus mehreren politisch und kulturell zugespitzten politischen Krisen zu einem scheinbar unentwirrbaren verdichteten Knoten eines noch jungen unabhängigen Georgiens zu entflechten. So war Babeck prädestiniert, Verfassungskonferenzen mit georgischen und internationalen Verfassungsrechtlern einschließlich solcher der „Venedig Kommission des Europarats“ bei zwei größeren Verfassungsänderungen Georgiens zu leiten. Im Jahr 2015 wurden ihm für seine rechtlichen Beratungen und Verdienste zur Verfassung Georgiens die Ehrendoktorwürde der Ilia State University of Georgia verliehen.
Wie er das tägliche Gesellschaftsrecht und das internationale Verfassungsrecht miteinander vereinbart, erklärt er so: „Bei beiden geht es um die Spielregeln: Wer darf was und wo sind die Grenzen – welches Organ darf ein anderes wie überwachen.“ Die Rechtsvergleichung fasziniert ihn: „Jura an sich erscheint manchen erstmal ziemlich langweilig. Kommt eine andere Kultur und ihre Werte hinzu, wird es sehr spannend. Rechtssysteme mögen zwar die gleichen Begrifflichkeiten wie Arbeitnehmer oder Geschäftsführerhaftung nutzen, diese werden jedoch anders gelebt und ausgelegt. Will man das ausländische Recht verstehen, so muss man das Land, seine Kultur, seine Rechtshistorie, das ungeschriebene Recht und die Rechtspraxis, hier natürlich vor allem das Case Law verstehen. Das australische Zivilprozessrecht ist z.B. nach wie vor auf eine Jury ausgerichtet, obwohl es keine Laienrichter mehr gibt. Wer diesen Hintergrund kennt, versteht auch, warum die Verfahren so sehr auf mündlichen Zeugenvernehmungen basieren und warum sie so aufwändig sind.“
Der einstige Kulturmittler zwischen Ost und West ist inzwischen Mittler im Gefüge immer enger zusammenwachsender Wirtschaftsbeziehungen zwischen Australien sowie der EU und insbesondere auch Deutschland. Er berät namhafte europäische Konzerne und mittelständische Unternehmen bei ihrem Eintritt in den australischen Markt und fungiert zudem auch als Vorstandsmitglied und ehemaliger Chair der Deutsch-Australischen Industrie- und Handelskammer. Mit seiner Leidenschaft für gesellschaftlichen Fortschritt und unbändigen Neugier für wirtschaftliche Zusammenhänge trägt Babeck durch seine zahlreichen Funktionen entscheidend dazu bei, Handel und Investitionen zwischen beiden Nationen auszubauen und den strategischen Dialog zu verbessern.
Australien mag geographisch gesehen „down under“ liegen, aber wirtschaftlich sind Deutschland und Australien eng verbunden. Deutschland ist einer der wichtigsten Handelspartner in Australien. Vor über einem Jahr haben sich die Europäische Union und Australien auf eine engere Zusammenarbeit in entscheidenden Bereichen wie Außen- und Sicherheitspolitik, nachhaltige Entwicklung und Handelspolitik verständigt. Derzeit wird ein umfassendes Freihandelsabkommen zwischen der EU und Australien verhandelt. Australiens Wirtschaft boomt, so wie zurzeit die Wirtschaft in Deutschland auch. Selbst das Ende des Bergbaubooms hält das australische Wirtschaftswachstum nicht auf. Australien genießt als eines von nur 11 Ländern weltweit ein AAA Credit Rating und zählt heute zu den wirtschaftlich stärksten Nationen.
Ja, und in der Tat, es ist auch ein Kontinent der Träume. Dass er sich ausgerechnet in eine Frau aus Down Under verliebt hat, macht den Kulturwechsel leichter. Wer schon einmal da war, der weiß es. Allein schon dieser australische Winter! Mehr als 30 Ozeanstrände nur in der Stadt Sydney. „No worries“ („keine Sorge“ oder auch „kein Problem“) als typische Redewendung ist die versinnbildlichte Einstellung der Aussies, alles einmal „locker nehmen und laid-back sein“. Und so feiert auch Babeck sein geliebtes Zuhause in Australien als eines, wo „sie ganz anders als die Deutschen, so ungemein aufgeschlossen und hilfsbereit sind, wenn einer etwas Neues versuchen will. “Give him a fair chance“, sagen sie, “give it a try“, probier’s doch einfach mal aus.“
Dort wo eine stabile Arbeitslosenquote um die fünf Prozent, ein hohes Lohnniveau und kontinuierlicher Aufschwung herrscht – Australiens Wirtschaft hat mit über 26 Jahren Wirtschaftswachstum die längste Expansionsphase der Welt zurückgelegt – , ist das Land zwar nicht das reichste der Welt, aber doch sorgenfrei. Der vom egalitären Pioniergeist, der alten Schafscherer und Goldgräber, „Australian mateship“ genannte und geprägte Zeitgeist von heute fühlt diesen süßen Müßiggang, das „Take it easy, no worries“ noch heute: Das Segeln und Surfen, das Wetten auf die Pferdchen, das milde Klima und die Sonne und das Leben, das sich rund um den Strand dreht – Ostern, Weihnachten, Geburtstag oder Kanzleifeier, der Beach wird als alltägliche Schönheit mitsamt seiner süßen Brise des südpazifischen Ozeans zelebriert. Der kurze Ritt auf dem Surfboard vor der Kanzlei am Morgen als Frühsport, einmal mit einem der großen blauen Groper (Zackenbarsche) in Clovelly Beach schwimmen oder eine Flat White am bekannten Icebergs in Bondi Beach können jeden müden Workaholic wieder fit machen.