Mit Jura ans Gymnasium

Lehramtsstudiengänge für das Fach „Rechtskunde“ in Thüringen und Bayern – Bedarf in Norddeutschland

Benedikt Vallendar

Wer Jura studiert, wird Richter, Staats- oder Rechtsanwalt, Justiziar in einem Unternehmen oder geht in die Verwaltung. So lautet ein landläufiges Klischee über angehende Juristen. Doch es gibt  Alternativen. In Thüringen und Bayern lässt sich Jura auch für das höhere Lehramt studieren.  „Wirtschaftslehre / Recht“ heißt der Studiengang und wird unter anderem an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) sowie in verschiedenen bayerischen Hochschulstandorten angeboten.  „Das Studium verfolgt das Ziel, die wissenschaftliche Befähigung für die Erteilung von Unterricht in diesem Fach an thüringischen Gymnasien zu erlangen“, sagt FSU-Pressesprecher Axel Burchardt. Die wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung nimmt ungefähr 50 Prozent des Faches ein, der rechtswissenschaftliche Anteil beträgt 30 Prozent, Fachdidaktik machen 20 Prozent aus. „Lehrinhalte sind unter anderem Betriebs- und Volkswirtschaftslehre, Bürgerliches Recht, Öffentliches Recht und Schuldrecht“, sagt Burchardt. Bei der Anmeldung zum Ersten Staatsexamen beziehungsweise „Master of Education“ (M.Ed.) ist ein kaufmännisches Praktikum von drei Monaten nachzuweisen, das inhaltlich auf die Erfordernisse der Wirtschaftswissenschaften abgestimmt ist. „`Wirtschaftslehre / Recht` ist  mit jedem anderen Schulfach aus dem Fächerkanon des Gymnasiums kombinierbar“, sagt Burchardt. Als Zweitfach könnten die Fächer Deutsch, Englisch, Geschichte oder Mathematik sinnvoll sein, so der FSU-Sprecher.  Wurde das Studium erfolgreich abgeschlossen, besteht in Thüringen die Möglichkeit, über eine so genannte „Erweiterungsprüfung“ die Lehrbefähigung für ein drittes Unterrichtsfach, etwa Russisch oder Italienisch, zu erlangen. „Je mehr Fächer ein Absolvent vorweisen kann, desto größer sind seine Einstellungschancen im staatlichen Schuldienst“, sagt Burchardt.
In den vergangenen Jahren haben wirtschaftsnahe Kreise mehrfach gefordert, das Fach „Wirtschaft und Recht“ an allgemeinbildenden Schulen aller Bundesländer verpflichtend einzuführen. Umfragen unter Schülern hatten große Wissenslücken in diesem Bereich zutage gebracht. Bayern und Thüringen haben damals  eine Vorreiterrolle übernommen. In beiden Freistaaten ist das Fach mittlerweile so etabliert, dass mit der Umstellung auf den neuen Lehrplan (Abitur in acht Jahren) die Pflichtstunden deutlich erhöht wurden.

An bayerischen Gymnasien wird Wirtschaft / Recht ab Jahrgangsstufe 9 gelehrt. Bei Wahl des wirtschaftswissenschaftlichen Zweiges ist es bereits ab Jahrgangsstufe 8 Kernfach. Dort wird zusätzlich auch Wirtschaftsinformatik unterrichtet. Auch eine Wahl als Grund- oder Leistungskurs in der bayerischen Kollegstufe ist möglich.
In Thüringen wird Wirtschaftslehre / Recht  seit 1990 unterrichtet, „auch als Reaktion auf 40 Jahre DDR-Sozialismus, um Schülerinnen und Schüler mit den Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft vertraut zu machen“, wie ein Insider aus dem Kultusministerium in Erfurt sagt. Zu DDR-Zeiten gab es das Fach ESP, „Einführung in die sozialistische Produktion“, das eindeutig ideologische Züge trug und vor allem die Wirtschaftspolitik der SED rechtfertigen sollte.

Wirtschaftslehre / Recht wird in Thüringen ab der achten Klasse in einer Stunde pro Woche unterrichtet. An Gymnasien kann es auch als Grundkurs mit zwei Wochenstunden oder als Leistungskurs mit sechs Wochenstunden in den Klassenstufen 11 und 12 belegt werden. Es zählt zu den Gesellschaftswissenschaften und kann diesen Bereich für das Abitur allein abdecken. „Themenschwerpunkte sind Grundlagen der Wirtschaft, etwa das Verhältnis von Angebot und Nachfrage sowie Vertragsrecht, Familienrecht und Strafrecht“, sagt Pressesprecher Burchardt.

Gute Gehälter für Gymnasiallehrer

Die Abwechslung, das heißt die Kombination von pädagogischen, historischen, sozialwissenschaftlichen und rein juristischen Inhalten,  ist zugleich der besondere Charakter dieser Form des Jurastudiums. Manche, die im ersten juristischen Staatsexamen gescheitert sind, bundesweit immerhin rund 30 Prozent eines Prüfungsjahrgangs, haben später umgesattelt, indem sie sich Scheine und Prüfungsleistungen anerkennen ließen, noch ein Zweitfach studiert haben und Lehrer geworden sind.  Die wenigsten dürften es bereut haben, denn das  durchschnittliche Jahresbruttoeinkommen eines Gymnasiallehrers liegt nach fünf bis sieben Berufsjahren bereits über 50.000 Euro, bei drei Monaten Ferien im Jahr;  Arbeitsbedingungen, von denen viele, selbstständige Rechtsanwälte nur träumen können.

