Vor 100 Jahren entwickelte der Bonbonkocher Hans Riegel in Bonn den „Goldbären“, der 1922 auf den Markt kam
Benedikt Vallendar
Egal, wo man einen Supermarkt betritt: Die bunten Tüten von „Haribo“ sind meist die teuersten. Und offenbar nicht die schlechtesten. Was in Deutschland allein der Marktanteil von rund 70 Prozent beweist. Ob hierzulande, in Russland, den USA, Australien oder Südafrika: Wer in Süßwarenabteilungen das Authentische sucht, greift gern zu den Tüten mit dem Goldbären aus Bonn; einem weltbekannten Firmenmaskottchen, Knuddeltierchen und Werbeträger, dessen Karriere nach dem ersten Weltkrieg begann. 1921 tüftelte Hans Riegel Senior in einem zur Küche umgebauten Lagerraum im Stadtteil Kessenich mit Gelatine, Farbessenzen, Bienenwachs und Zucker. Wochen zuvor hatte er auf einem Rummelmarkt einen Tanzbären gesehen, der ihn auf die Idee mit dem Goldbären brachte. Seine Frau Gertrud lieferte das goldglibbrige Konfekt zunächst per Fahrrad und Handkarren an umliegende Konditoreien; später an Jahrmarktbetreiber und Lebensmittelgroßhändler, wodurch sich der Goldbär nach und nach zur Marke entwickelte.
Wohlhabende Deutsche
Haribo schmecke anders, unaufdringlich und wohl auch besser, meint die Kölner Marketingexpertin Flavia Bota (44). Schon während ihres BWL-Studiums in Rumänien hat sie die speziellen Marktstrategien des Bonner Unternehmens studiert und daraus wertvolle Erkenntnisse für ihre Arbeit gezogen, sagt sie. Seine Rezepturen hüte Haribo wie einen Augapfel, heißt es in Fachkreisen. Sie sind der Schlüssel zu einem Erfolg, der unter Familienunternehmen seines Gleichen sucht. 2003 erschienen die Riegel-Söhne erstmals auf einer Liste der hundert reichsten Deutschen. Mehrere Tausend Mitarbeiter im In- und Ausland sorgen dafür, dass die Nachfrage nach Süßem, Saurem und Bunten nicht zum Erliegen kommt.
Doch Firmengründer Hans Riegel Senior, gelernter Bonbonkocher und Selfmademan war nicht nur ein kreativer Kopf und weitsichtiger Unternehmer, sondern auch ein tief im katholischen Glauben verwurzelter Rheinländer. Im März 1945, kurz nachdem die Amerikaner das linke Rheinufer besetzt hatten und bei Remagen über den Fluss setzten, starb er. Über die Umstände seines Todes kursierten später verschiedene Versionen, von denen Herzinfarkt bis heute die offizielle ist. Es gab auch Spekulationen über einen unnatürlichen Tod, da die Verbrechen Hitlers damals schon in aller Munde waren. Hans Riegel Senior war der Nazipartei 1944 beigetreten, angeblich um seinen Betrieb zu retten, wobei offen blieb, inwieweit er mit dem Regime verbandelt war. Sein Sohn Hans Riegel Junior, damals in Kriegsgefangenschaft, erfuhr erst später über eine Postkarte vom Ableben des Vaters mit nur 51 Jahren.
Promovierter Mäzen
Doch auch ohne den Gründer nahm die Unternehmensgeschichte einen guten Lauf. Nach Jahren latenter Stagnation meldet Haribo heute wieder wachsenden Umsatz, ohne Zahlen zu nennen, was in der Firma ein ehernes Gesetz ist; und auch, dass Investitionen generell ohne Bankkredite getätigt werden. Um „unabhängig zu bleiben“, wie Hans Guido Riegel, der heutige Chef und Mitgesellschafter immer wieder betont.
Kastanien gegen Bärchen
Nach Kriegsende führten Witwe Gertrud und die beiden Söhne Paul und Hans Junior die Geschäfte gemeinsam fort. Hans Riegel Junior, der 1951 über den Weltzuckermarkt promoviert hatte, erwies sich als wahres Marketinggenie. Jemand, dem immer Neues, manchmal auch Skurriles einfiel, um die Marke „Haribo“ zu etablieren.
Bruder Paul machte sich derweil als Tüftler, Sportler und Erfinder einen Namen. Badminton wurde seine große Leidenschaft. Seit Jahrzehnten können Kinder im Kottenforst, einem südlich von Bonn gelegenen Waldgebiet, das sich zum Teil im Familieneigentum befindet, Kastanien und Eicheln als Winterfutter für Hirsche und Rehe gegen Haribo-Süßes eintauschen; ein regelmäßiges PR-Event, das der Firma hilft, immer noch mehr Gummibärchen, Lakritzrollen und Coloradomischungen zu verkaufen.
Spenden für die Kirche
Hans Riegel Senior hatte in den zwanziger Jahren der katholischen Zentrumspartei nahegestanden und sah seinen unternehmerischen Erfolg als Gnade und Verpflichtung zugleich, heißt es aus dem Familienumfeld. Wohl wissend, dass die Bärchen, Zuckerklötzchen und weiß bebauchten Krokodile auch klassisches Familienkonfekt sind, bei dem sich Kirche und ein dem Katholischen recht nahestehender Entertainer namens Thomas Gottschalk passend ins Boot holen ließen.
Hans Riegel Junior war indes nicht minder katholisch verwurzelt als sein Vater, ein regelmäßiger Kirchgänger, sozial engagierter Firmenpatriarch und großzügiger Mäzen der Bonner Universität. Jedes Jahr aufs Neue verleiht eine Jury Oberstufenschülern den „Dr.-Hans-Riegel-Fachpreis“ für herausragende Leistungen in Naturwissenschaften. Geheiratet hat Hans Riegel Junior indes nie. Auch Kinder hatte er keine. In den achtziger Jahren schrieb eine Bonner Lokalzeitung, dass ihm an Wochenenden manchmal die „Decke auf den Kopf fiele“, so hatte es der Milliardär einer jungen Reporterin einmal traurig gestanden.
Als vor wenigen Jahren im nördlichen Rheinland-Pfalz bei Haribo eine neue Produktionsstätte an den Start ging, sorgte die Unternehmerfamilie dafür, dass eine am Wegesrand stehende Kapelle nicht abgerissen, sondern saniert und auf Firmenkosten betrieben wird. Das Gotteshaus war 1856 im Gedenken an ein verunglücktes Mädchen errichtet worden. „Mittlerweile sind keine Nachkommen der Familie mehr auffindbar“, heißt es in einer Mitteilung des Unternehmens. So dass das „Haribo-Kapellchen“ heute offen für jedermann ist. „Um dort zu verweilen, zu beten und den Blick über die schöne Landschaft zu genießen“, so beschreibt ein Unternehmenssprecher den Zwecks der Kapelle.
Dass sich Haribo der katholischen Kirche eng verbunden fühlt, zeigt sich immer wieder. Kürzlich hat die Firma auf einen Schlag 150.000 Euro zur Renovierung der katholischen Pfarrkirche im rheinland-pfälzischen Ringen beigesteuert, der „größten Einzelspende, die je von Haribo getätigt wurde“, heißt es ein wenig stolz aus der Presseabteilung. Doch auch in Ringen scheinen Glaube und Marketing zwei Seiten ein- und derselben Medaille zu bilden. Denn mit der Spende verstummten zugleich die Beschwerden über Gerüche aus dem nahe gelegenen Haribo-Industriepark, der Gemeinde und Kirche seit nunmehr drei Jahren satte Steuereinnahmen beschert.