Volker M. Haug erweitert seine Zielgruppe
Matthias Wiemers
Eins vorweg: Für die inzwischen zahlreichen Bachelorstudiengänge mit Anteil des Öffentlichen Rechts gab es jahrelang ein geradezu perfektes Lehrbuch. Das von dem Stuttgarter (und inzwischen Ludwigsburger) Professor Volker Haug geschriebene Öffentliches Recht für den Bachelor (1. Aufl. 2014; es hatte ebenfalls schon ein Vorgängerwerk, nämlich „Staats- und Verwaltungsrecht“, das in mehreren Auflagen erschienen war).
Haug, der über eine jahrzehntelange Lehrerfahrung verfügt, hatte sein Lehrbuch zum Öffentlichen Recht immer wieder verbessert, und insbesondere die „Grafiken und Übersichten“ im Werk wurden von Auflage zu Auflage mehr.
Nunmehr heißt der Band schon in dritter Auflage „Öffentliches Recht im Überblick“ und trägt den Untertitel „Staats- und Verwaltungsrecht für Bachelor und Staatsexamen“. Damit, so kann ich aus eigener Lehrerfahrung im Bachelor berichten, wurde das m. E. beste Werk für diese Zielgruppe am Markt aus eben diesem Markt genommen. Die Fragestellung lautet deshalb hier, ob nicht die Erweiterung auf ein Angebot auch für Staatsexamenskandidaten dieses Manko überkompensieren kann.
Zunächst einmal muss festgestellt werden, dass das Lehrbuch inzwischen glatt 30 Euro kostet und 442 Seiten aufweist, also rund 100 Seiten mehr als das o. g. Vorgängerwerk (dieses war für 24,99 Euro zu erwerben).
Ausgehend vom Vorwort des Autors ist von dem Anspruch des Autors auszugehen, das gesamte öffentliche Recht vornehmlich für „Nichtjuristen“ und in etwas verständlicherer Sprache darzubieten.
Der Band startet mit einem Verzeichnis der inzwischen 188 (!) Abbildungen. In der „Einführung“ wird die Konzeption des Lehrbuchs als „Lernbuch“ und Nachschlagewerk erläutert. Dann bringt der Autor eine Kurzübersicht über die einzelnen Kapitel und erklärt dabei auch, warum er diese jeweils in den Band aufgenommen hat. Es folgt ein Abschnitt über den „Standort des Öffentlichen Rechts“ in der Gesamtrechtsordnung (II.). Darin findet der Leser das wirklich Allerwichtigste zum Aufbau der Rechtsordnung, zur Abgrenzung des Öffentlichen Rechts zum Privatrecht und zur Normenhierarchie. Weniger geht nicht.
Da geht es schon ins „Europarecht“ (Kap. 1). Hinsichtlich dessen Aufbaus gibt es nichts zu kritisieren, dies gilt insbesondere hinsichtlich des heiklen Themas der EU-Grundrechte, die angemessen knapp ans Ende des Kapitels gesetzt sind und wo auch die bisherige Rechtsprechung des BVerfG hierzu wiedergeben wird. Wer diesen Inhalt beherrscht, kann getrost die Anschaffung eines eigenen Europarechtslehrbuchs vermeiden.
Weiter geht es mit zwei Kapiteln zum Verfassungsrecht, nämlich mit „Staatsordnung“ (Kap. 2), was man auch als „Staatsrecht I“ oder „Verfassungsrecht I“ bezeichnen könnte und „Wertordnung“ (Kap. 3; herkömmlich wohl eher „Grundrechte“ oder “Staatsrecht bzw. Verfassungsrecht II“).
Der Autor hat sich also zumindest äußerlich dazu entschieden, vom Staat, der „Staatsordnung“ auszugehen, nicht von der (geschriebenen) Verfassung. Hinsichtlich der Begriffe verwendet Haug den neuen Begriff der „Staatsprogrammsätze“ für die ansonsten als „Staatszielbestimmungen“ bezeichnete Kategorie (S. 97 m. Fn. 2). Ob dies für ein Lernbuch angezeigt ist, ist die Frage. Denn dem Korrekturassistenten einer Klausur wird der Begriff kaum geläufig sein. Haug gelingt es, inhaltlich auch die Anforderungen von (angehenden) Politikwissenschaftlern , indem er etwa die Volkssouveränität anhand Abraham Lincolns Gettysburg Address von 1863 erläutert, sodann das bundesrepublikanisch-klassische Legitimationsmodell von Ernst-Wolfgang Böckenförde (1987) erklärt und dann das Prinzip der wehrhaften Demokratie kurz darstellt. Innerhalb des Rechtsstaatsprinzips ist besonders anschaulich das Verhältnismäßigkeitsprinzip dargestellt, das – auch mit einer sehr übersichtlichen Grafik versehen wurde (S. 105).
Ebenfalls besonders gelungen ist die Übersicht über die Gewaltenteilung, das alle seine Dimensionen enthält (S. 109).
Die Darstellung der Staatsorgane ist sicherlich insgesamt angemessen, wenngleich der Bachelor-Student sicherlich hier keine vertieften Interessen haben wird (Andererseits: Aus eigener Lehrerfahrung weiß ich, dass der eine oder andere Kandidat hier durchaus persönlichen Nachholbedarf hat, so dass sich hier – wie etwa auch beim Kapitel Europarecht – der angehende Akademiker (!) sich dasjenige Wissen verschaffen kann, das man von ihm erwarten darf.)
