Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen
Liebes Tagebuch,
meinen Marktwert kenne ich ganz genau. Er hat sich innerhalb von fünf Jahren verzehnfacht. Vor sechs Jahren durfte ich auf einer Veranstaltung einen Vortrag über das Thema meiner Dissertation halten und erhielt dafür ein Honorar von 150 Euro. Ich fand das damals gar nicht schlecht, denn normalerweise verdiene ich, wenn ich eine Stunde rede, um z.B. Schüler aufs Abitur vorzubereiten, nur etwa 15 Euro. Sicherlich macht so ein Vortrag auch mehr Arbeit, zur Vorbereitung auf das Thema kommt die stundenlange An- und Abreise. Aber dennoch: 150 Euro für eine Stunde reden. Da gibt es Schlechteres, dachte ich mir. Vor einem Jahr durfte ich nun aber den gleichen Vortrag auf einer anderen Veranstaltung noch einmal halten und bekam dafür: sage und schreibe das zehnfache Honorar! Anderthalb tausend Euro für eine Stunde Vortrag. Wow! Plötzlich war ich – jedenfalls von der Bezahlung her – ein sogenannter Leistungsträger geworden. Hatte ich nun also plötzlich mehr geleistet als zuvor? Nein, ich hatte nur jemanden gefunden, der mir mehr dafür bezahlte. Allerdings gehe ich davon aus, dass sich dergleichen nicht mehr wiederholen wird. Aller Voraussicht nach wird mir in Zukunft niemand mehr 1.500 Euro für einen Vortrag zahlen. Aber es ist und bleibt doch eine interessante Erfahrung, mal für einen Moment ein Leistungsträger gewesen zu sein. Natürlich kann man es auch so betrachten, dass ich jahrelang angestrengt wissenschaftlich dafür gearbeitet habe, um nun als Experte für mein Thema gelten zu können. So gesehen hätte ich mir das Spitzen-Honorar redlich verdient. Vielleicht mindestens so sehr, wie zum Beispiel der frühere Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidat, der für seine Vorträge wiederum ungefähr das Zehn- bis Zwanzigfache meines letzten Honorars bezogen hat, obwohl er in seinen Reden doch eigentlich nur aktuelle politische Themen aus seiner Sicht kommentiert und alte Geschichten aus seiner Regierungszeit aufgewärmt hat. Doch auch jener Steinbrück muss sich unterbezahlt vorkommen, wenn man seine Entlohnungen mit denen der jüngst unterlegenen amerikanischen Präsidentschafts-Kandidatin vergleicht, denn Hillary bezieht für ihre Vorträge (in denen sie letztlich auch nur aus dem Nähkästchen ihrer früheren Regierungsarbeit plaudert) noch einmal das Zehn- bis Zwanzigfache von Steinbrücks Honoraren und das 200-fache von meiner letzten sowie das 2.000-fache von meiner vorletzten Vortragsvergütung. Und sogar das 200.000-fache bezieht sie von dem, was ich für eine Stunde erhalte, in der ich einem Abiturienten die Ambivalenzen des Sturm und Drang im Spannungsfeld von Aufklärung und Romantik erkläre. Allerdings bekommt auch Hillary, darauf haben empörte Feministinnen einmal hingewiesen, einen regelrecht diskriminierenden Vortragslohn – jedenfalls verglichen mit dem ihres Mannes Bill, der für seine Reden mindestens 20% mehr einsackt als seine bessere Hälfte; angeblich nur, weil er ein Mann ist. Aber selbst wenn Bill Clinton jede Woche so einen Vortrag hielte, käme er damit doch gerade einmal auf eine jährliche Einnahme von gut achtzehn Millionen (in diesem Fall Dollar), was von erfolgreichen Finanzinvestoren locker um ein Vielfaches getoppt wird…
Nun haben solche Extreme wie die angeführten sicherlich keine besondere Aussagekraft außer dieser: Was man mit seinen verrichteten Tätigkeiten verdient, steht oftmals in keinem Verhältnis zum damit verbundenen Aufwand, zur dafür erforderlichen Qualifikation und insbesondere nicht zur dadurch erbrachten Leistung, wobei sich letzteres natürlich am schwersten messen lässt. Wie viel Freude die ausgeübte Tätigkeit einem selbst bereitet hat, fällt bei der Bezahlung ebenso unter den Tisch wie der Grad an Zufriedenheit, zu welcher die eigene Tätigkeit als solche bei ihren Auftraggebern, Kunden oder sonstigen Profiteuren geführt hat. Glücklicherweise hat sich hier für viele das Prinzip der Quersubventionierung bewährt, d. h. die Kombination von gut bezahlten, aber banalen mit erfüllenden, aber schlechtbezahlten Jobs. Gefährlich und bedenklich wird es eigentlich nur, wenn Menschen sich allein aufgrund ihres hohen Einkommens anderen überlegen fühlen, die für ihre Tätigkeiten schlechter honoriert werden. Ziemlich dumm eigentlich, sich Zufall und Glück als eigenes Verdienst anzurechnen.
Dein Johannes