Der russische TV-Kanal „Ost-West“ berichtet unabhängig und weltweit aus Berlin – vor allem für Menschen, die nicht an Putins Propaganda glauben
Benedikt Vallendar
Immerhin, 300.000 feste Abonnenten. Per Kabelempfang und teilweise auch per Streamingdienst im Internet. Im Flur der Berliner Lietzenburgerstraße 75 hängt ein kleines, buntes Firmenlogo. „RTV Broadcast“ steht dort, unter dessen firmenrechtlicher Ägide der Sender firmiert. Für einen unabhängigen Fernsehsender wie Ost-West seien 300.000 Abonnenten schon eine beachtliche Zahl, findet der Politologe und Blogger Klaus Angel, der im Rheinland selbst einen kleinen Internetsender betreibt und weiß, wie schwer es ist, dafür ein Publikum zu gewinnen. Hinzu kommen, nach Presseberichten, bei Ost-West-TV nochmal mehr als eine Million Hin-und-Wieder-Zuschauer im Baltikum und der Ukraine. Ost-West-TV hat seinen Sitz im Berliner Stadtteil Charlottenburg, von jeher ein Hotspot russischer Emigranten, die in den zwanziger Jahren vor der kommunistischen Diktatur in den Westen geflohen waren. Cafés, Kulturvereine und Lebensmittelgeschäfte prägen das Stadtbild Charlottenburgs, im Volksmund auch „Charlottengrad“ genannt, in Anlehnung an das frühere Leningrad, das seit dem Untergang der Sowjetunion wieder Sankt Petersburg heißt.
Man will es kaum glauben: Trotz Putins Krieg hat Russisches in Berlin weiter einen festen Platz in der Stadtkultur. Bis heute wird es an Gymnasien als zweite Fremdsprache angeboten. Und mit Marmelade gesüßter Tee, eine bekannte russische Spezialität, dürfte es in Berlin wohl auch nur in Charlottenburg geben, oder privat, in einer der vielen Gruppen und Grüppchen, die sich, ab und an unter dem Dach der russisch-orthodoxen Kirche treffen, zum Musizieren, Debattieren oder um im Gebet ihren christlichen Glauben leben.
Enges Netzwerk
Mit dem Ukraine-Krieg ist Ost-West-TV, der unscheinbar im hinteren Teil einer grauen Wohnanlage logiert, in den Fokus der Öffentlichkeit getreten. Medienanstalten aus vieler Herren Länder interessieren sich mittlerweile für die Arbeit des kleinen Journalistenteams rund um Redaktionsleiterin Maria Makeeva und den Kommentator Konstantin Hackethal, nicht verwandt mit dem umstrittenen und 1997 verstorbenen Chirurgen Julius Hackethal. Als einer der letzten russischsprachigen Sender außerhalb des putinschen Medienimperiums berichtet Ost-West, nach eigenen Angaben, unabhängig, frei und kritisch über alles, was in Russland und außerhalb geschieht. „Und das mit nur zwölf fest angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“, sagt Makeeva ein wenig stolz. Hinzu kommen feste Freie, die oft nur auf Umwegen an gesicherte Informationen gelangen, und die von der Redaktion sorgfältig überprüft werden, bevor sie auf Sendung gehen. Wenig bekannt ist, dass westliche Medienmacher und Nichtregierungsorganisationen in Russland schon vor Kriegsausbruch gut vernetzt waren. Und was mit ein Grund dafür war, dass Präsident Putin sie bereits 2012 zu „Agenten“ erklärte; mit der Folge, dass auch kirchliche Institutionen, wie das deutsch-katholische Hilfswerk Renovabis und die Ordensgemeinschaft der Steyler Missionare in Russland behördlich registriert werden müssen. „Was bei größeren Geldtransfers oft zu Problemen führt“, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter der Steyler Bank in Sankt Augustin. Es erklärt, weshalb sich Ost-West TV nach Kriegsausbruch wohl kalkuliert von der Außenwelt abgeschottet hat, und die Geschäftsführung auf Gesprächsanfragen von Medienvertretern, die über den Sender berichten möchten, zurückhaltend reagiert. Die im Internet angegebene Telefonnummer etwa ist die private einer Sekretärin, die jedem Anrufer freundlich und auch auf Deutsch verspricht, sein Anliegen „weiterzuleiten“, worauf aber erstmal gar nichts passiert. Die unmittelbare Vorgesetzte der Sekretärin, Redaktionsleiterin Maria Makeeva ist nicht erst seit Ausbruch des Krieges vieles in einem, sagt sie. Moderatorin, Rechercheurin und Herrin über ein eher bescheidenes Budget. Dass man bei Ost-West-TV vor allem „im Team arbeite“ ist ihr wichtig zu betonen. Denn daneben managt die 37-Jährige noch ihre eigene Familie, die weiter in Russland lebt und seit Bekanntwerden von Mamas Aktivitäten im fernen Deutschland unter argwöhnischen Blicken russischer Sicherheitsbehörden steht.
