Das ehemalige DDR-Frauengefängnis Hoheneck ist heute eine Gedenkstätte an die Opfer der SED-Diktatur
Benedikt Vallendar
Stollberg/Erzgebirge – Bis heute ist er spürbar, der graue DDR-Mief, um dem zu entfliehen Menschen bis Herbst 1989 ihren Arbeitsplatz, ihre Freiheit und manchmal auch ihr Leben riskierten. „Es war der wahr gewordene Albtraum“, erinnerte sich Ellen Thiemann noch Jahre später an ihre Zeit in der berüchtigten Frauenhaftanstalt Hoheneck am Fuße des Erzgebirges, südlich von Chemnitz. Es waren Bilder, die die gebürtige Dresdnerin nicht mehr los wurde. Ihre Festnahme im Dezember 1972, die Untersuchungshaft bei der Staatssicherheit in Hohenschönhausen und dann das Urteil: Dreieinhalb Jahre Freiheitsentzug wegen versuchter „Republikflucht“, was im selbst ernannten Arbeiter- und Bauernstaat ein Verbrechen war.
Sklavenarbeit für die SED
Seit Jahrhunderten erstreckt sich die schlossähnliche Anlage Hoheneck auf einer Anhöhe, von wo aus der Blick über Täler und Berge reicht. Schon zu Bismarcks Zeiten befand sich dort eine „Weiberzuchtanstalt“, mit Werkstätten, Schulungsräumen und Versorgungsbetrieben. Oft teilten sich vierzig Inhaftierte drei Waschbecken, die nicht selten verstopft waren, heißt es in einer Chronik. Ihre Notdurft verrichteten die Frauen auf offenen Kübeln und erst ab 1974 auf WC-Becken mit Wasserspülung, ebenfalls ohne Sichtschutz, um die Gefangenen immer im Blick zu haben. „Warmes Wasser gab es nur in Ausnahmefällen, etwa wenn jemand krank war, oder um im Winter die Rohre nicht einfrieren zu lassen“, schreibt eine ehemalige Gefangene in ihren Erinnerungen. Gearbeitet wurde in Großwerkstätten im Mehrschichtbetrieb, meist für Westfirmen, die im Osten billig produzieren ließen und dem SED-Staat Devisen bescherten. Statt Lohn erhielten die Häftlinge Bezugsscheine für Einkäufe im Gefängnisladen.
Erst 2001 schloss das Frauengefängnis seine Pforten. Ein Investor plante dort einen gebührenpflichtigen „DDR-Knast zum Nacherleben“, wogegen Bürgerrechtler Sturm liefen. Seit 2015 befindet sich in Hoheneck eine Gedenkstätte für die Opfer der SED-Diktatur. Eine Diktatur, die nach eigenen, ungeschriebenen Regeln funktionierte und ihre Bürger wie Untertanen behandelte. „Wir politischen Häftlinge standen in der Gefangenenhierarchie ganz weit unten“, erinnerte sich Ellen Thiemann noch Jahre später. Der Grund war oft Neid. Denn die gewöhnlichen Kriminellen wussten, dass auf die Politischen das Tor zum Westen wartete, während sie selbst nach Ende ihrer Haftzeit in die DDR entlassen wurden.
