Der kubanische Literat und Dissident Jorge Angel Perez beschreibt die Kulturszene in seinem Land, das seit 1959 unter einer kommunistischen Diktatur leidet
Interview: Martin Lessenthin
F: Jorge Angel, erzählen sie mir bitte, wie sie Schriftsteller geworden sind? Haben sie Literatur studiert?
A: Nein, ganz im Gegenteil! Ich habe Medizin studiert, aber nicht zu Ende, weil mir dieses Fach überhaupt nicht lag. Allerdings habe ich mich von klein auf für Literatur interessiert. Meine Großeltern hatten ein Zimmer voller Bücher, und ich war dort oft zu Besuch und habe viele Stunden lang gelesen, insbesondere Bücher der Philosophie. Mein Großvater liebte die Philosophie, und dieses Interesse färbte auf mich ab. In der Oberstufe verfasste ich philosophische Texte, und ich wollte Philosophie studieren. Allerdings kann man in Kuba Philosophie nur studieren, wenn man Mitglied in der Kommunistischen Partei ist, und das war ich nie.
F: Warum nicht? Als Parteimitglied hätten sie doch das studieren können, was sie wollten?
A: Nun, in Kuba kann man nicht einfach so in die Partei eintreten wie z.B. bei euch in Deutschland, indem man ein Formular ausfüllt. Um Parteimitglied der Kommunisten zu werden, muss man durch seinen „Revolutionären Charakter“ bei den lokalen Parteizellen einen guten Eindruck machen. Diese Zellen laden einen dann ein, Parteimitglied zu werden. Ohne so eine Einladung kann man nicht Mitglied werden. Ich hätte also in der Oberstufe ein begeisterter Kommunist sein müssen, der alle 5 Minuten Propagandaparolen von sich gibt, um so eine Einladung zu bekommen. So einer bin ich aber nie gewesen.
F: Nun schreiben sie ja Romane und keine philosophischen Texte, wie kam es zu diesem Sinneswandel?
A: Das lag an meinem Vater. Während mein Großvater eher Philosophie las, liebte mein Vater Romane. Auch das färbte auf mich ab, und als Teenager fing ich an Kurzgeschichten zu schreiben. Am Anfang imitierte ich noch den Stil von anderen Autoren, mit 18-19 Jahren fand ich jedoch meinen eigenen Stil. In dem Alter wurde ich auch der Philosophie überdrüssig, Geschichten zu schreiben sagte mir mehr zu. Meine Geschichten gefielen den Menschen, und die staatlichen Literaturverlage begannen sie zu veröffentlichen. Ich bekam eine Stelle als Redakteur bei einem Verlag angeboten, und ich begann erste nationale Preise für Literatur zu gewinnen. Mein Buch „El Paseante Candido“ (Der naive Praktikant) war auch ein internationaler Erfolg, insbesondere in Spanien und Italien. In Italien gewann ich sogar einen Literaturpreis. Seit einigen Jahren werden meine Romane in Kuba allerdings nicht mehr veröffentlicht.
F: Warum nicht? Sie waren doch so erfolgreich?
A: Das liegt daran, dass ich angefangen habe, für die unabhängigen, regierungskritischen Internet-Medien zu schreiben. Ich fing an, offen die Missstände in Kuba anzuklagen, den Mangel an Demokratie und Freiheit zu kritisieren. Das ist etwas, was das Regime nicht toleriert, bei keinem Kubaner, bei niemandem. Auf Kuba gibt es keine Meinungs- und Pressefreiheit. Du kannst das Regime öffentlich unterstützen, aber wenn du nicht bereit bis das zu tun, musst du den Mund halten. Tust du das nicht, bekommst du Probleme. Was mir passiert ist, passiert allen Kubanern, die eben nicht den Mund halten. Als erstes sorgen sie dafür, dass du deine Arbeit verlierst. Das ist einfach in einem Land, in dem der Staat fast die gesamte Wirtschaft kontrolliert. So sind sämtliche Verlage in Kuba staatlich, private Verlage gibt es nicht. Auch alle Druckereien und Buchhändler sind staatlich. Deshalb wird keines meiner Bücher mehr in Kuba veröffentlicht, gedruckt oder verkauft. Das soll mir meine Lebensgrundlage nehmen. Wie gesagt, das machen sie mit jedem, der den Mund aufmacht, ob Busfahrer, Angestellter, Professor, Arzt oder Anwalt. Sie nehmen dir deine Arbeit, deine Lebensgrundlage. In der Folge werden Oppositionelle in Kuba vom Ausland abhängig, sie benötigen Hilfe aus den USA oder Europa, um zu überleben. Und genau das ist das, was sie bezwecken wollen, denn dann können sie behaupten man sei ein Vaterlandsverräter, ein Agent der Yankees. Auch ich bekomme das zu hören, denn die Portale, die meine Artikel veröffentlichen und mich dafür bezahlen, stammen aus Miami.