Bedeutsamer ist sicherlich der Abschnitt über die „Verwaltung“ (V.). Haug beginnt hier knapp, aber äußerst sinnvoll mit der Darstellung der grundlegenden Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern (Rdr. 519 f.) und zeigt dann die heute bestehenden „Einzelformen des Gesetzesvollzugs“ auf. (Dies ist erst jüngst durch die Änderungen des Infektionsschutzgesetzes wieder relevant geworden.)
Im folgenden Abschnitt über die Rechtsprechung ist besonders die Übersicht über die Gerichtsarten (Rdnr. 544) hervorzuheben. Denn dieses sollte auch jeder Bachelor-Kandidat in der Struktur verinnerlicht haben. Die „Finanzordnung“, die das Kapitel abschließt, ist ein sehr prekärer Bereich, den in den letzten Jahren mehrfach geändert wurde (und über den der Föderalismus faktisch aufgehoben wurde, aber dies ist ein anderes Thema). Haug fasst den Abschnitt knapp und übersichtlich.
Das dritte Kapitel über die „Wertordnung“ trägt, wie gesagt, einen sehr ungewöhnlichen Titel. In diesem Kontext gelingt es aber zugleich, objektives und subjektives Recht darzustellen, was auch überzeugen kann. #Hier wird auch das Verfassungsprozessrecht behandelt.
Das vierte Kapitel behandelt das Allgemeine Verwaltungsrecht und ist sicherlich für die meisten Nutzer des Werkes zentral. Hier ist auf die beiden Übersichten auf S. 273 besonders hinzuweisen. Sie helfen, dieses oftmals nur als Restkategorie bezeichnete Phänomen Verwaltung besser zu verstehen. Wichtig ist auch die Übersicht auf S. 277 über die mittelbare Staatsverwaltung. Denn diese spielt sowohl im Wirtschaftsrecht wie im Sozialrecht eine große Rolle.
Ähnliches gilt für die Unterscheidungen zwischen unbestimmtem Rechtsbegriff, Beurteilungsspielraum und Ermessen (Übersichten Rdnr. 870, 875).
Für die Handlungsformen zeigt Haug anschaulich auf, wie die Verwaltung handeln kann und wie die einzelnen Handlungsformen in ihren Wirkungen voneinander zu unterscheiden sind (Rdnr. 885, 889).
Angemessen ist auch die Vertiefung der Handlungsform Verwaltungsakt (Rdnr. 897 ff.). Kapitel 4 schließt mit dem Rechtsschutz, der erfahrungsgemäß ebenfalls fehlerträchtig ist. Wer bis dahin den Band aufmerksam studiert hat, der wird auch die Gerichtsbarkeit verstehen.
Das fünfte und letzte Kapitel enthält „ausgewählte Gebiete des Besonderen Verwaltungsrechts“. Auch hier muss man davon ausgehen, dass Hauptfachstudierende und solche im Bachelor durchaus unterschiedliche Interessen haben. Für Bachelor ist regelmäßig das öffentliche Wirtschaftsrecht von Bedeutung, mit dem das Kapitel beginnt (Über die einzelnen Inhalte, die dann präsentiert werden, lässt sich immer trefflich streiten.). Es folgt das Kommunalrecht (II.).
Dies ist für Studierende zum Staatsexamen gleichermaßen von Interesse wie für diejenigen, die an Verwaltungshochschulen eingeschrieben sind. Interessant ist, dass dem ein relativ knapper Abschnitt über „Planungsrecht“ (III.). dies ist, so wie es hier präsentiert wird, klassisch eher ein Thema des Allgemeinen Verwaltungsrechts. Das Polizeirecht fehlt, allerdings hätte dieses den Band noch einmal nicht unwesentlich an Umfang wachsen lassen. Zudem entspricht die Auswahl dem Vorgängerwerk.
Was die im Anfang anklingende Kritik angeht, so ist darauf hinzuweisen, dass Haug auch noch ein Werk „Fallbearbeitung im Staats- und Verwaltungsrecht“ geschrieben hat (9. Aufl. 2018), wo man die Fallbeispiele findet, die mancher Leser in dem hiervorgestellten Band vermissen mag (Haug weist selbstverständlich zu Beginn auf diesen Band hin (S. 2)).
Im vorliegenden Werk hat Haug zwar zahlreiche Beispiele zur Erläuterung eingestreut, aber für die Fallbearbeitung muss man noch den zweiten Band beschaffen (anders als beim zivilrechtlichen Schwesterwerk von Schnauder).
Wer diese Ausgaben nicht scheut, dürfte allerdings perfekt ausgestattet sein. Im Jura-Vollstudium wird allerdings hier und dort noch ein anderes Lehrbuch in die Hand zu nehmen sein.
Jedes Lehrbuch ist ein Kompromiss. Dies ist ein Kompromiss von höchster Qualität.
Volker M. Haug, Öffentliches Recht im Überblick. Staats- und Verwaltungsrecht für Bachelor und Staatsexamen, 3. Aufl., Heidelberg, 442 S., 30,- (ISBN 9783811453296)