Alternative zu Putins PR
Kürzlich erhielt der TV-Kanal den mit 20.000 Euro dotierten Preis der deutschen Nationalstiftung. Für „unabhängige Berichterstattung“, jenseits der putinhörigen Politpropaganda aus Moskau. „Die mittlerweile auch die bunte Welt des Internets erfasst hat“, sagt der Publizist und Historiker Sven Felix Kellerhoff. Darunter der hierzulande auch bei Nicht-Russen beliebte Sender RT („Russia Today“), dessen Sendebetrieb Anfang März stark eingeschränkt wurde. „Wir gehören mittlerweile zu den guten Russen“, sagt eine Ost-West-Mitarbeiterin augenzwinkernd und wahrscheinlich auch ein wenig traurig. Also zu jenen, die sich öffentlich gegen den Kriegskurs der russischen Regierung stellen, so wie einst die Mitglieder der Widerstandsgruppe Weiße Rose, die Hitler kurzzeitig Paroli boten und später als das „andere Deutschland“ in die Geschichtsbücher eingingen. Bei der Weißen Rose zahlten viele mit dem Leben, was aber bei Ost-West-TV „niemand will“, so Maria Makeeva, die auch so etwas wie das optische „Aushängeschild“ des Senders ist, da sie meist in den Hauptnachrichtensendungen auftritt und bekannte Persönlichkeiten interviewt.
Bedrohung von außen
Ihr Chef, Hauptgeschäftsführer Peter Tietzki ist zurzeit „abgetaucht“, heißt es, will sagen: nur für wenige zu sprechen, da er Nachstellungen russischer Häscher fürchtet und das Leben seiner Familie in Gefahr sieht. Denn jeder, der sich öffentlich und dazu noch auf Russisch gegen Putins Krieg stemmt, lebt mittlerweile gefährlich, auch im vermeintlich sicheren Deutschland, wo der Kreml genau wahrnimmt, wie der Feldzug gegen die Ukraine medial transportiert wird. Das Problem: Seit dem „Tiergarten-Mord“ vom August 2019, bei dem, so das Berliner Kammergericht, ein russischer Agent einen politisch missliebigen Georgier am helllichten Tag erschossen hatte, ist die Gefahr eines Anschlag auf Exilrussen längst keine Fiktion mehr. Der Täter, der vor Gericht hartnäckig geschwiegen hatte, wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Die von Russland angezettelte Ermordung des Georgiers, der als Soldat in Tschetschenien gekämpft hatte, bestätigte der russische Präsident Putin indirekt, als er das Opfer, einen „Mörder und Banditen“ nannte. Jemand, der in Deutschland „zu Unrecht politisches Asyl“ beantragt habe, so das Bonner Internetportal T-online.de.
Scholz und andere Politgrößen
Friedlich und unter guten Vorzeichen standen einst die Anfangsjahre bei Ost-West-TV. Im Herbst 1990, kurz nach der Wiedervereinigung von einem findigen Unternehmer gegründet, war er als Nischensender an den Start gegangen, gedacht für die russischsprachige Community in den neuen Bundesländern, darunter auch Rotarmisten mit familiären Verbindungen in die frühere DDR. Hinzu kamen Hunderttausende Spätaussiedler und jüdische Emigranten aus der früheren Sowjetunion, unter ihnen der Bestsellerautor Wladimir Kaminer, dessen Name sich bei Ost-West-TV bislang nicht im Sendearchiv findet. Dafür Olaf Scholz, Annalena Baerbock und andere Politgrößen, die der russischsprachigen Welt über Ost-West-TV immer wieder neu ihre Sicht auf die Welt und vor allem auf den tobenden Ukraine-Krieg erläutern. „Seit seiner Gründung war der Sender in verschiedene Kooperationen eingebunden“, erinnert sich der katholische Theologe und Slawist Florian Hundhammer von der FU Berlin, der als Student in den neunziger Jahren wohl mit zu den ersten Zuschauern gezählt hatte. „Schaut auf diesen Sender, er zeigt, wie es in Russland und der Ukraine wirklich zugeht“, sagt Hundhammer, wohl in Anspielung an Ernst Reuters berühmte Rede von 1948, als der damalige westberliner Regierungschef publikumswirksam um Hilfe für seine von Sowjets eingeschlossene Stadt gebeten – und tatsächlich auch bekommen hatte.