F: Warum haben sie angefangen, Artikel zu schreiben? Sie waren doch ein Schriftsteller, kein Journalist.
A: Das stimmt, das war auch eher Zufall. Ich fing an, meinen Freunden kritische E-Mails über die Missstände in Kuba zu schicken. Als einer der Söhne Fidel Castros, Antonio Castro, vor einigen Jahren auf einer Luxusyacht und in einem Luxushotel in Bodrum gesehen wurde, schrieb ich einen besonders bissigen Kommentar. Einer meiner Freunde schickte ihn, ohne mein Wissen, an das Portal Cubanet, das ihn prompt veröffentlichte. Cubanet hat mich auch umgehend kontaktiert und mir angeboten, regelmäßig für sie zu schreiben, was ich bis heute mache.
F: Aber wie sind Sie zu einem Kritiker des Regimes geworden? Wieso haben sie angefangen, die Missstände Kubas zu kritisieren?
A: Nun, meine Literatur war immer kritisch. Meine Romane haben zwar nie die Autorität der kommunistischen Partei direkt in Frage gestellt, denn sonst wären sie nie veröffentlicht worden. Allerdings haben Sie immer die Armut, die Ungleichheit und die Probleme der kubanischen Gesellschaft zum Thema gehabt. Deshalb war es für mich nur ein kleiner Schritt vom Schriftsteller zum kritischen Journalisten. Außerdem habe ich mich immer von der Diktatur eingeengt gefühlt, gerade in meiner künstlerischen Freiheit. Ich habe mal eine Kurzgeschichte über einen schwulen Jugendlichen geschrieben, der sich beim masturbieren immer ein Bild von unserem Nationalhelden Jose Marti anschaut. Das hat richtig Ärger gegeben, die Geschichte wurde nie veröffentlicht, und man hat mich gewarnt, so etwas in Zukunft zu unterlassen. Ich habe mich damals nicht gegen diese Zensur gewehrt, sondern habe resigniert. Aber mir ist damals unmissverständlich klar geworden, dass es auf Kuba keine Freiheit gibt. Dieser Eindruck hat sich durch meine Tätigkeit als Journalist nur noch verfestigt.
F: Inwiefern verfestigt? Hat es konkrete Ereignisse gegeben?
A: Oh ja, und zwar sehr viele. Mit meiner Tätigkeit für Cubanet begannen die Schikanen. Meine Bücher verschwanden aus den Regalen, ich wurde aus dem kubanischen Schriftstellerverband ausgeschlossen, Kollegen begannen mich zu meiden. Doch damit nicht genug. Man begann, mich zu bedrohen, auch zu Hause. Einer meiner Nachbarn arbeitet für die Staatssicherheit. Ein unangenehmer, gewalttätiger Zeitgenosse, der bereits im Gefängnis gesessen hat. Die Stasi hat ihn auf mich angesetzt, er bedroht und beschimpft mich regelmäßig. Man hat meinen Balkon mit Unrat, Steinen und Flaschen beworfen und man schiebt Drohbriefe unter der Tür hindurch. Dieser Nachbar spielt oft bis spät in die Nacht sehr laute Musik, so dass meine Mutter und ich nur schwer schlafen können. Ich habe deswegen auch schon die Polizei gerufen, aber die scheinen Anweisungen zu haben, sich bei sowas nicht einzumischen. Jedenfalls haben sie noch nie eine Streife vorbeigeschickt, wenn ich wegen Ruhestörung angerufen habe.
F: Wie reagieren sie auf diese Schikanen? Haben sie Angst?
