Neues aus Bayreuth

Die Forschungsstelle für Lebensmittelrecht arbeitet auch während „Corona“ weiter

Matthias Wiemers

Seit 1990 gibt es die Forschungsstelle für Lebensmittelrecht an der Universität Bayreuth. Sie hat sich bereits frühzeitig bestens bewährt und wird von einem in München ansässigen Förderverein gefördert, der private Mittel einwirbt, die sich den gezielten Förderungen der Bayerischen Staatsregierung an die Seite stellen, die Oberfranken – etwa mit der Initiative „Genussland Oberfranken“ – als eher strukturschwächerer Region im ehemaligen „Zonenrandgebiet“ seit langem unterstützt. Frühzeitig hat die Forschungsstelle, die heute von den beiden Öffentlichrechtlern Markus Möstl und Kai Purnhagen angemessen geleitet wird, bereits eine eigene Schriftenreihe aufgelegt, die inzwischen unter der Marke „Fachmedien Recht & Wirtschaft“ in der Frankfurter dfv-Mediengruppe erscheint. Nahfolgend ein kleiner Blick auf die Erscheinungen der letzten drei Jahre:

Band 40 (2019): Markus Möstl (Hrsg.), Das Lebensmittelrecht zwischen Verbraucherschutz und Agrarpolitik. Kennzeichnung, Überwachung, Vermarktung, 146 Seiten: Der Band gibt die Ergebnisse des 17. Bayreuther Symposiums wieder, das am 11. Und 12. Oktober 2018 und betrifft einen wichtigen Aspekt. Denn das Lebensmittelrecht gehört zum Bereich der Agrarpolitik, wenngleich schon auf EU-Ebene beide Bereiche unterschiedlichen Generaldirektionen angehören. Deutlich wurde der Zusammenhang erst jüngst, wenn der Agrarsektor als besonderer Verantwortungsbereich für die Senkung von Treibhausgasen identifiziert wurde. Aber auch klassisch gibt es ein Spannungsfeld zwischen dem dem Schutz von Verbrauchern gewidmeten Lebensmittelrecht und der Agrarpolitik. Denken wir hierbei nur einmal an das Weinrecht (, das wohl im Schwerpunkt Agrarpolitik darstellt).
Die Beiträge des Bandes sind knapp gefasst, aber thematisch reichhaltig. Olaf Sosnitza, Würzburg, der der Forschungsstelle angehört, fragt nach Wertungswidersprüchen zwischen Kennzeichnungsregeln des Marktordnungsrechts und des allgemeinen Lebensmittelrechts. Birgit Rehlender, Vorsitzende der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission, gibt einen Bericht über den Stand der Leitsatzarbeit, Christine Bothmann, LAVES in Oldenburg, wirf für die Tierwohlkennzeichnung die Frage nach privaten Siegeln oder staatlichen Normen auf und Thomas Huber vom KBLV in Bayern, gibt einen Bericht zur Kontroll- und Vollzugspraxis seiner Behörde. Jonas Kiefer, Rechtsreferendar, ordnet die Herkunftsangabe in das Lebensmittel- Lauterkeits- und Kennzeichenrecht ein. Stephan Clemens, Bayreut, gibt eine naturwissenschaftliche Einführung ins Genome Editing, dem Hans-Georg Dederer, ebenfalls Bayreuth, eine rechtliche Betrachtung an die Seite stellt. Mit Jörg Gundel stellt ein weiteres Mitglied der Bayreuther Rechtsfakultät Betrachtungen zu Agrarpolitik und EU-Kartellrecht an, bevor sein Kollege Jochen Glöckner Unlautere Handelspraktiken in der Lebensmittelversorgungskette zwischen Vertragsrecht, Wettbewerbsrecht und Regulierung betrachtet.

