Deutsche Juristenbiographien, Teil 25: Otto Mayer (1846 – 1924), der Vater des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts
Matthias Wiemers
Das deutsche Verwaltungsrecht, seit Anfang der 1990er Jahre etwas unter kritischer Beobachtung, weil eine „Neue Verwaltungsrechtswissenschaft“ meint, es sei zumindest nicht mehrvollständig zeitgemäß, hat eine Vaterfigur: Otto Mayer. Denn hat dieser das Verwaltungsrecht in Deutschland auch nicht erfunden, so doch zumindest „gefunden“, und zwar im benachbarten Frankreich, das aus der Großen Revolution hervorgegangen ist und früher als Deutschland das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung entwickelt hat. Dieser Mensch, im Jahre 1846 als ältester Sohn eines Apothekers und mit sechs Geschwistern im mittelfränkischen Fürth geboren, hat schon früh Kontakt mit den öffentlichen Dingen, denn der Vater ist nicht nur kommunalpolitisch tätig, sondern auch Abgeordneter im Bayerischen Landtag. Die Mutter, Fabrikantentochter, ist teilweise hugenottischer Abstimmung.
Nach Reifeprüfung und Absolvierung des juristischen Studiums im benachbarten Erlangen, im damals bayerischen Heidelberg und im preußischen Berlin erfolgt – wie auch später das praktische Examen – der Abschluss des Studiums in Franken. Die Doktorpromotion bei von Scheurl in Erlangen erfolgt im römischen Recht.
Ab 1871 ist Mayer in der Praxis tätig und wird – die Umstände der Zeit ermöglichen es – erster deutscher Anwalt im elsässischen Mühlhausen, das nun zum neuen Reichsland Elsass-Lothringen gehört. Mayer macht als anwaltlicher Interessenvertreter Karriere und wird Präsident der Anwaltskammer sowie Vorstandsmitglied der Anwaltskammer beim Oberlandesgericht Colmar.
Anders als dies die Dissertation vielleicht nahegelegt hätte, wird Mayer vornehmlich für die öffentliche Hand tätig und heiratet 1877 die Tochter eines Pfarrers und Lyrikers. Bereits drei Jahre später, 1880, gibt Mayer die gutgehende Anwaltspraxis auf und zieht nach Straßburg, um an der dortigen Kaiser-Wilhelm-Universität die Habilitation anzustreben, die dann schon 1881 erfolgt. Die Arbeit betrifft das Wettbewerbsrecht, und so wird ihm zunächst die Lehrbefugnis für deutsches und französisches Zivil- und Handelsrecht verliehen. Schon ein weiteres Jahr später erhält Mayer in Straßburg eine außerordentliche Professur und wendet sich dann allerdings in Forschung und Lehre dem Verwaltungsrecht zu. Angeregt hierzu hat ein in Paris erworbenes französisches Lehrbuch, das „Droit Administratif“ von Dufour. 1887 wird Mayer, ebenfalls in Straßburg, zum Ordinarius für Verwaltungsrecht und französisches Zivilrecht ernannt und die venia später auf Staatsrecht und Kirchenrecht erweitert.
Dieser nicht besonders direkte Entwicklungspad wird schon 1895/6 gekrönt durch das zweibändige Werk „Deutsches Verwaltungsrecht“, mit dem Otto Mayer im Rahmen einer Einzelleistung die Grundlage für ein wissenschaftliches, positivistisches und rechtsstaatliches Verwaltungsrecht legt und dessen Definition für den Begriff des Verwaltungsrecht noch heute praktisch der gut 80 Jahre später kodifizierten Regelung in § 35 VwVfG entspricht: „Der Verwaltungsakt ist ein der Verwaltung zugehöriger obrigkeitlicher Ausspruch, der dem Unterthanen gegenüber im Einzelfall bestimmt, was für ihn Rechtens sein soll.“
Zahlreiche öffentliche Ämter begleiten die Lehrtätigkeit an der Universität. So wird Mayer 1890 im Nebenamt deren Syndikus, wird 1896 in den Gemeinderat der Stadt Straßburg und kurz darauf zum ehrenamtlichen Beigeordneten gewählt. Die Zuständigkeit des Dezernenten erstreckt sich zunächst auf das Bauwesen und die Wegepolizei, dann ist er für die soziale Verwaltung zuständig.
