„Den Bonzen ging es allein um die Macht“

30 Jahre nach dem Untergang der DDR beklagt die ehemalige Bürgerrechtlerin Freya Klier die Verklärung der SED-Diktatur

Benedikt Vallendar

Dresden – Ein sonnenstrahlender Samstag im Mai 2019, blauer Himmel und milde Temperaturen. Freya Klier steht vor den Stufen des sächsischen Landtags. Im Nebengebäude residierte bis Dezember 1989 die Dresdner Bezirksverwaltung der SED, ein schmuckloser Betonklotz, der so abstoßend wirkt wie die menschenverachtende Ideologie des Kommunismus. In Sichtweite fließt friedlich die Elbe, und am anderen Ufer steht das Japanische Palais, eine der vielen guten Stuben Dresdens, das alljährlich Scharen von Touristen anlockt. Freya Klier, Tochter eines Dissidenten, der als junger Mann wegen einer Lappalie mehr als ein Jahr in DDR-Haft saß, hat sich seit ihrer Jugend gegen die Diktatur engagiert und gleichzeitig Erfolge als Theaterregisseurin gefeiert. 1984 gewann sie für die Inszenierung eines Stückes von Ulrich Plenzdorf den DDR-Regiepreis, was selbst die allmächtige Staatssicherheit nicht verhindern konnte, wie sie stolz bemerkt. Die Theaterszene sei im Osten ein relativ geschützter Raum gewesen, sagt Klier. Das habe Menschen angezogen, die glaubten, dort auf Gleichgesinnte zu treffen, auch wenn ihre Hoffnungen oft missbraucht wurden. Bundesweite Schlagzeilen machte nach der Wende der Fall des Sascha Anderson, den die Staatssicherheit auf die alternative Kulturszene am Prenzlauer Berg angesetzt hatte.

Klare Sprache
Kliers 1973 geborene Tochter ist die Berliner Fotografin Nadja Klier, die mit dem Kameramann Kolja Brandt („Colonia Dignidad“) einen gemeinsamen, zehnjährigen Sohn hat. Freya Klier ist gebürtige Dresdnerin, und bis heute lebt in der Elbmetropole ihre hochbetagte Mutter, die sie regelmäßig besucht, immer wenn es der prall gefüllte Terminkalender erlaubt. Sie selbst lebt in Berlin-Steglitz, in Neukölln ihr Ex-Mann Stephan Krawczyk, zu dem sie weiter ein gutes Verhältnis hat. Klier ist gut beschäftigt, sagt sie. Sie schreibt Bücher, dreht Dokumentarfilme und spricht auf Symposien und in Schulen, die sie einladen, um das zu hören, was sie zu sagen hat. Die 69-Jährige ist eine gefragte Zeitzeugin, die authentisch aus dem Innern der Diktatur berichtet; eine, die im Gegensatz zu vielen anderen kein Blatt vor den Mund nimmt und die Willkür und Selbstherrlichkeit der SED-Funktionäre und ihrer subalternen Handlanger offen anprangert.

Sozialismus als Illusion
Bundesweit bekannt wurde Freya Klier im Herbst 1989. Da war sie, quasi über Nacht, das Gesicht der sich anbahnenden Revolution, neben Stephan Krawczyk, Ulrike Poppe und einigen anderen, darunter dem Pfarrer und letzten DDR-Verteidigungsminister Rainer Eppelmann, die das kollektive Erinnern an den Zusammenbruch der SED-Diktatur geprägt haben. „Den Funktionären, Bonzen und Systemlakaien ging es allein um die Macht, um das Gefühl, andere Menschen mit größeren und kleineren Schikanen ihre Ohnmacht spüren zu lassen“, ist Klier überzeugt. An das, was die Genossen als „Sozialismus“ bezeichneten, habe spätestens ab Mitte der siebziger Jahre keiner mehr geglaubt“, sagt Klier, was aus ihrem Mund so klingt, als wäre die Bedrohung durch die Staatssicherheit noch immer virulent. Sehr kritisch sieht die ehemalige Bürgerrechtlerin den Linkspolitiker und Rechtsanwalt Gregor Gysi, dem Medienvertreter wiederholt unterstellten, Mandanten verraten zu haben, was er bis heute bestreitet. „Herr Gysi erträgt es nicht, wenn man ihm die Wahrheit auf den Kopf zusagt“, sagt Klier. Wiederholt ist sie bei Podiumsdiskussionen kurzfristig wieder ausgeladen worden, weil entweder die Veranstalter oder Gysi persönlich den offenen Schlagabtausch mit ihr fürchteten. Wie sehr Gysi in den SED-Machtapparat verwickelt war, hat der Bundestag in seiner 13. Sitzungsperiode ausführlich beschrieben und aktenkundig gemacht. „Viele, die ihn anhimmeln, wissen gar nicht, mit wem sie es da in Wirklichkeit zu tun haben“, kritisiert Klier den teils naiven Umgang mit dem ehemaligen Berliner Wirtschaftssenator.