A: Das einzige, was sie damit erreichen, ist, dass sie meine Ablehnung gegen dieses System noch steigern. Klar habe ich auch Angst, auch um meine Mutter die alt und krank ist, aber mit jeder Schikane steigt auch meine Empörung und die Ablehnung der Männer die dieses Land seit 60 Jahren nach Gutsherrenart regieren. Ich kann nicht länger schweigen und jede Schikane die ich erleiden muss, verdeutlicht das noch einmal. Früher hätte ich es vielleicht bleiben gelassen und aufgegeben, aber jede Schikane festigt meinen Willen weiterzumachen. Aber natürlich habe ich auch Angst. Ich habe Angst, dass sie meinem Hund etwas antuen könnten, denn sie wissen, dass ich ihn sehr liebe.
F: Haben sie auch Angst selber verletzt zu werden oder gar ins Gefängnis zu kommen?
A: Ja, das habe ich. Ich wurde bereits einmal Überfallen, allerdings hat man mich nicht verletzt. Auch wurde in meine Wohnung eingebrochen, und man hat alles verwüstet. In beiden Fällen hat die Polizei nichts für mich getan. Ich bin mir Bewusst, dass wenn mich mein Stasi-Nachbar angreifen würde, die Polizei nichts unternehmen würde. Schlimmer noch, ich bin es der wahrscheinlich im Gefängnis landen würde. Wir Kubaner haben keinerlei Rechte, keinerlei Schutz vor staatlicher Willkür. Im Juni wurde ich von der Polizei verhaftet und einen Tag lang festgehalten. Mir wurde nicht gesagt warum, Niemand auf der Wache hat mit mir gesprochen. Es war einfach nur Schikane. Aber ich befürchte, dass sie Gründe suchen um mich länger ins Gefängnis zu stecken.
F: Warum sind Sie denn überhaupt noch auf freien Fuß?
A: Ich habe das Glück recht bekannt zu sein. Ich habe als Schriftsteller einen Namen in Kuba, meine Bücher sind auch international bekannt, deshalb glaube ich, dass sie sich etwas zurückhalten. Das kubanische Regime kann es sich heutzutage nicht mehr leisten bekannte Menschen aus offensichtlich politischen Gründen für längere Zeit wegzusperren. Die Kritik der internationalen Gemeinschaft wäre zu groß und das Regime möchte seine Handelsbeziehungen zur EU nicht gefährden. Natürlich landen Oppositionelle immer noch hinter Gittern, der Fall von Jose Daniel Ferrer ist da nur ein prominentes Beispiel. Aber es verdeutlicht auch die aktuelle Strategie des Regimes um Dissidenten weiter einsperren zu können: Ferrer ist wegen Körperverletzung in Haft, auf den ersten Blick ist das eine gewöhnliche Straftat und keine politische. Allerdings ist diese Anklage politisch motiviert und bloß konstruiert. Diese mutmaßliche Körperverletzung hat wahrscheinlich nie stattgefunden, das Opfer ist ein Inoffizieller IM der kubanischen Stasi, und diese ganze Geschichte ist frei erfunden. Dieser ganze Zirkus wird nur veranstaltet, damit man vor der Welt behaupten kann, Ferrer wird nicht politisch verfolgt. Zum Glück ist außer linken Revolutionsromantikern Niemand so dämlich diese billige Lüge zu glauben. Das EU-Parlament hat ja trotzdem die sofortige Freilassung Ferrers gefordert.
F: Und Sie glauben, dass sowas auch Ihnen blühen könnte?