Schikane mit Reiseliteratur
Das Sagen in den eng geschnittenen Mehrpersonenzellen hatten meist Mörderinnen, Frauen mit kahl geschorenen Köpfen und grobschlächtigem Auftreten, die bestimmten, wer wo, wann und wie lange in den verwanzten Etagenbetten schlafen durfte, wer beim Essen Nachschlag erhielt und wer die Kübel leerte. „Für die Gefängnisleitung waren die selbst ernannten Leitwölfe unter den Häftlingen ein probates Mittel, um aufsässige Gefangene in Schach zu halten“, sagt die Potsdamer Historikerin Jenny Krämer. Einziger Lichtblick für die Gefangenen war der sonntägliche Gottesdienst, der auch im Strafvollzug der atheistischen DDR seinen Platz hatte. „In den Zellen waren politische Gefangene meist allein unter Kriminellen“, sagt Krämer. Während der Andacht, die im Wechsel katholische und evangelische Geistliche zelebrierten, tauschten die Frauen gern kleinere Schmuggelgüter, wie Teebeutel, Schokolade oder Zigaretten. Nach der Wende kam heraus, dass Geistliche den Inhalt vertraulicher Gespräche an die Staatssicherheit weitergeleitet hatten. Dass die Staatssicherheit auf Hoheneck mit im Boot saß, war unter den Gefangenen ein offenes Geheimnis. „Immer wenn abends im Bürotrakt Licht brannte, wussten wir, dass die Firma Dienst schob“, berichtete Ellen Thiemann nach ihrer Übersiedlung in den Westen. Vertrauensmissbrauch durch Spitzeldienste für die Staatssicherheit sorgte nach der Wende für Empörung in weiten Teilen der ostdeutschen Bevölkerung. „Auch wenn dies nur einen kleinen Teil der Geistlichen betraf“, wie Expertin Krämer betont. Denn die allermeisten Pfarrer hätten während der Diktaturjahre treu zu ihrer Gemeinde gehalten, was leicht vergessen wird. „Vielfach konnten die Seelsorger das Leid der Frauen auch nur lindern und nicht lösen“, sagt Krämer. Denn der Alltag auf Hoheneck glich oft einem Martyrium mit Schikanen, die meist von Häftlingen ausgingen, unter ihnen die frühere KZ-Aufseherin Erika Bergmann, die dort 36 Jahre verbüßte. Unter Langzeithäftlingen kam es oft zu Liebesbeziehungen, die in den Mehrpersonenzellen offen ausgelebt wurden, berichten Zeitzeugen. „Noch heute verspüre ich Ekel, wenn ich daran denke, wie man zum Zwangszeugen fremder Intimität wurde“, schrieb Ellen Thiemann in ihren Erinnerungen an Hoheneck.
Doch das Häftlingsleben kannte noch ganz andere Seiten. Gefürchtet waren die im Keller befindlichen „Tigerzellen“, in denen renitente Insassinnen tagsüber standen und nur auf Befehl die Toiletten benutzen durften. „Nachts mussten die Häftlinge auf dem Rücken liegen und die Hände auf der Bettdecke haben“, sagt Historikerin Krämer. Eine besonders perfide Schikane war es, Republikflüchtlingen Reiseliteratur zu geben, was den Schmerz über die gescheiterte Flucht noch schmerzvoller machte. Doch die Sache hatte System. „Denn die Gefangenen sollten vor allem seelisch gebrochen werden“, sagt Historikerin Krämer. Auf speziellen Schulungen lernte das Anstaltspersonal, wie es mit politisch Andersdenkenden umzugehen hatte, wie es zu quälen, zu demütigen und zu schikanieren hatte, und dass dies alles dem Sozialismus dienen würde. Indes die wahren Motive höchst banal waren. „Immer ging es darum, politischen Widerstand bereits im Keim zu ersticken, wozu dem SED-Staat jedes Mittel recht war“, sagt Krämer.
Erst nach dem Mauerfall lüftete sich das Geheimnis um Ellen Thiemanns gescheiterte Flucht. Verraten hatte sie, als Inoffizieller Stasi-Mitarbeiter (IM) „Mathias“, ihr eigener Ehemann, ein Sportreporter, der später für die Bild-Zeitung schrieb. Seinen letzten Spitzellohn, 200 Ostmark, erhielt IM Mathias wenige Wochen nach dem Mauerfall im Dezember 1989, was zeigt, wie tief selbst enge Familienangehörige in die kommunistische Diktatur verstrickt gewesen sind. Nach Thiemanns Entlassung im Juni 1975 ließen sich die Eheleute scheiden, bevor Ellen in die Bundesrepublik ausreiste, wo sie bis zu ihrem Tod im Mai 2018 eine unerschrockene Stimme für die Opfer der SED-Diktatur war.