Ampel

Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen

Liebes Tagebuch,

kaum zu glauben, jetzt haben wir tatsächlich eine Ampelkoalition auf Bundesebene. Seit letzter Woche wird Deutschland zum ersten Mal von Roten, Gelben und Grünen gemeinsam regiert. Es ist nicht zu hochgegriffen, wenn ich sage, dass damit ein von mir lange gehegter Wunsch in Erfüllung geht. Schon in den ersten Regungen meines politischen Bewusstseins, damals in den frühen Achtzigern, hatte ich von einer solchen Regierungskonstellation geträumt, die mir das Beste aus drei verschiedenen Welten zusammenzuführen schien: Soziales, Freiheit und Umweltschutz – für mich die politische Traumkombination. Auch später noch, als an die Stelle meiner kindlich- und jugendlich-romantischen Schwärmereien allmählich Anflüge von politischem Sachverstand traten, blieb diese Konstellation aller Unwahrscheinlichkeit ihrer Herbeiführbarkeit zum Trotz immer meine Lieblings-Koalitionsoption.

Dazu beigetragen hat sicherlich auch der Umstand, dass ich das Glück hatte, den ersten erfolgreichen Versuch eines solchen Bündnisses auf Bundeslandsebene in Bremen von 1991 bis 1994 beinahe hautnah miterleben zu können. (Wenn man von Brandenburg 1990-1994 absieht, wo sich das zunächst noch nicht mit den Grünen verbündete Bündnis 90 mit SPD und FDP zusammengetan hatte.) Ach, damals in Bremen: meine Oberstufen- und anschließende Zivildienstzeit! Ich war so stolz darauf, im einzigen Bundesland zu leben, das von einer echten Ampelkoalition regiert wurde. Mein Lieblingspolitiker war der damals noch recht junge und wahnsinnig coole grüne Umweltsenator Ralf Fücks, später für einige Jahre auch Bundesvorsitzender seiner Partei und noch später langjähriger Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung. Manchmal sah ich Ralf Fücks, wie er mit dem Fahrrad durch unsere zentrale und gutbürgerliche Wohngegend Schwachhausen fuhr, wo seinerzeit die Grünen schon beinahe stärkste politische Kraft waren. Ganz ähnlich wie letzte Woche Cem Özdemir, der als einziger Bundesminister nach der Vereidigung nicht in eine Limousine stieg, sondern die Mappe mit seiner Ernennungsurkunde auf dem Gepäckträger seines Fahrrads befestigte und einfach davonradelte. Großartig!

Dabei haben damals in Bremen so viele in meinem Umfeld auf die Ampelkoalition geschimpft – und ich habe sie dann immer verteidigt. Selbst mein langhaariger Mathelehrer meinte, den Fücks kenne er noch gut von der Uni und die anderen Grünen auch. Die seien damals Maoisten und sonstwas gewesen, alles sehr gefährliche und politisch höchst unzuverlässige Leute, vor denen er nur warnen könne. Der Vater eines meiner Schulfreunde meinte, das könne doch gar nichts werden, diese Koalition werde nur wenige Monate halten. Ich hielt dagegen. Am Ende zerbrach die Koalition erst, als keiner mehr damit gerechnet hatte, nach mehr als drei Jahren an der sogenannten Piepmatzaffäre, bei der es um unterschiedliche Vorstellungen von FDP und Grünen bei der Ausweisung von Grünflächen ging.

Danach hat es mehr als zwei Jahrzehnte keine Ampelkoalitionen mehr gegeben. Vor allem deshalb nicht, weil die FDP nicht wollte. Während sich die Grünen in meinen Augen mit der Zeit sehr positiv entwickelten, sich immer mehr die Realos gegen die verbiesterten Fundis durchsetzten, ist die FDP leider immer mehr in Richtung Neoliberalismus abgedriftet: Partei der Autofahrer, Partei der Besserverdiener, Partei der sozialen Kälte, ganz schlimm. Als Sozialdemokraten und Grüne vor fünfzehn Jahren auf Bundesebene versuchten, Ampel-Machtoptionen auszuloten, wurden sie von Guido Westerwelle mit den Worten zurückgewiesen, an diesem rot-grünen Elend werde sich die FDP um keinen Preis beteiligen. Auch in vielen Bundesländern hätte es seitdem immer wieder rechnerische Ampel-Mehrheiten gegeben, aber stets haben die Liberalen alles blockiert.

Erst 2016 in Rheinland-Pfalz fanden sich erstmals nach 22 Jahren wieder die drei Ampelparteien zu einer Koalition auf Landesebene zusammen. Doch niemand hätte einen Cent darauf gesetzt, dass dies ein Vorbild für den Bund werden könnte. Christian Lindner, dem neuen starken Mann der FDP, fehlte dafür schlicht die Fantasie, wie er immer wieder betonte. Wie ihn SPD und Grüne immer bedrängten, das grenze ja schon an Stalking. Und nun das: Scholz und Habeck haben ihn doch noch um den Finger gewickelt und zum Finanzminister gemacht. Lindner spricht jetzt von einem „fortschrittlichen Zentrum“, die Ampel gilt ihm als Zukunftsprojekt. Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell sich plötzlich Dinge ändern können, die jahrzehntelang unverrückbar erschienen sind. Und wer viel Geduld mitbringt, dem erfüllen sich manchmal ganz unverhofft sogar noch die Träume seiner Jugend.

Dein Johannes

Veröffentlicht von on Dez 13th, 2021 und gespeichert unter JOHANNES, LIEBES TAGEBUCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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