A: Ja davon bin ich fest überzeugt! Ich habe konkrete Anhaltspunkte dazu. In Kuba gibt es einen Feiertag der den Comites de la Defensa de la Revolucion (CDR) gewidmet ist. Diese Komitees sind Nachbarschaftsorganisationen die zur Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung dienen. An diesem Feiertag treffen sich die Mitglieder diese Komitees auf der Straße und veranstalten ein Fest. Dieses Jahr war das fest genau vor meiner Haustür. Auf einmal bemerkte ich, wie einer schnell durchs Treppenhaus ging. Ich öffnete meine Tür und sah einen Mann aufs Dach verschwinden. Ich ging auf meine Terrasse und plötzlich flogen vom Dach meines Hauses Glasflaschen auf die Menschen die unten auf der Straße feierten. Geistesgegenwärtig rief ich: „Achtung“ und konnte so die Leute warnen. Niemand verletzte sich. Außerdem habe ich laut und deutlich gesagt, dass das Jemand anderes ist, dass alle sehen können, dass ich nicht derjenige bin, der hier mit Flaschen wirft. Das war ganz klar ein Versuch mir eine Straftat anzulasten, damit man mir den Prozess machen und mich dann ins Gefängnis werfen kann. Zum Glück hat das diese Mal nicht geklappt, aber wer weiß was sie sich noch einfallen lassen. Ich muss auf jeden Fall auf der Hut bleiben.
F: Vielen Dank erstmal für unser Interview bis hierhin. Ich würde gerne auch noch über ein anderes Thema mit ihnen sprechen, und zwar über die Situation der LGBT in Kuba. Dem Augenschein nach hat sich die Situation dieser Menschen in den letzten Jahren erheblich verbessert. Mit Mariela Castro setzt sich ein prominentes Mitglied der Herrscherfamilie für LGBT-Rechte in Kuba ein. Sie selbst bekennen sich öffentlich dazu schwul zu sein. Sind Sie der Meinung, dass der kubanische Staat die Rechte der LGBT schützt und glauben sie, dass Mariela Castro ihre Interessen als Schwuler Mann vertritt?
A: Ganz und gar nicht! Natürlich hat sich die Situation der LGBT in Kuba verbessert, keine Frage, eine offene Verfolgung durch den Staat wie in der Vergangenheit findet nicht mehr statt. Allerdings schützt der kubanische Staat immer noch nicht unsere Rechte. In vielen Ländern Lateinamerikas ist die Ehe für Alle seit Jahren Realität, auf Kuba gibt es noch nicht mal eingetragene Partnerschaften für Schwule und Lesben. Mariela Castro repräsentiert weder mich, noch andere LGBT in Kuba. Wie kann sie auch? Sie selber ist heterosexuell, sie hat keine Ahnung wie es sich anfühlt auf Kuba schwul oder lesbisch zu sein. Außerdem ist sie ein Mitglied des Castro-Clans, ihr fehlt es an nichts, alle Reden ihr nach dem Mund, sie hat überhaupt keine Ahnung was es heißt benachteiligt oder diskriminiert zu werden. Schlimmer noch ihre Familie benachteiligt und diskriminiert andere Menschen bis heute. Mariela Castros LGBT Aktivismus ist nicht weiter als eine zynische Farce, die die Verbrechen, die die Castros in der Vergangenheit an den LGBT begangen haben, vergessen machen soll. Die Castros wollen ihren Ruf als Schwulenhasser reinwaschen. Ein weiteres Ziel ist es, unabhängigen Aktivismus der Zivilgesellschaft in Kuba zu unterbinden. Es soll bloß keine unabhängige Organisation auf Kuba geben, die sich für LGBT Rechte einsetzt. Der Staat will wie immer alles kontrollieren. Dasselbe haben sie mit der Frauenrechtsbewegung gemacht. Es gibt die Association de Mujeres Cubanas, die vorgibt, sich für Frauenrechte einzusetzen. Ihr Zweck besteht nur darin, unabhängige feministische Organisationen zu verhindern. Der kubanische Staat interessiert sich genau so wenig für Frauenrechte wie für LGBT Rechte.
F: Sie halten also nicht viel von Mariela Castro und ihrem angeblichen Einsatz für LGBT Kubaner?
A: Nein ich halte überhaupt nichts davon. Das ist nichts weiter als eine Show. Auf Kuba haben LGBT noch weniger Rechte als andere Kubaner, und die haben schon kaum Rechte! Bogotá, die Hauptstadt Kolumbiens, hat eine lesbische Bürgermeisterin, so etwas ist auf Kuba vollkommen undenkbar. Hier gibt es keinen einzigen Politiker, der offen homosexuell ist. Das ist auch kein Wunder, denn dieselben homophoben Männer, die uns früher in Lager gesteckt haben, sind ja immer noch an der Macht. Das kubanische Regime war immer homophob und wird es auch immer bleiben.
