Scheiben vor Gericht Spezial: Zum 60. Geburtstag von Nina Hagen
Thomas Claer
Schon als ganz kleines Mädchen hat sie Opernsängerinnen imitiert. Später saß sie vor dem Berliner Ensemble auf dem Schoß des steinernen Bertolt Brecht und las dessen in Stein gemeißelte Zitate. Mit neun Jahren wurde Wolf Biermann ihr Stiefvater und brachte ihr das Gitarrespielen bei. Etwas anderes als eine große Karriere als Popstar ist für Nina Hagen nie in Frage gekommen. Und schon sehr früh wurde ihr klar, dass sie dazu raus musste, nur raus aus der kleinen, muffigen DDR, in der sie immer nur „die Tochter von Eva Maria Hagen“ war, aber doch immerhin 1974 schon ihren ersten Hit hatte: „Du hast den Farbfilm vergessen“. Nach Biermanns Ausbürgerung 1976 schrieb sie, darunter machte sie es nicht!, einen Brief an den Genossen Erich Honecker persönlich. Ein paar Monate später war sie bereits im Westen und quartierte sich zunächst ganz standesgemäß in einer prominenten Hamburger Künstler-WG ein. Ihre Mitbewohner hießen: Udo Lindenberg, Marius Müller-Westernhagen und Otto Waalkes. Letzterer zeigte ihr Hamburg. Doch lange hielt sie es dort nicht aus. Es lockte – nach einem kurzen Intermezzo in London – der goldene Westen ihrer Heimatstadt Berlin. Sie gründete ihre erste Punkrockgruppe und brachte ihre einhellig gefeierte Debüt-Platte „Nina Hagen Band“ heraus, die zu drei Vierteln noch aus frühen Kompositionen aus dem Osten bestand. Unvergesslich sind ihre Provokationen in den folgenden Jahren. Die ganzen Achtziger hindurch sorgte sie für einen Skandal nach dem anderen: demonstrierte in einer spießigen österreichischen Talkshow die Techniken der weiblichen Selbstbefriedigung, nannte ihre Tochter Cosma Shiva, heiratete 1987 auf Ibizza einen 17-jährigen Punk (die Ehe hielt eine Woche). Auch ihre beiden darauffolgenden Ehemänner waren 15 und 22 Jahre jünger als sie selbst. Zuletzt war sie vor zehn Jahren mit einem 28 Jahre jüngeren Mann liiert. Seitdem hat sie, wie sie die Boulevardpresse vielfach wissen ließ, „keinen Mann mehr angefasst“, zumal sie ja mittlerweile auch zur strenggläubigen Christin mutiert ist. Ein legendäres Wortgefecht über UFOs lieferte sie sich 2005 in der Fernsehsendung „Maischberger“ mit der früheren Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth.
Das vielleicht Ungewöhnlichste an Nina Hagen ist jedoch, dass sie sich auch noch in fortgeschrittenem Alter kleidet und aufführt wie ein Clown. Am vergangenen Mittwoch ist die große exzentrische Diva der deutschen Popmusik 60 Jahre jung geworden. Das Urteil über ihre Debüt-LP „Nina Hagen Band“ aus dem Jahr 1978 lautet: gut (13 Punkte).