Redseliger Rock-Rentner

Achim Reichel erzählt und singt auf „Solo mit euch“ – und greift tief in die Schatztruhe seines Frühwerks

Thomas Claer

scheiben-tc-achim-reichel-bildWenn Rockmusiker in die Jahre kommen, dann gibt es zu den Jubiläen nicht selten  entsprechende Konzerte, und aus diesem Material erwächst dann wiederum meist eine C-, wenn nicht gleich DVD – oder noch besser: beides nebeneinander. So hält es auch der Hamburger Ex-Boygroupstar, Ex-Krautrocker, Shanty- und Volksliedadoptierer, Balladen- und Großstadtlyrikvertoner Achim Reichel, inzwischen 66. Anlässlich seines Eintritts ins gesetzliche Rentenalter ist von ihm nun schon das dritte Live-Album in nur 16 Jahren erschienen. Doch anders als auf „Große Freiheit“ (1994) und „100 % Leben“ (2004) versucht sich Reichel diesmal auf der ersten der beiden CDs von „Solo mit euch“ auch als unterhaltsamer „Storyteller“, der heiter und beschwingt Anekdoten aus seinem bewegten Musiker-Leben zum besten gibt. Und was soll man sagen, man hört das alles schon ganz gerne, zumal hier erfreulicherweise auch die Hinter- und Beweggründe so mancher seiner früheren – oft überraschenden – konzeptionellen Neuausrichtungen erklärt werden. Auf der zweiten CD finden sich dann Solo- (d.h. nur von Berry Sarluis auf dem Akkordion und Pete Sage auf der Violine begleitete) Einspielungen vieler Reichel-Klassiker, aber auch etlicher Songs, die er locker zwanzig oder gar dreißig Jahre nicht mehr live gespielt haben dürfte. Seine Rock-Version des alten Seemanns-Schlagers „Sie hieß Mary Ann“ gab es bislang nur auf der nie als CD gepressten Compilation-Platte „Rock in Deutschland, Vol. 7“ von 1981! Und auch der „Blonde Hans“ vom Skandal-Poeten Kiev Stingl und die wunderbar böse Christian Morgenstern-Adaption „Sophie, mein Henkersmädel“ hat man schon verdammt lange nicht mehr von ihm gehört. Die größte Entdeckung ist aber zweifellos „Mama Stadt“ aus der Feder des 1987 tragisch verunglückten Popliteraten Jörg Fauser, ein bislang eher unauffälliges Stück vom legendären „Blues in Blond“-Album aus den frühen Achtzigern, das hier in der reduzierten Version mit ihren lapidaren Gitarrenriffs zu ungeahnter Größe aufsteigt. „Blätter fall’n von totgesagten Bäumen …“ heißt es dort, und: „Die Leben geben dürfen sich auch Leben nehmen/ Und sich aus Trümmern Träume baun“. Das hat schon Klasse! So möchte man Achim Reichel am Ende inständig bitten, doch künftig bei der Auswahl seiner Songs ruhig noch etwas tiefer in die versunkene Schatztruhe seines Frühwerks zu greifen. Spätestens zum 70. Geburtstagskonzert wünschen wir uns endlich einmal den „Fliegenden Holländer“ vom Klabautermann-Album (1977), auch wenn manche Aloha Heja He-Fans damit vielleicht wenig anfangen können. Oder noch besser: „Zehn Jahre lebenslänglich“ von A.R. 3 (1972). Das Urteil lautet: voll befriedigend (12 Punkte).

Achim Reichel
Solo mit euch
Doppel-CD
Indigo 2010
Ca. € 17,-
ASIN: B003Y5W3Z8

Veröffentlicht von on Jan 17th, 2011 und gespeichert unter SCHEIBEN VOR GERICHT. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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