Das „Große Lehrbuch“ zur Rechtsvergleichung von Uwe Kischel
Matthias Wiemers
Rechtsvergleichung ist eine Tätigkeit, die zunächst in allen drei Großgebieten des Rechts stattfinden kann. In den letzten Jahren wird Rechtsvergleichung im Kontext des Europarechts immer wichtiger. Namentlich die Organe der EU müssen eigentlich, wenn sie rechtsharmonisierend tätig werden, ständig Rechtsvergleichung betreiben. Jedenfalls sollte dies für die Kommission gelten, die nach wie vor über das Initiativmonopol bei der europäischen Rechtsetzung verfügt.
Bislang gab es zu diesem hier einmal so genannten „Phänomen Rechtsvergleichung“ nur wenig Literatur und namentlich kein größeres Lehrbuch, das man auch nur annähernd mit dem vergleichen könnte, das der Greifswalder Staatsrechtslehrer Uwe Kischel jüngst in der bekannten Reihe Große Lehrbücher vorgelegt hat.
Kischel hat in Greifswald einen Stiftungs-Lehrstuhl Öffentliches Recht, Europarecht und Rechtsvergleichung (Nordosteuropa) inne und hat somit aus seinem Forschungsschwerpunkt geschöpft.
In insgesamt elf Kapiteln entfaltet er eine Materie, die ansonsten auf viele einzelne Abhandlungen und Bücher verteilt zu sein pflegen. Wer (nur) wissen will, was Rechtsvergleichung überhaupt sei, lese das erste Kapitel, zu dessen Ergebnissen gehört, dass Rechtsvergleichung in der Tat in vielen Rechtsgebieten stattfinde. Noch einmal davon getrennt werden „Ziele der Rechtsvergleichung“ behandelt (§ 2). Das dritte Kapitel ist der Methodenlehre der Rechtsvergleichung gewidmet, hier schneidet sich der Band also mit Büchern über rechtswissenschaftliche Methoden, die mitunter auch die Rechtsvergleichung als Methode außerhalb des klassischen Methodenkanons aufführen. Ebenfalls von Kischel noch dem ersten Teil des Buches – man könnte insoweit wohl auch von einem „Allgemeinen Teil“ sprechen – zugerechnet wird ein Kapitel über „Rechtskreise, Rechtskultur und Kontext“ (§ 4), bevor in einem zweiten – Besonderen (?) – Teil, der mit „Die Kontexte der Rechtsordnungen“ betitelt ist. Zu diesen „Kontexten“ rechnet Kischel nicht nur die hergebrachten „Rechtskreise“, von denen derjenige des Common Law (§ 5) wie des kontinentaleuropäischen Rechts (§§ 6, 7), sondern auch das afrikanische Recht (§ 8), asiatisches Recht (§ 9) und islamisches Recht (§ 10). In einem abschließenden, sicherlich für die Rechtspraxis künftig von zunehmender Bedeutung sein dürfte, werden „Kontexte nationalen Rechts“ besprochen (§ 11). Im Zentrum dieses Kapitels steht zunächst der Kontext des Völkerrechts (B.), aber auch der Kontext des Europäischen Unionsrechts (C.) wird erörtert, und hier finden wir dann die anfänglich angedeutete Thematik etwas ausgeleuchtet. Kischel ist allerdings nicht der Meinung, dass – etwa bei der Frage nach der Suche eines gemeineuropäischen Zivilrechts – eine spezifische europäische Rechtskultur gefunden werden kann. Der Autor ist insoweit bescheidener und hält die Frage für interessanter, ob das Unionsrecht eher dem common law oder dem kontinentaleuropäischen recht entspricht (§ 11, C., Rdnr. 27). Die nachfolgenden Ausführungen, die eher die kontinentaleuropäische Prägung der EU nachweisen, sind von Interesse, aber letztlich schließt Kischel den Abschnitt mit der Feststellung von einer Pluralität des Unionsrechts (ebd., Rdnr. 30), wenn er feststellt, dass es nur wenig hilfreich sei, den unionsrechtlichen Kontext in seinem Verhältnis zu den Kontexten des nationalen Rechts zu bestimmen. Denn erstwens weise das Unionsrecht „aufgrund seiner Entwicklung, seiner Fragestellungen und seines supranationalen Charakters Eigenheiten auf, die es von nationalen Rechtsordnungen“ unterschieden, und zweitens sei die Herangehensweise an das Unionsrecht sehr pluralistisch, d. h. die Behandlung des Unionsrechts sei in jedem Mitgliedstaat sehr national geprägt.
Mit dieser letzten Feststellung ist möglicherweise gerade ein spezifisches Problem der europäischen Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung angesprochen. Gerade deshalb sollte sich die europäische Rechtsetzungsebene vorab mehr mit den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen befassen.
Fazit: Der Verlag sollte dringend an Übersetzungen ins Englische und Französische denken. Damit Brüsseler Akteure die Möglichkeit haben, in anderen wichtigen Amtssprachen der EU an Erkenntnissen teilzuhaben, die gerade für sie besonders nützlich sein dürften.
Uwe Kischel
Rechtsvergleichung. Großes Lehrbuch
Verlag C. H. Beck, München 2015,
1010 S., 99 Euro
ISBN 978-406-67585-0