F: Auf Kuba wurde ja in diesem Jahr eine neue Verfassung eingeführt. Im Vorfeld hat das Regime vorgegeben, dass mit dieser Verfassung die Ehe für Alle auf Kuba eingeführt werden sollte. Am Ende blieb alles beim Alten, und auf Kuba sind weiterhin nur Ehen zwischen Männern und Frauen möglich. Wieso?
A: Das Regime hatte nie vor, die Ehe für Alle einzuführen. Das war wieder nur eine Farce um im Ausland Sympathiepunkte zu sammeln. Am Ende hieß es, es gäbe einen zu starken Widerstand der fundamentalistischen evangelikalen Freikirchen. Zwar stimmt es, dass sich die evangelikalen Kirchen in den letzten Jahren in Kuba stark verbreitet haben. Für mich als Schwuler ist das besorgniserregend. Diese fundamentalistischen Kirchen sind sehr homophob und haben wirklich sehr stark gegen die Ehe für Alle agitiert, aber sie sind einfach nur der Sündenbock. Es ist wirklich lächerlich, das kubanische Regime schert sich einen Dreck um Religion, das ist immer so gewesen. Die Kirche hat in Kuba genauso wenig zu melden wie alle anderen, die nicht Teil des Regimes sind, nämlich nichts.
Das Regime wusste von Anfang an, dass diese Leute gegen die Ehe für Alle sind, und dagegen Stimmung machen würden. Aber dieses Land ist eine Diktatur, was das Volk will interessiert den Castro-Clan überhaupt nicht, ihr Wille ist Gesetz in diesem Land. Hätten sie es wirklich gewollt, hätten wir die Ehe für Alle in Kuba. Aber sie wollten nicht. Nur jetzt können sie praktischerweise den Evangelikalen die Schuld geben. Die stehen jetzt als die rückständigen Schwulenhasser da, die sie ja auch sind. Allerdings leisten viele evangelikale Kirchen auch Kritik an der Diktatur, viele Oppositionelle sind Evangelikale, da kommt es dem Regime natürlich genau Recht, denen jetzt die Schuld zu geben und sie an den Pranger so stellen. Das Regime tut so als hätten sie die Ehe für alle gewollt, aber man müsse ja auf die religiösen Gefühle des Volkes Rücksicht nehmen. Wenn ich das höre wird mir schlecht. Als ich jung war konnte ich nicht offen Schwul sein, aber ich hätte auch nicht offen religiös sein können. Christen durften damals nicht studieren, sie wurden auch aus ihren Berufen entlassen, wenn ihre Religiosität auffiel. LGBT-Kubaner haben dasselbe erlitten. Diese Diktatur trampelt seit 60 Jahren auf den Religiösen Gefühlen der Kubaner herum, genau wie es die Rechte der LGBT weiter mit Füßen tritt.
F: Letzten Mai gab es ja eine nicht genehmigte Demonstration für LGBT-Rechte im Zentrum Havannas, nachdem die offizielle, von Mariela Castro organsierte Demo, ohne Angabe von Gründen abgesagt wurde. Es war seit mehreren Jahrzehnten die erste nicht staatliche Demonstration in Havanna. Am Ende wurde sie von der Polizei gewaltsam aufgelöst. Waren sie dabei?
A: Nein, ich war nicht dort. Ich bin nicht der Typ für Demos. Meine Artikel sind mein Protest, meine ganz persönliche Demonstration gegen das Regime. Aber natürlich unterstütze ich die Menschen die dort waren zu 100%. Damit sich etwas ändert, braucht Kuba Menschen die den Mut haben für ihre Rechte auf die Straße zu gehen. Menschen wie ich leisten mit ihren Artikeln zwar auch ihren Beitrag, aber ohne den Druck der Straße, kann es keine Veränderung geben.
F: Wie erklären sie sich die brutale Reaktion des Staates auf diese Demo, die von Seiten der Demonstranten völlig friedlich verlaufen ist?
