Recht cineastisch Spezial: 50 Jahre „Rocker“ vom jüngst verstorbenen Klaus Lemke
Thomas Claer
Manches Großartige lernt man leider erst dann richtig kennen, wenn sein Erschaffer ins Gras gebissen hat. Aber lieber spät als nie, wie es bei Shakespeare heißt. Der große Trash-Filmemacher Klaus Lemke (1940-2022), hat neben allerhand genialem Schund, den er offenbar fortwährend so hingeschludert hat, auch ein paar unvergessliche Glanzstücke fabriziert, darunter vor genau einem halben Jahrhundert den Film „Rocker“, der als einer der ersten das deutsche (und vor allem das Hamburger) Rocker-Milieu ziemlich authentisch eingefangen hat. Der Song „Ich bin Rocker“ von Udo Lindenberg kam erst vier Jahre später, noch ein paar Jahre darauf folgten etwa Brösels Werner-Bücher und der erste Otto-Waalkes-Film mit der legendären Szene im „Chrome de la Chrome“ („Werner, stell ihm mal die Frage!“). Das alles kannte ich natürlich, nicht aber das „Original“, worauf sich dann alles Weitere lose bezogen hat. Zwar hatte ich schon oft von Klaus Lemkes „Rocker“ gehört, mir den Film aber aus unerfindlichen Gründen niemals angesehen. Dabei gibt es ihn, wie ich nun festgestellt habe, sogar frei und in voller Länge auf YouTube.
In Lemkes Filmen spielen ja oftmals gar keine richtigen Schauspieler mit, sondern nur auf der Straße angequatschte Laiendarsteller – zuletzt für 50 Euro Tagesgage. So ähnlich war es auch schon bei „Rocker“, der noch heute „Kultstatus“ genießt und regelmäßig in einem Hamburger Kino gezeigt wird, wobei die Zuschauer dabei viele seiner Dialoge mitzusprechen pflegen, die längst zu geflügelten Worten geworden sind („Hast du schon mal gebumst? So wie du aussiehst, hast du schon mal gebumst.“) Vor allem ist der Film auch handwerklich gut gemacht, von der Kameraführung bis zur Dramaturgie. Was hingegen völlig fehlt, ist eine Moral. Auf damalige Betrachter könnte er noch schockierender gewirkt haben als auf heutige. Im hier präsentierten harten Kern des damaligen Hamburger Rocker-Milieus regelt man alles unter sich und mit sehr viel roher Gewalt. Die harmlos-folkloristische Note, die später in die Rocker-Szene einziehen sollte, spielt hier noch keine Rolle. Vielmehr werden die Figuren sehr ernsthaft in ihren mitunter auch existentiellen Nöten gezeigt. Ein Film, den man gesehen haben sollte.
„Rocker“
BRD 1972
Regie: Klaus Lemke
Drehbuch: Klaus Lemke
Darsteller: Hamburger Rocker und sonstige Laiendarsteller