Auch angehende Politologen, egal ob sie auf Lehramt oder mit einer anderen Richtung studieren, kommen an der Rechtwissenschaft nicht vorbei. „Rund ein Viertel des Studiums besteht aus Jura“, sagt Jenny Krämer, die an der Universität Potsdam ihren Magisterabschluss in Politik und Geschichte gemacht hat und heute als Dozentin bei einem privaten Bildungsträger für Migranten im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg arbeitet. In ihrem Berufsalltag hat es die gebürtige Rheinländerin häufig mit Fragen des Sozial- und Ausländerrechts zu tun, alles  Bereiche, mit denen sich die 36-Jährige im Studium auch beschäftigen musste. Krämer leitet Deutschkurse für Ausländer, organisiert Workshops und berät Hilfesuchende juristisch, etwa bei Fragen des Aufenthaltsrechts und Asylbewerberleistungsgesetzes.
Anders als im klassischen Jurastudium sind die juristischen Anteile im Politikstudium breiter angelegt und mit mehr Wahlmöglichkeiten versehen. Wer Politik studiert, der beschäftigt sich vor allem mit Staats- und Verfassungsrecht, mit Grundlagen des Handelsrechts, dem Bürgerlichen Gesetzbuch, dem Strafrecht und Bereichen des Schuldrechts.
Diejenigen, die Politik oder Sozialkunde, wie das Fach in den meisten Bundesländern heißt, für das höhere Lehramt studieren und ein begehrtes Zweitfach wie Latein, Mathematik oder evangelische Religionslehre haben, können zurzeit auf einen entspannten Arbeitsmarkt blicken. Lehrer sind in Deutschland in manchen Bundesländern zur Mangelware geworden, trotz guter Gehälter und sicherer Berufsperspektive.

Lehrermangel in Niedersachsen

So haben derzeit auch Politikabsolventen ohne Lehramtsstudium eine Chance.  Niedersachsen etwa sucht Politiklehrer und bietet  Magister-, Master- oder Diplomabsolventen die Chance, dauerhaft im höheren Schuldienst des Landes unterzukommen. Bewerber werden als Angestellte im höheren Dienst (bezahlt  nach TV-L  13) eingestellt und berufsbegleitend in Pädagogik und Fachdidaktik an einem staatlichen Studienseminar, etwa in Göttingen oder Braunschweig, nachgeschult.

Zudem wurden in Niedersachsen, entgegen dem Trend, der noch vor wenigen Jahren herrschte, mit Inkrafttreten des neuen Beamtengesetzes (NBG) zum 1. April 2009 die Möglichkeiten der Verbeamtung erweitert. Wer in dem nördlichen Bundesland Studienrat an einem Gymnasium oder einer Berufsbildenden Schule werden möchte, kann das bis dato obligatorische Referendariat künftig durch Berufspraxis, die „innerhalb und außerhalb des öffentlichen Dienstes erworben wurde“, ersetzen. Die Altersgrenze liegt bei 45. Näheres wird eine neue Laufbahnverordnung für Lehrer regeln, an der das Kultusministerium in Hannover zurzeit arbeitet. Auf seiner Homepage wirbt das Ministerium um Quereinsteiger, mit der Aussicht, dass „in den kommenden Jahren voraussichtlich nicht genügend Lehrer“ für das Unterrichtsfach Politik an Gymnasien und den  entsprechenden Bereichen der Gesamtschulen zur Verfügung stehen werden, vor allem in ländlichen Regionen.  „Wir setzen uns dafür ein, dass die Qualität der Lehrerausbildung nicht unter dem gegenwärtigen Lehrermangel leidet“, sagt Horst Audritz, Vorsitzender des Niedersächsischen Philologenverbandes ,  der mitgliederstärksten Interessensvertretung von Gymnasiallehrern im Land. Wert legt sein Verband auf eine fundierte, fachwissenschaftliche Ausbildung der Quereinsteiger in mindestens zwei Unterrichtsfächern.
„Mich hat am Politikstudium vor allem die Möglichkeit, ausländische Rechtssysteme kennenzulernen und sich mit den Rechtskodifizierungen anderer Kulturen zu beschäftigen, fasziniert“, sagt Krämer. In Kürze tritt die junge Frau ihren neuen Job als Lehrerin an einem Gymnasium in Nordfriesland an. Ihre juristischen Erfahrungen aus Studium und Beruf dürften den Einstieg erleichtern, denn Krämer wird auch in Oberstufenklassen unterrichten.

Weitere Informationen:

www.phvn.de
www.verband-der-rechtskundelehrer.de

Veröffentlicht von on Aug. 13th, 2010 und gespeichert unter DRUM HERUM, UND DANACH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

1 Antwort for “Mit Jura ans Gymnasium”

  1. […] Jura in diversen Berufen? Mit Jura ans Gymnasium | Justament Also in NRW ist es eine AG und in Thüringen, Bayern gibt es das als eingenständiges Fach? In dem […]

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