A: Die Antwort des Staates war typisch für diese Diktatur. So reagiert der kubanische Staat immer, wenn man ihn herausfordert. Es war keine andere Reaktion möglich, die alten Herren, die das Land seit 60 Jahren in ihrer Gewalt haben, tolerieren keinen Widerstand. Interessant ist auch, dass man die Demonstranten anfangs noch in Ruhe gelassen hat. Zwar war an jeder Ecke Polizei und Staatssicherheit, aber es waren eben auch viele Kameras der ausländischen Presse anwesend. Außerdem hat man in diesem Land keinerlei Erfahrung mit Protesten, die letzten Demos in Havanna gab es 1994, die wurden gewaltsam niedergeschlagen. Man ließ die Demonstranten also zunächst gewähren und den Paseo del Prado bis zum Malecon herunterlaufen. Wahrscheinlich hoffte man, dass sich die Demo dann von selbst auflösen würde. Als die Aktivisten jedoch weiterlaufen wollten, wurde die Demo gewaltsam beendet. Die Route, die die Demo nehmen wollte, wäre mitten durch das heruntergekommene Viertel Centro Habanas verlaufen. Dort leben viele sehr arme Menschen, viele Schwarze die von der Polizei diskriminiert werden. Sie leben in baufälligen Häusern, unter sehr prekären Bedingungen. Das Regime wusste ganz genau, dass es nicht zulassen konnte, dass die Demonstranten durch dieses Viertel laufen. 1994 kam es hier zu massiven Demonstrationen und schweren Zusammenstößen mit der Polizei. Die Gefahr war einfach zu groß, dass diese Menschen im Angesicht der Demonstration auch angefangen hätten zu protestieren. Und dann wäre die Lage sehr schnell eskaliert. Also zerrte man die Aktivisten vor laufenden Kameras in die Polizeiautos. Das waren natürlich sehr unschöne Szenen, die das Ansehen des Regimes im Ausland nachhaltig geschädigt haben. Für das Regime war das jedoch ganz klar das kleinere Übel in diesem Moment.
F: Sehen sie diese Demonstration als Startpunkt für eine aktivere Zivilgesellschaft in Kuba?
A: Das würde ich mir jedenfalls wünschen. Aber ich bin nicht sicher, ob das wirklich so ist. Nach dieser Demo im Mai, gab es nur eine einzige weitere Demonstration der Zivilgesellschaft. Im Vorfeld des Staatsbesuches des spanischen Königspaares zum 500- jährigen Jubiläum Havannas begann die Stadtverwaltung damit, Straßenhunde zu fangen und zu töten, um ein möglichst sauberes Bild von Havanna zu vermitteln. Dagegen regte sich Widerstand und einige Dutzend Tierrechts-Aktivisten haben vor der Tötungsstation demonstriert. Es gab ein massives Polizeiaufgebot, aber soweit ich weiß keine Gewalt. Die Tötung der Straßenhunde wurde auch ausgesetzt. So ein Ereignis gibt natürlich Hoffnung, aber ich denke, dass es noch ein weiter schwerer Weg sein wird, bevor die Kubaner wirklich für Freiheit und Demokratie auf die Straße gehen werden.
F: In Miami gibt es dagegen eine sehr aktive Zivilgesellschaft von Exilkubanern, die Demokratie und Freiheit für Kuba fordert. Der Influencer Alexander Otaola, ebenfalls offen schwul, zeigt in seinem Programm täglich Missstände in Kuba auf. Haben sie von ihm gehört?
A: Ja das habe ich. Ich finde seine Arbeit sehr wichtig. Ich liebe seine bunte, schrille, tuntige Art. Schwule, die sich in Kuba so verhalten wie er, werden belächelt und verspottet. Auch Otaola wurde als Schwuler in Kuba diskriminiert und schlecht behandelt, bevor er ausgewandert ist. Es ist wichtig, dass so jemand wie er offen Auftritt und gleichzeitig den Mut hat das Regime zu kritisieren. Zu viele Kubaner trauen sich auch im Ausland nicht den Mund aufzumachen, weil sie Angst haben, dass sie sonst nicht mehr nach Kuba zurückdürfen. Otaola ist das egal, und er widerlegt damit das Vorurteil der kubanischen Macho-Gesellschaft, dass schwule Männer Feiglinge und Angsthasen sein. Otaola beweist bedeutend mehr Mut als die ach so starken kubanischen Machos.
F: Jorge Angel, ich danke Ihnen Sehr für dieses Gespräch!
A: Vielen Dank, keine Ursache.