Recht cineastisch Spezial: Zum Tod von Jean-Luc Godard (1930-2022)

Ein persönlicher Rückblick

Thomas Claer

Mein erster Godard-Film war für mich zugleich auch der eindrucksvollste und inspirierendste. Als ich im jugendlichen Alter zum ersten Mal „Prénom Carmen“ (dt. Vorname Carmen“) aus dem Jahr 1983 sah, war ich zugegebenermaßen hauptsächlich an den opulenten Nacktszenen mit der unvergleichlichen Maruschka Detmers interessiert, die dann auch weiterhin die favorisierte Sex-Göttin meiner Träume bleiben sollte. Darüber hinaus machte ich in diesem Film aber auch Bekanntschaft mit der Musik von Tom Waits und den späten Streichquartetten Ludwig van Beethovens. Und mir wurden die Augen dafür geöffnet, wie vollendet und poetisch ein Film sein kann. Diese betörend schönen Bilder haben mich nie wieder losgelassen: das Rauschen der Meeresbrandung, das Streichquartett beim Üben und natürlich die hüllenlose Maruschka Detmers mit üppiger Schambehaarung im selbstvergessenen Liebesspiel. Vom Inhalt des Films allerdings habe ich bis heute nicht viel verstanden. Eine ziemlich verworrene Geschichte ist das, auf die es aber auch nicht so entscheidend ankommt. Jean-Luc Godard ist selbst darin aufgetreten, hat in einer nicht unbedeutenden Nebenrolle sich selber gespielt – als Onkel von Carmen (Maruschka Detmers), der er u.a. seine Wohnung am Meer zur Verfügung stellt, wo sie sich dann mit ihrem jungen schönen Geliebten vergnügt, der eigentlich der Polizist ist, der auf sie aufpassen soll, denn sie ist eine Bankräuberin; aber vielleicht ist das ja auch nur der Plot des Films, den sie gerade mit ihren Freunden dreht, wobei sie ihr Onkel unterstützen soll. Es bleibt alles in der Schwebe, und so erinnert man sich rückblickend vor allem an die schönen Bilder in ihrer Verbindung mit der schönen Musik…

Später habe ich mir dann auch noch ganz viele andere Godard-Filme angeschaut: „Außer Atem“, „Die Chinesin“, „Lemmy Caution gegen Alpha 60“… Toll waren sie alle, hintergründig und raffiniert, mal subversiv, mal plakativ. Wie er die großen Filmdiven in Szene setzen konnte – von Anna Karina bis Brigitte Bardot – das war schon einmalig. Schon möglich, dass mit seinem Tod auch der Tod des ganz großen Kinos zusammenfällt. Denn wie es scheint, hat die Streamingdienst-Serie inzwischen das Kino schon beinahe an den Rand der Bedeutungslosigkeit verdrängt. Für mich jedenfalls bleibt der große Jean-Luc Godard ganz besonders mit diesem einen Film verbunden, der mir so viel bedeutet.

Veröffentlicht von on Sep 19th, 2022 und gespeichert unter DRUM HERUM, RECHT CINEASTISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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