Soundtrack eines Lebensgefühls

Das siebte Notwist-Album „Close to he Glass“

Thomas Claer

cover-notwistWelch ein Glück, die begnadeten Soundtüftler aus Oberbayern sind wieder da – mit einem Album, das durchaus mehr zu bieten hat als bloße Ruhmesverwaltung. Viel muss man heute wohl nicht mehr sagen zum traurig-schönen Notwist-Sound, zum universellen Soundtrack eines verloren-urbanen Lebensgefühls. Kaum zu glauben, dass die Brüder Markus und Micha Acher in den frühen Neunzigern mit zwei Heavy-Rock-Platten angefangen haben. Davon war später aber nicht mehr viel zu hören. Zwischen 1995 und 2002 erschienen dann ihre großen Pop-Meisterwerke, an denen man sich nicht satthören konnte: das bunte Album „12“, das blaue Album „Shrink“ und das rote Album „Neon Golden“. Teil der Kernbesetzung neben den Acher-Brüdern ist seit 1997 auch Martin „Konsole“ Gretschmann, der für die elektronische Komponente sorgt. Und ganz nebenbei begründeten die Musiker durch zahlreiche verwandte Nebenprojekte wie Lali Puna und Ms. John Soda mit der „Weilheimer Schule“ der notwistesken Pop-Musik eine Art südliches Pendant zur „Hamburger Schule“ des nördlicheren Indie-Pop.
Das letzte Jahrzehnt ließen The Notwist allerdings etwas geruhsamer angehen. Ihre vorige Platte „The Devil You + Me“ von 2008 war eher zwiespältig: Genau fünf exzellente Songs standen sechs reichlich misslungenen gegenüber, auf denen sie sich, man muss es so hart sagen, ein wenig im Bombast verirrt hatten. Jetzt sind sie aber glücklicherweise wieder voll und ganz bei sich angekommen. Der Einstieg in „Close tot he Glas“ ist betont elektronisch. Es frickelt, knarzt und loopt nicht mehr nur wie bisher, nein, neuerdings piept und tutet es sogar bei ihnen. Doch das gibt sich dann im weiteren Verlauf der Platte. Der große Kracher ist natürlich die Single „Kong“. Beim anfänglichen Hören klingt Markus Achers hohe Stimme zu Beginn zwar noch etwas befremdlich, doch dann hat man flugs diesen Ohrwurm in sich und wird ihn nicht mehr los. In der Mitte des Albums folgen ein paar sehr schöne und sehr reduzierte Gitarren-Songs. Und am Ende gibt es plötzlich noch ein paar regelrechte Ambient-Tracks, die an die frühen Pink Floyd und die Anfänge von YELLO erinnern. Mit etwas Gewöhnung lässt sich auch denen etwas abgewinnen. So ließe sich allenfalls einwenden, dass es auf dieser Platte hin und wieder eine Spur zu poppig zugeht. Aber na wenn schon… Alles in allem also wieder eine rundum erfreuliche und dabei überraschend vielfältige Scheibe der Weilheimer. Nicht umsonst haben sie jahrelang dran gefeilt. Das Urteil lautet: gut (13 Punkte).

The Notwist
Close to the Glass
City Slang (Universal) 2014
Ca. € 16,-
ASIN: B00GRHBEAA

Veröffentlicht von on Mrz 24th, 2014 und gespeichert unter SCHEIBEN VOR GERICHT. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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