Deutsche Juristenbiographien, Teil 41: Richard Thoma (1874-1957)
Matthias Wiemers
Der Staatsrechtler Richard Thoma gilt als führender Vertreter des staatsrechtlichen Positivismus. Die Krönung seiner wissenschaftlichen Lebensleistung bildet das gemeinsam mit Gerhard Anschütz herausgegebene zweibändige „Handbuch des Deutschen Staatsrechts“ (1930/32), das am Ende der Weimarer Republik erscheint, als diese ihren positivistischen Zenit bereits überschritten hat.
Richard Thoma wird am 19. Dezember 1874 in Todtnau im Schwarzwald als Sohn eines Fabrikanten geboren. Nach dem Abitur in Freiburg beginnt er ein juristisches Studium in Berlin und beendet es in Freiburg. Im Jahre 1900 promoviert Thoma ebenda bei dem bedeutenden Kirchenrechtler Ulrich Stutz mit einer Arbeit über „Die Bedeutung des Besitzwillens im Besitzrecht des BGB“.
Die Wende hin zum öffentlichen Recht erfolgt ebenfalls in Freiburg mit der im Jahre 1906 erfolgten Habilitation bei dem Staats- und Sozialrechtslehrer Heinrich Rosin. Der Titel der Arbeit lautet: „Der Polizeibefehl im Badischen Recht“. Zuvor hat Thoma seine Assessorenzeit am Badischen Verwaltungsgerichtshof und im Badischen Ministerium des Innern in Karlsruhe absolviert. Ein erster Ruf erfolgt im Jahre 1908 an die damalige Kolonialhochschule in Hamburg, ein Jahr später an die Universität Tübingen, bevor Thoma im Jahr 1911 den Lehrstuhl des verstorbenen Georg Jellinek an der Universität Heidelberg übernimmt. In Heidelberg lehrt Thoma Allgemeine Staatslehre, Staats- und Verwaltungsrecht sowie Völkerrecht und ist 1916/17 sowie 1922/23 Dekan der Fakultät. Einen weiteren Ruf im Jahre 1921, diesmal nach Berlin, lehnt er ab.
In Heidelberg entwickelt sich eine enge persönliche Freundschaft mit Max Weber, in dessen Haus Thoma ab 1915 eine Etage bewohnt. Eine weitere Freundschaft entwickelt sich noch in Heidelberg mit dem Fakultätskollegen (ab 1916) Gerhard Anschütz.
Ist das Frühwerk namentlich in Form der Habilitationsschrift durch den Versuch gekennzeichnet, die Rechte des Bürgers gegenüber der staatlichen Exekutive zu sichern, so wendet sich das Interesse in der Weimarer Republik der Fundierung der Parlamentarischen Demokratie zu. Daneben sind Staatsgerichtsbarkeit und Grundrechte der Weimarer
Reichsverfassung – letztere u. a. in Nipperdeys „Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung“ (1929) – Themen, die von Thoma grundlegend entfaltet werden.
1928 erfolgt ein letzter Wechsel, diesmal an die Universität Bonn. Die erste Zeit in Bonn steht unter dem Zeichen der gemeinsam mit Anschütz besorgten Herausgabe des „Handbuchs des Deutschen Staatsrechts“. Zu diesem die führenden Vertreter des Fachs vereinigenden Werk liefert Thoma insgesamt acht Beiträge – angefangen vom Einführungskapitel (§ 1) über eine Darstellung des Staatsrechts des Kaiserreichs (§ 7), bearbeitet Thoma grundlegend das Bundesstaatsprinzip (§ 15), das Demokratieprinzip (§ 16) und das parlamentarische Regierungssystem (§ 43). Weiterhin behandelt Thoma „Die Funktionen der Staatsgewalt, Grundbegriffe und Grundsätze“ (§ 71), die Prinzipien des Gesetzesvorbehalts und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und Rechtsprechung (§ 76) und „Das System der subjektiven öffentlichen Rechte und Pflichten“ (§ 102).
Neben dem Staatsrecht lehrt Thoma auch in Bonn wieder Völkerrecht und ist 1931/32 als Dekan tätig. Als Schwerpunkt seiner Tätigkeit wird man die Entfaltung der
Parlamentarischen Demokratie ansehen müssen, wobei Thoma auch zu aktuellen Themen – etwa in Form eines teilweise veröffentlichten Gutachtens für das Reichsministerium des Innern zur Verfassungsmäßigkeit der Notverordung des Reichspräsidenten vom 26. Juli 1930 zur Verabschiedung des Haushaltsplans – Stellung bezieht.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten verlegt sich Thoma in der Lehre stark auf das nicht ganz so politische Verwaltungsrecht und legt kaum noch juristische Publikationen mehr vor (Eine gewichtige Ausnahme bildet .“Die Staatsfinanzen in der Volksgemeinschaft“ aus dem Jahre 1937).
In den letzten Kriegsjahren nach Pillnach in Oberbayern ausgewichen, kehrt Thoma 1946 nach Bonn zurück und befaßt sich umgehend mit tagesaktuellen Fragen von Demontage und Besatzungsrecht. Hierzu gründet er mit den Professoren Friesenhahn und Mosler ein Seminar, an dem über 50 Personen teilnehmen, darunter führende Persönlichkeiten der Politik. Richard Thoma leistet damit auch wichtige Beiträge für den Neuaufbau von Justiz und Verwaltung im Rheinland.
Zwar nicht selbst Mitglied, wird Thoma doch zu den Beratungen des in Bonn tagenden Parlamentarischen Rates zur Schaffung des Grundgesetzes herangezogen. Es entspricht dabei seiner positivistischen Grundhaltung, dass er dem Grundrechtekatalog und namentlich der Menschenwürdegarantie an der Spitze des Grundgesetzes kritisch gegenübersteht.
Obwohl an sich schon jenseits des Emeritierungsalters, nimmt Thoma alsbald die Lehrtätigkeit an der Universität Bonn wieder auf, wo er jetzt bevorzugt Allgemeine Staatslehre liest und damit den Studenten die Demokratie nahezubingen sucht. Zahlreiche Anfragen zu Gutachten erreichen den Senior der Bonner Öffentlichrechtler und 1949 zum Ehrenpräsidenten der neueröffneten Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Gewählten, der am 26. Juni 1957 in Bonn stirbt.
Quellen: Hans-Dieter Rath, Positivismus und Demokratie. Richard Thoma 1874 – 1957, Berlin 1980