Bei Gründung der Roten Armee Fraktion (RAF) vor 50 Jahren wurden auch christliche Ideale pervertiert – bis heute mit fatalen Folgen für die Opfer des linken Terrors
Benedikt Vallendar
Knapp drei Dutzend Tote, viele Verletzte und Sachschäden in Millionenhöhe. Das ist die Bilanz, die die Rote Armee Fraktion (RAF) hinterlassen hat. Als sich die linke Terrorgruppe nach dreißigjährigem Kampf im April 1998 auflöste, tat sie das mit einem schlichten Positionspapier, vergleichbar mit dem Abschlussbericht eines Insolvenzverwalters. „Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte“, hieß es kurzbündig in dem Schreiben, das in Köln bei einer Nachrichtenagentur auf dem Tisch landete. Wer das Schreiben verfasste, ist bis heute unbekannt. Ebenso die meisten Täter spektakulärer RAF-Morde, wie die Tötung des Treuhandchefs Detlev Karsten Rohwedder 1991 und des Deutsche Bank Chefs Alfred Herrhausen im November 1989 mit einem selbstzündenden Sprengsatz, der auf einem Fahrradständer montiert war. Weiter auf der Flucht sind auch die namentlich bekannten RAF-Terroristen, die 1993 in Hessen einen Gefängnisneubau sprengten und seither ihren Lebensunterhalt mit Überfällen auf Supermärkte und Geldboten bestreiten.
Christentum und linke Ideologie
Es klingt grotesk. Doch der Terror, der von der RAF ausging, fußte in Teilen auch auf der christlichen, katholischen Heilslehre. „Etwa auf der Grundannahme, dass vor Gott alle Menschen gleich sind, und dass allein den Armen das Himmelreich offensteht“, sagt der Diplom-Theologe Matthias Wanitschke aus Erfurt. Das, was Jesus gepredigt und friedlich vorgelebt hatte, versuchte die RAF mit Waffengewalt umzusetzen, in der wohlfeilen Annahme, eine historische Mission für die Armen und Ausgebeuteten zu erfüllen. Und doch hatten es sich die späteren Gralshüter der RAF-Ideologie nicht leichtgemacht. Denn ihren Gewalttaten der siebziger und achtziger Jahre waren bis in die fünfziger Jahre zurückreichende Diskussionen im Milieu der außerparlamentarischen Opposition (APO) vorausgegangen, wie Aktenfunden im APO-Archiv der FU Berlin zutage gebracht haben. Was in der Öffentlichkeit wenig bekannt ist: In den linken Debattierzirkeln ging es auch um die Frage, wie sich christliche, katholische Ideale in den damals noch jungen westdeutschen Staat miteinbringen ließen. Dass Gretchen Dutschke, Ehefrau des 1979 verstorbenen APO-Wortführers Rudolf Dutschke, ihre Magisterarbeit in evangelischer Theologie ausgerechnet über „revolutionäre Bewegungen zu Lebzeiten Jesu“ schrieb, war kein Zufall, sondern auch dem Zeitgeist geschuldet. „Die Wurzeln der RAF liegen gewiss in der Studentenbewegung der sechziger Jahre“, sagt der Berliner Historiker Sven Felix Kellerhoff. Doch als sich abzeichnete, dass das, was der bekennende Christ Rudolf Dutschke in Aussicht gestellt hatte, länger brauchen würde, als angenommen, begann es zu gären, sagt Kellerhoff. Der berühmte „Gang durch die Institutionen“, mit dem die 68-er-Bewegung Staat und Gesellschaf auf den Kopf stellen wollten, war mühsam und wenig erfolgversprechend. Einige wenige, darunter die Pfarrerstöchter Gudrun Ensslin und Irmgard Möller griffen zur Waffe, gingen in den Untergrund und erklärten der alten Bundesrepublik den Krieg. Dass sie Unterstützung von muslimischen, antisraelischen Palästinensergruppen aus dem Umfeld des 2004 verstorbenen Präsidenten Jassir Arafat erhielten, ist Teil der bitteren, historischen Wahrheit und stellt den vorgeblichen Kampf der RAF gegen das „faschistische Westdeutschland“ in ein höchst fragwürdiges Licht. Fakt ist: Die RAF ließ sich militärisch von Leuten ausbilden, die aus ihrem Hass gegen Juden keinen Hehl machten.