Band 41 (2021): Robert Paul Simon, Time-Temperature-Indicators als Bestandteil intelligenter Verpackungen. Eine lebensmittelrechtliche Betrachtung, 125 S.: Simon, bis 2020 Wiss. Mitarbeiter der Forschungsstelle, gibt einen Bericht über ein sehr aktuelles Forschungsprojekt, das in Bayreuth abgeschlossen werden konnte und das angesichts des Problems der Lebensmittelverschwendung einen Beitrag zur Lösung leisten kann. Hier soll nur darauf hingewiesen werden, dass nach Einschätzung der Projektmitarbeiter eigentlich kein rechtspolitischer Reformbedarf besteht, allenfalls die Möglichkeit, „zu einer schlankeren und übersichtlicheren Regelung zu kommen.“ (S. 7). Dem ist nichts hinzuzufügen.
Band 42 (2021) : Markus Möstl und Kai Purnhagen (Hrsg.), Maßnahmen und Sanktionen im Lebensmittelrecht, 128 S.
Hier handelt es sich um die Wiedergabe der Vorträge des 18. Bayreuther Symposiums vom 16. Und 17. Oktober 2019.
Jens Bülte, Strafrechtler aus Mannheim, betrachtet „Lebensmittelrechtliche Maßnahmen und Sanktionen im Lichte des Unionsrechts“ . Bernhard Mühlbauer aus dem Bayerischen Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz berichtet von „VIG als Massenverfahren – Topf Secret“, und Petra Mock vom entsprechenden Ministerium in Baden-Württemberg stellt die „Probleme des § 40 Absatz 1a LFGB“ dar. Wesentlich gehaltvoller und umfangreicher ist der Beitrag von Rechtsanwalt Rochus Wallau, der nach § 40 Abs. 1a Nr. 3 LFGB als neuer Sanktionsform fragt. Stephan Koch aus dem einschlägigen Ministerium in Dresden behandelt die „Schaffung eines einheitlichen Bußgeldkatalogs und Fragender Bußgeldbemessung“ genau aufgrund der in der § 40 Abs. 1a enthaltenen 350-Euro-Schwelle. Eine praktisch besonders wichtige Frage wird Mitdirektor Möstl auf, indem er frage, was sich aus den Artikeln 137, 138 der neuen Kontrollverordnung ergibt, ob dadurch nun § 39 LFGB verdrängt wird. Hieraus gibt Möstl eine differenzierte und nachvollziehbare Antwort, die freilich nicht froh stimmen kann: Es kommt (in der Anwendung) darauf an.
Heinrich Amadeus Wolff, Bayreuth, und seine Wiss. Mitarbeiterin Verena Stürmer behandeln „Das Lebensmittelrecht aus datenschutzrechtlicher Perspektive“ und Franz Hofmann, Erlangen, behandelt „Unterlassung und Rückruf im Lebensmittelrecht“ lauterkeitsrechtlich, und Olaf Hohmann, Stuttgart, erläutert genau zu diesem Thema die Anforderungen an entsprechende Compliance-Management-Systeme. Der Band schließt mit einem strafrechtlichen Beitrag von Nikolaus Bosch, Bayreuth, der die neuen Möglichkeiten der Vermögensabschöpfung im Lebensmittelrecht kritisch betrachtet.

Band 43 (2022): Markus Möstl/ Kai Purnhagen (Hrsg.), Public & Private Enforcement im Lebensmittelrecht. Zusammenspiel und Spannungsfeld von behördlicher und privater Rechtsdurchsetzung, 146 S.: Hierbei handelt es sich um das 19. Bayreuther Symposium, das zunächst auf den 11./12. Februar 2021 und dann in die digitale Form verschoben werden musste.
Der noch neue Mitdirektor Kai Purnhagen gibt zunächst eine Einführung in das Thema, bevor Florian Becker, Kiel, und seine Mitarbeiter Marie Holst und Nicolas Harding die Frage aufwerfen, ob das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung noch eine wirksame Schranke behördliche Öffentlichkeitsinformation sei.
Mit der Umsetzung der BVerfG-Entscheidung zu § 40 Abs. 1a LDGB setzen sich sodann in Einzelbeiträgen Esther Roffael, Markus Grube und Stephan Ludwig auseinander.
Robert Paul Simon referiert sodann die Ergebnisse des o. g. Forschungsprojekts. Susanne Einsiedler vom vzbv berichtet über die Rechtsdurchsetzung des vzbv im Bereich des Lebensmittelrechts, bevor Jürgen Gloser, Norbert Fuchsbauer und Georg Hartmann von der Firma Hipp einen Praxisbericht über die „Herausforderungen in der Qualitätssicherung aus der Sicht eines Babynahrungsherstellers liefern. Anke Kölling aus dem niedersächsischen Verbraucherschutzministerium behandelt das Thema „Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln“. Petra-Alina Unland, eine der ersten Doktorandinnen an der Forschungsstelle und Leiterin des Bereichs Lebensmittelrecht bei Dr. Oetker, behandelt rechtliche und praktische Probleme des Nährwert-Kennzeichnungssystems Nutri Score. Rochus Wallau gibt einen Einblick in die rechtlichen Anforderungen des Schädlingsmanagements in Lebensmittelbetrieben, bevor Marcus Girnau, Lebensmittelverband Deutschland und Oliver Huizinga von foodwatch jeweils ihre Sicht auf die Einflussmöglichkeiten von NGOs im Bereich des Lebensmittelrechts geben.

