Die neue Leipziger Propsteikirche ist auch ein architektonischer Sieg über die SED-Diktatur und ihre intolerante Politik gegenüber Minderheiten
Benedikt Vallendar
Leipzig – „Nein, Turmfalken habe ich an dieser Stelle noch nicht gesehen“, sagt ein alteingesessener Leipziger. Nachdem er in der Zeitung über die neue Propsteikirche Sankt Trinitatis im Zentrum gelesen hatte. Tatsächlich sollen diese vom Aussterben bedrohten Raubvögel dort ein neues Zuhause bekommen. Hoch oben im Kirchturm, wofür eigens Vorkehrungen geschaffen wurden. Die Planer des neuen Gotteshauses an der Nonnenmühlgasse 2, mitten in der Leipziger City haben weit voraus gedacht: Alle die es brauchen, sollen es künftig nutzen dürfen; soweit sie sich nicht gegenseitig in die Quere kommen. Das ist die Bedingung. Ein Konzept, das an den heiligen Franz von Assisi erinnert, der auch zu Tieren eine fast schon mystisch-freundschaftliche Beziehung gepflegt hat, weil er sie für gleichberechtigte, von Gott gewollte Lebenselemente hielt.
Mit Heizwärme kühlen
Die neue Leipziger Propsteikirche, die am 9. Mai 2015 ihre Tore geöffnet hat, steht dort, wo im Krieg besonders viel kaputt gegangen ist. Und danach kaum wieder aufgebaut wurde. Weil die SED unter Walter Ulbricht das in den fünfziger Jahren so wollte; und wohl auch, um Platz für die monströsen Wohnprojekte der Partei zu haben, von denen viele später, aus Geldmangel, in der Schublade geblieben sind. Nach Kriegsende hatte die SED den Wiederaufbau der alten Propsteikirche im Zentrum immer wieder verschleppt und die Gemeinde stattdessen an den Stadtrand auf ein sumpfiges Gelände verdrängt. Ungeachtet der Tatsache, dass Katholiken das christliche Leben in der Stadt schon seit Beginn des 18. Jahrhunderts maßgeblich mitbestimmen.
Mitten im Leben und „auferstanden aus Ruinen“, die Einleitungsstrophe der früheren DDR-Nationalhymne würde daher als Motto auch gut auf den Standort der neuen Leipziger Propsteikirche passen. Denn nach dem Willen der SED sollten, aller anderslautenden Rhetorik zum Trotz, mehr als tausend Jahre Christentum aus Mitteldeutschland verschwinden; für immer die Orientierung der Menschen an etwas höherem als der Partei aus den Köpfen verbannt werden. Doch bekanntlich war es am Ende die SED, die nach nur vierzig Jahren in die Geschichte entlassen wurde. Und neben Trümmern auch viele Baulücken hinterlassen hat. Ein Glücksfall für Leipzig, wo die Umgebung rund um die neue Propsteikirche heute besonders schön geworden ist. Viel Licht und grün und eine bunte Mischung aus Einheimischen, Einwanderern und jungen Familien prägen mittlerweile das Leben zwischen Floßplatz, Brüderstraße und Max-Reger-Allee.
„Neugierige, Gäste und Passanten sollen Orientierung und einen Ort der Besinnung finden“, so wirbt die neue Propsteikirche auf ihrer Homepage. „Der Neubau soll dazu beitragen, Gottes Schöpfung zu bewahren“, sagt Propst Gregor Giele. So kam es, dass sich die Planungsbüros bei der Ausschreibung an präzise Vorgaben zur Nachhaltigkeit und Energieeffizienz orientieren mussten. Als Wettbewerbssieger ging schließlich das Architektenduo Schulz & Schulz hervor, dessen Baukonzept mit Erdwärme arbeitet, die im Sommer als Kühlung an das Gebäude zurückfließt. Und bei dem der Strom aus Photovoltaikanlagen stammt, während der Kirchturm als Regenwasserspeicher für die sanitären Anlagen dient. Ein Ohrenschmaus ist auch die neue Orgel, um deren Bau sich gleich acht Firmen beworben hatten, und die, nach Expertenmeinung, als eine der besten der Welt gilt.