Ehrenamtlich ist Mayer schließlich für die Landessynode der Augsburgischen Kirche sowie in Vorständen verschiedener Wohltätigkeitsvereinen tätig. 1902 amtiert Mayer in Straßburg als Rektor, bevor er im Jahre 1903 an die sicherlich bedeutendere Universität nach Leipzig wechselt. In Sachsen ist Mayer sogleich für das gesamte Öffentliche Recht zuständig – von der Allgemeinen Staatslehre bis zum Völkerrecht, einschließlich auch des evangelischen und katholischen Kirchenrechts. Nach zweimaligem Dekanat der juristischen Fakultät in den Jahren 1906/07 und 1912/13 wird Mayer in Leipzig zum Rektor bestimmt (1913/14). Er ist Stadtverordneter und Vertreter der Fakultät in der Landessynode der evangelischen Landeskirche und auch beratend für seine Kirche tätig. 1918 erfolgt die Emeritierung auf eigenen Wunsch, am 8. August verstirbt Otto Mayer in Hilpertsau in Baden.
Namentlich in seinen letzten Lebensjahren ist Otto Mayer auch als Autor schöngeistiger Literatur tätig, vornehmlich unter dem Pseudonym Eduard Dupré.
Zu seinen Schülern in Leipzig zählt u. a. Walter Jellinek.
Das bereits erwähnte Deutsche Verwaltungsrecht ist bei weitem nicht das einzige größere Werk aus der Feder Otto Mayers. In Leipzig hat er 1909 „Das Staatsrecht“ des Königreichs Sachsen publiziert, das in der Reihe „Das öffentliche Recht der Gegenwart“ diese Stelle besetzt.
Das Verwaltungsrechtslehrbuch, in insgesamt drei Auflagen erschienen, fußt auf Vorarbeiten, so etwa die Bestandsaufnahme der französischen Rechtslage in seiner „Theorie des französischen Verwaltungsrechts“ aus dem Jahre 1886.
Legt man die drei Auflagen des Hauptwerks nebeneinander, so wird schon deutlich, dass sie doch inhaltlich deutlich voneinander abweichen, auch vom Umfang her, wovon insbesondere der zweite Band der zweiten Auflage kündet, der erst drei Jahre nach dem ersten Band erschien.
Mit dem Verwaltungsrecht, das in der Erstauflage in der Mitte des Kaiserreichs, in der zweiten (1914/17) während des Ersten Weltkriegs und in der letzten Auflage im Todesjahr erschien, in dem die Weimarer Republik die Wende zu einem neuen Wirtschaftsaufschwung und staatlichen Stabilität zu meistern schien, verbindet sich eines der wohl berühmtesten Zitate der Jurisprudenz.
So schreibt Mayer zu Beginn des Vorworts der dritten Auflage, geschrieben im August 1923: „So mußte ich denn doch noch einmal an diese Arbeit gehen! Groß Neues ist ja seit 1914 und 1917 nicht nachzutragen. `Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht.´; dies hat man anderwärts schon längst beobachtet. Wir haben hier nur die Anknüpfungspunkte entsprechend zu berücksichtigen.“
Mit diesem Zitat, das er selbst als Allgemeingut ausgibt, ist Otto Mayer in die Geschichte eingegangen. Für die Entwicklung des Verwaltungsrechts in seiner Emanzipation vom viel früher entwickelten Zivilrecht stand er seinerzeit nicht allein, doch erbrachte Mayer die weitaus wirksamste Systematisierungsleistung und trug diese letztlich über die Grenzen der Verfassungsablösungen hinweg.
Quellen:
– Dirk Ehlers, Otto Mayer, in: Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts (2015), S 46 ff.
– Walter Pauly, Mayer, Otto, in: Juristen. Ein biographisches Lexikon, S. 418 f.