Band 44 (2022): Katja Brzezinski-Hofmann/ Alexander Lang (Hrsg.), Praktische Fallbeispiele zum Lebensmittelrecht 138 S.: Dieser von insgesamt fünf aktuellen bzw. ehemaligen Mitarbeitern der Forschungsstelle zusammengestellte Sammlung praktischer Fälle füllt eine Lücke. Denn trotz zweier universitärer Forschungsstellen (Bayreuth und Marburg) und zahlreichen Hochschulen, die sich ebenfalls mit Lebensmittelrecht beschäftigen, fehlt es an solchen, auch in der Lehre einsetzbaren Fällen.

Band 45 (2022): Markus Möstl/ Kai Purnhagen (Hrsg.), Lebensmittelrecht im Mehrebenensystem: Neuerungen, Entwicklungslinien, Spannungslagen, 93 S.: Dieser recht knappe Band gibt, auch wenn es im Vorwort nur angedeutet wird, offenbar das 20. Bayreuther Symposium aus dem Herbst (?) 2021 wieder.
Lorenz Franken, Abteilungsleiter aus dem BMEL, präsentiert „Die Farm-to-Fork-Strategie und ihre Bedeutung für das Lebensmittel-Kennzeichnungsrecht“. Annett Mellenthin und Georg Schreiber vom BVL zeigen „Amtshilfe digital – das BVL als nationale Kontaktstelle im EU Alert and Cooperation Network“.
Evelyn Kirchsteiger-Meier von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften referiert zu „Neuerungen des Codes Alimentarius, insbesondere zu HACCP und zur Lebensmittelsicherheitskultur“ und deckt somit die wahren Hintergründe für die Änderungen der VO 852/2004 auf.
Rechtanwalt Stephan Schäfer zeigt in sehr ausführlicher Form praktische Auswirkungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes auf die Ernährungswirtschaft auf, und Werner Schroeder, Innsbruck, zeigt das Problem der „Herkunftskennzeichnung und Grenzen der Renationalisierung im Mehrebenensystem“.
Gaelle Saint-James und Julie Legay, Rechtsanwälte aus Paris, zeigen: „The national measures and origin labelling:the lactalis case.“, un Rechtsanwalt Christian Böhler, Frankfurt, beleuchtet „Herkunftskennzeichnung unter Irreführungsgesichtspunkten“, bevor Peter Loosen, Brüsseler Geschäftsführer des Verbandes Lebensmittelwirtschaft Deutschland noch einmal die Herkunftskennzeichnung und das von mitgliedstaatlichen Regelungen aufgeworfene Spannungsfeld nachweist.

Alles in allem kann festgestellt werden, dass die Bayreuther Forschungsstelle auch nach 32 Jahren auf der Höhe der Zeit ist, wobei auffällt, wie stark sich der Freistaat Bayern und die einzelnen Professoren des Fachbereichs hier engagieren. Auf weitere Ausgaben der Schriftenreihe dürfen wir gespant sein.

Veröffentlicht von on Aug 8th, 2022 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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