Einsamer Tod im Gefängnis
Als Gründungstag der RAF gilt gemeinhin der 14. Mai 1970, als Gudrun Ensslins Mitstreiter und Bettgenosse Andreas Baader bei einer Ausführung aus der JVA Tegel von Gesinnungsgenossen mit Waffengewalt befreit wurde, was einen Unbeteiligten fast das Leben gekostet hätte. Zwei Jahre zuvor hatten Ensslin und Baader in Frankfurt am Main ein Kaufhaus angezündet. Um ein Zeichen „gegen den Krieg der USA in Vietnam“ zu setzen, wie es hieß. Und wofür sie eine mehrjährige Haftstrafe kassierten, der sich Ensslin zunächst erfolgreich durch Flucht in den Untergrund entzog, während Baader nachts in Berlin mit Sonnenbrille Auto fahrend in eine Polizeikontrolle geraten war.
Unterstützung durch die DDR
Als ideologischer Kopf der RAF galt zeitweilig die Publizistin Ulrike Meinhof, die sich 1976 in Haft das Leben nahm und deren Tochter Bettina Röhl heute als Redakteurin beim „Focus“ arbeitet. In ihrem 2018 erschienen Buch „Die RAF hat euch lieb“ rechnet Röhl mit den Morden der Gruppe und den Verbrechen ihrer Mutter ab. „Nützliche Idioten“ waren die Terroristen der Roten Armee Fraktion vor allem für die Organe der DDR-Staatssicherheit, an deren Spitze Stasi-Minister Erich Mielke und Oberst Walter Heinitz, seinerzeit zuständig für Ermittlungen und Observationen, sagt Röhl. Als Ulrike Meinhof im Sommer 1970 in Ostdeutschland Unterschlupf suchte, sagte Mielke zunächst „Nein“, bevor er die gesuchte Terroristin zwei Tage später dann doch einreisen ließ, wohl auch, um dem Klassenfeind im Westen eins auszuwischen. Zwei Jahre später war der Spuk zunächst vorbei und die erste Generation der RAF hinter Schloss und Riegel, bevor ihre Jüngerschaft weitere Morde beging, darunter am früheren Daimler-Manager Hanns-Martin Schleyer, dessen Witwe und Kinder den Verlust des Vaters nie verwunden haben.
Auf mehr als 500 Seiten rechnet Autorin Röhl auch mit der so genannten „Studentenbewegung“ ab. Ihr Credo: „Nie ging es West-Deutschland materiell besser als in den sechziger und siebziger Jahren“. Auf den Politklamauk an den Unis und die anschließende „Genderdebatte“ hätte das Land gut und gerne verzichten können. Röhl widerspricht damit der bis heute weit verbreiteten These, die 68er um Dutschke, Daniel Cohn-Bendit und Co hätten die Bundesrepublik „demokratischer“ gemacht. „Das Grundgesetz gab es schließlich schon vorher, und ein freies Land war die Bundesrepublik auch in den fünfziger und sechziger Jahren“, so das Urteil der 1962 in Hamburg geborenen Autorin. Ihr Fazit: Studenten und Rote Armee Fraktion waren nicht Motor, sondern sich selbst inszenierende Statisten einer im Wandel begriffenen Gesellschaft, denen es erfolgreich gelang, das Interesse der Medien zu erheischen und damit selbst gestrickte Mythen zu erzeugen, in denen sich das linke, antichristliche und oft auch antikatholische Mainstream bis heute herumsuhlt.