Bunt behaarte Staatsfeinde
Drei Jahrzehnte sind seit dem Untergang der DDR vergangen. Die früheren Dienststellen der Diktatur, Gefängnisse, Verwahranstalten und Amtssitze fungieren heute als Mahnmale gegen Ausgrenzung, Gewalt und Intoleranz. Was viele vergessen haben: Um in der DDR ins Visier der Mächtigen zu geraten, brauchte es nicht viel. „Ein paar flappsige Bemerkungen auf dem Schulhof, bunte Haare und laute Musik genügten, um als ‚asozial‘ und ‚Rowdy‘ gebrandmarkt zu werden“,  beschreibt Freya Klier das gesellschaftspolitische Klima in Ostdeutschland Mitte der achtziger Jahre.  Aufsässige Jugendliche landeten oft in den berüchtigten Jugendwerkhöfen, die knastähnlich organisiert waren, obgleich sie dem DDR-Bildungsministerium unterstanden.

David gegen Goliath
Zweimal saß Freya Klier in der DDR im Gefängnis. Zum ersten Mal als 18-Jährige, weil ihr die Flucht über die Ostsee misslungen war, und dann noch einmal im Januar 1988, als sie und ein paar Mitstreiter die SED-Riege um Erich Honecker mit dem legendären und oft fehlgedeuteten Rosa-Luxemburg-Zitat „Freiheit ist immer auch die Freiheit der anderen“ aus der Reserve und westliche Medienvertreter auf ihrer Seite gelockt hatten. „Die Meldung von Kliers Festnahme ging damals durch die Weltpresse“, sagt die Potsdamer Historikerin Jenny Krämer. Als Klier und Krawczyk nach ihrer Abschiebung auf einer Pressekonferenz am 3. Februar 1988 in Bielefeld gar die Rückkehr in die DDR forderten, war das bis Paris, London und Washington zu hören. Endlich, so schien es, gab es im Osten Deutschlands eine echte, wenn auch noch überschaubare Oppositionsbewegung, mit Köpfen, Ideen und konkreten Forderungen.
Was danach kam, ist längst Geschichte und in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder neu erzählt worden. Die „Nachwende-Zeit“, wie Historiker sie bezeichnen, hält bis heute an. Und doch haben die Jahre des Umbruchs auch ihren Tribut gefordert. Kliers Ehe mit Stephan Krawczyk wurde 1992 geschieden. Drei Jahre, nachdem die ostdeutsche Bevölkerung die selbst ernannten Weltverbesserer um Erich Honecker und Egon Krenz in die Wüste geschickt hatten. Den einen nach Chile, wo er fünf Jahre später starb. Den anderen, mittlerweile 82-Jährigen, in die Justizvollzugsanstalten Plötzensee und Hakenfelde, wo er wegen der Mauertoten mehrere Jahre einsaß, bevor er sich auf seinen Landsitz an der Ostsee zurückzog. Ein Umstand, der Krenz, im Gegensatz zu Freya Klier, nicht davon abhält, den Leuten in kleineren und größeren Runden die „Vorzüge“ eines mehrheitlich nicht gewollten Staates zu erklären.

Veröffentlicht von on Juli 1st, 2019 und gespeichert unter DRUM HERUM, RECHT HISTORISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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