Informationen

Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen

Liebes Tagebuch,

schon in den Achtzigern gab es ein Lied von der Gruppe The Police mit dem Titel „Too Much Information“. Dieses Lied kannte ich damals im Osten noch nicht und habe es erst um 1990 herum im Westen kennengelernt. Seinerzeit in der DDR hätte ich auch wirklich nichts damit anfangen können, denn zu v i e l e Informationen gab es dort nur in Form der penetranten Staatspropaganda. Über alles andere hatten wir in all den Jahren immer nur viiiel zu w e n i g e Informationen! Und vor allem waren sie so schwer zu bekommen! Lange Nachmittage hing ich am (West-)Radio, nur um so die Zweitliga-Fußballergebnisse aufzuschnappen und sie akribisch in den Spielplan in meinem Kicker-Sonderheft eintragen zu können, das unser Westbesuch für mich über die Grenze geschmuggelt hatte. Oder um die Torschützen in den Spielen des 1.FC Kaiserslautern in meine Privatstatistik aufnehmen zu können. Hätte es alle diese Informationen frei verfügbar in der Zeitung (oder im damals noch längst nicht erfundenen Internet!) gegeben, dann wäre der ganze Aufwand, den ich zu ihrer Erlangung betrieb, vollkommen überflüssig gewesen. Es hätte aber auch längst nicht so viel Spaß gemacht… Ja, dass der Mangel mit Freude und der Überfluss mit Überdruss verbunden sein könnte, das wäre mir damals nie in den Sinn gekommen. Aber je älter ich werde, desto mehr erkenne ich, dass zu viel von allem sogar unglücklich machen kann, weil es das Leben öde und banal werden lässt. Wenn ich darüber nachdenke, bedaure ich sogar die Nachgeborenen, die solche Freuden, wie ich sie auf meinen vielfältigen subtilen Jagden nach Informationen und manch anderem genießen konnte, vielleicht nie erleben werden…

Und diese Freuden wirken ja ein Leben lang fort oder kommen sogar wieder zurück, wenn sich mit den heutigen technischen Möglichkeiten plötzlich überraschende Informationen über längst Vergangenes offenbaren, die mich, hätte ich als Kind oder Jugendlicher über sie verfügen können, in Entzücken versetzt hätten. So habe ich vor kurzem tatsächlich eine Internet-Seite entdeckt, auf der sich alle Abschlusstabellen der Fußball-Bezirksliga Rostock von 1949 bis 1989 finden lassen. Und konnte also erst jetzt erfahren, dass Dynamo Wismar vor seinem von mir damals so betrauerten Abstieg 1981 schon stolze sechs Jahre der (in der DDR immerhin drittklassigen!) Bezirksliga angehört hatte. Und nicht nur das: Bis Mitte der Siebziger spielte sogar der Lokalkonkurrent Post Wismar in dieser Spielklasse, und das schon seit 1969! Und in der Saison 1975/76 spielten Dynamo und Post sogar gemeinsam in der Bezirksliga, es muss also Ortsderbys gegeben haben. Diese Vorstellung versetzt mich auch heute noch in helle Begeisterung! Wie durch eine Zeitmaschine fühle ich mich in meine Kindheit zurückversetzt!
In meinem heutigen Leben kann es mich manchmal rasend machen, wenn ich merke, dass manche Mitmenschen mir wichtige Informationen vorenthalten. Aber vielleicht sollte ich darüber gar nicht böse sein, denn egal aus welchen Motiven sie handeln: Der so erzeugte Mangel an diesen Informationen ist es doch erst, der ihren subjektiven Wert für mich – in einer Welt aus Informationsüberflutung – beträchtlich steigen lässt…

Dein Johannes

Veröffentlicht von on Sep. 28th, 2020 und gespeichert unter JOHANNES, LIEBES TAGEBUCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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