Element of Crime live im Tempodrom
Thomas Claer
Die erst zweite Live-LP von Element of Crime in 35 Jahren Bandgeschichte ist im letzten Herbst erschienen. Nun endlich haben wir sie vollständig durchgehört und können sie ohne Bedenken mit dem Signum „empfehlenswert“ versehen. Nicht weniger als 25 Songs finden sich auf den zwei CDs respektive drei Vinylscheiben, und doch wird man als beständiger Fan dieser Band so manches Lied vermissen. Aber auch umgekehrt lässt sich sagen: Hätten sie 25 andere Stücke ausgewählt, so wäre vermutlich ein ähnlich gutes Album herausgekommen.
Ein Werk auf beinahe durchgängig höchstem Niveau haben EoC über die Jahre geschaffen, dabei ihren ganz eigenen, unverwechselbaren Stil entwickelt und diesen allmählich noch perfektioniert. Während andere Musiker in der Qualität und Originalität ihres Songwritings mit der Zeit naturgemäß nachlassen, sind die Elements, man traut es sich kaum zu sagen, vor allem in den letzten Jahren sogar immer besser geworden. So geht es auch vollkommen in Ordnung, dass gleich elf der 25 Tracks dieses Live-Albums von ihrer aktuellen (Studio-) Platte „Schafe, Monster und Mäuse“ stammen.
Dennoch lauscht man besonders gespannt ihren älteren Titeln, vor allem jenen, die sie schon seit mehr als 20 Jahren nicht mehr gespielt haben. Und natürlich, auch Lieder unterliegen einer Art Alterung, selbst die Unsterblichen unter ihnen. Was für ein abgründiger Song ist doch „Wer ich wirklich bin“ aus dem Jahr 1996! Einst der Feder eines 34-Jährigen entflossen, berührt er nun aus dem Munde eines 58-Jährigen auf ganz neue Weise. Oder „Schwere See“ von 1993, ursprünglich ein Ausbund an jugendlicher Romantik, beschwört hier umfassend den Sog der maritimen Elemente und die magischen Momente nautischer Zweisamkeit. Und ganz besonders, immer wieder, entzückt „Weißes Papier“: „Nicht mal das Meer darf ich wiedersehn / Wo der Wind deine Haare vermisst. / Wo jede Welle ein Seufzer / Und jedes Sandkorn ein Blick von dir ist.“ Hat schon irgendwann jemand eindringlicher Vergleichbares ausgedrückt?
Am Ende dieses gelungenen Live-Spektakels stellt sich beim Zuhörer ein Gefühl der Beglückung ein. Da sitzt man dann also fest wie in einem ihrer berühmtesten Songs: „verwirrt, träge und verliebt“ – genau in dieser Reihenfolge! Das Urteil lautet: gut (14 Punkte).
Element of Crime
Live im Tempodrom (Doppel-CD/ 3 LP)
Vertigo Berlin (Universal Music) 2019
ASIN: B07X3QFY7B