Ein Hauch von New York und Neukölln
Wegen des internationalen Flairs herrscht in Leipzig, der alten Handelsmetropole zwischen München und Moskau, inzwischen ein Hauch von New York und Neukölln, was auch die gestiegenen Immobilienpreise zeigen. Einen besseren Standort als die Leipziger Mitte hätte es für ein katholisches Gotteshaus daher kaum geben können, sind sich viele einig. Unter ihnen so illustre Namen wie Philipp Rössler, Nina Ruge und Bernd Stelter, der als Alleinunterhalter im Bonner Studentenmilieu früher gerne seine Witzchen über Popen und Priester gerissen hat. Und heute mit anderen Promis darum kämpft, dass Leipzig ein katholischer Dreh- und Angelpunkt im Osten wird. Denn damit ist es dort überhaupt nicht gut bestellt. Keine fünf Prozent der Leipziger sind katholisch, und nur ein Fünftel der Stadtbevölkerung konfessionell gebunden, was in etwa den Prozentzahlen der neuen Bundesländer entspricht. Der weit verbreitete Atheismus ist auf dem Gebiet der früheren DDR eine Realität und sicherlich auch ein Erbe vierzigjähriger SED-Diktatur, die alles daran gesetzt hat, Christen aus dem Blickfeld der selbst ernannten Arbeiter- und Bauernklasse zu entfernen; was zu einem religiösen Aderlass sondergleichen geführt hat, der in den neuen Bundesländern bis heute spürbar ist. Und dennoch: „Trotz aller Probleme wächst unsere Gemeinde Jahr um Jahr um knapp 150 Neu-Mitglieder“, freut sich Propst Gregor Giele. Der Altersdurchschnitt liege unter 37 Jahren, was vor allem an den vielen Studenten und jungen Familien mit Kindern liege, die in der Sankt Trinitatis Gemeinde eine religiöse und oft auch persönliche Heimat finden. Wer nach der Messe die Begegnung mit anderen Menschen sucht, der spürt sofort die herzliche Atmosphäre, die unter den Gläubigen der Sankt Trinitatis Gemeinde herrscht. „Willkommen ist bei uns jeder, egal woher er kommt oder weshalb er gerade in Leipzig weilt“, sagt Propst Giele.
Dieser spürbare Zusammenhalt in der Sankt Trinitatis Gemeinde kommt nicht von irgendwo: Immer wieder hatten die Kommunisten den Leipziger Katholiken Steine in den Weg gelegt; etwa indem die Funktionäre dafür sorgten, dass kirchliche Anträge auf Bauvorhaben unbeschieden blieben und am Ende aus fadenscheinigen Gründen abgelehnt wurden. Und immer wieder zeigten sich die evangelische Christen Leipzigs in diesen dunklen Jahren solidarisch mit den Katholiken, indem sie ihnen Obdach und Unterstützung gewährten. Als die SED im Mai 1968 gar die im Krieg fast unzerstörte Universitätskirche sprengen ließ, angeblich um Platz für die neue Hochschule zu schaffen, zeigten sich Katholiken und Protestanten in stillem Protest vereint, was aus zahlreichen Akten der DDR-Staatssicherheit hervorgeht.
So lange diese Zeiten auch her sind, so sehr haben sie das religiöse Klima in der Stadt geprägt. Und das bis heute. Leipziger wissen, was es heißt, für seinen Glauben einzustehen und Zivilcourage zu zeigen. Die 500.000-Einwohnerstadt gilt, neben Dresden, Berlin und Magdeburg, mittlerweile als ökonomischer und kultureller Leuchtturm in den neuen Bundesländern, dessen Strahlkraft weit über die Grenzen des Freistaates Sachsen hinausreicht. Mithin genau der richtige Ort, um als Kirche Präsenz zu zeigen. „Zugezogene haben bei uns eine neue Heimat gefunden, und bereichern unser Gemeindeleben mit ihrem Glauben, ihrer Erfahrung und ihren Fähigkeiten“, sagt Propst Giele.
Und damit ist die neue Kirche irgendwie auch ein nachträglicher Sieg über die SED, freuen sich viele, die als Christen unter der Diktatur gelitten haben und heute eine gewisse Genugtuung empfinden, wenn sie vor dem Neubau in der Nonnenmühlgasse stehen. „Wir wollten zurück in die Mitte, in die Mitte der Gesellschaft, genau da wo unsere Kirche hingehört“, sagt Propst Gregor Giele, dessen Gemeinde immer mehr zum Anlaufpunkt für Menschen aus aller Herren Länder wird. Und wo Spanisch, der vielen Südamerikaner wegen, fast schon zu zweiten Arbeitssprache geworden ist.