Geht bald das Licht aus?

Die Ausstellung „Was ist Aufklärung?“ im Deutschen Historischen Museum in Berlin

Thomas Claer

Diese Ausstellung kommt genau zur richtigen Zeit. Denn gegenwärtig scheint die – aus aufgeklärter Perspektive betrachtet – finsterste Reaktion beinahe unaufhaltsam auf dem Vormarsch zu sein. Wohin man blickt, nur immer neue Schreckensmeldungen. Dass der Despot im Kreml durchdreht, na gut. Man dürfe nie vergessen, hörte ich schon vor 35 Jahren von meinem Philosophie-Lehrer in der Schule, dass Russland ein Land sei, in dem es keine Aufklärung gegeben habe. Aber dass die Bürger der ruhmreichen Vereinigten Staaten von Amerika nun schon zum zweiten Mal einen impulsgetriebenen Lügenbold und Diktatorenfreund ins höchste Amt gewählt haben, der mit seinen toxischen Narrativen gleichsam die öffentliche Vernunft außer Kraft gesetzt hat, lässt für die Krisenherde der Welt das Schlimmste befürchten. Wird unser Kontinent dem standhalten, sich weiter als Heimstatt von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit behaupten können? Während im Inneren Europas schon die ideologischen Zersetzungsprozesse der Orbans und Le Pens, der Kickls und Salvinis, der Weidels und Wagenknechts wirken, nähert sich von Osten eine Putinsche Cyberangriffswoge nach der anderen und gibt es immer neue verdeckte Attacken auf unsere Energie- und Daten-Infrstruktur in der Ostsee. Stehen wir also am Rande eines hybriden Kriegszustands oder sind wir womöglich schon mitten drin?

Dabei ist es noch gar nicht so lange her, da hielten wir eine regelbasierte Weltordnung für alternativlos, Wandel durch Annäherung für eine Art Naturgesetz, wähnten uns an der Spitze des Fortschritts und „von Freunden umzingelt“. Nun dämmert uns langsam, dass Aufklärung vielleicht nur ein westlicher Sonderweg gewesen sein könnte statt das unausweichliche Entwicklungsziel der Menschheit.

Wie alles anfing mit der Aufklärung, dem Ausgang des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, dem Vertrauen auf die Vernunft im 18. Jahrhundert, das zeigt eine sehenswerte und klug kuratierte Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Es versteht sich, dass bei einem solch ausschweifenden und übergreifenden Thema nur ein winziger Teil all dessen gezeigt werden kann, was an einschlägigen Exponaten hierfür infrage käme. Natürlich gehören dazu Bücher und Schriften, Porträts und Schrifttafeln der maßgeblichen Protagonisten, aber auch wissenschaftliche Instrumente wie Mikroskope, welche die Aufbrüche jener Epoche aufs Vollkommenste symbolisieren. Doch die Ausstellung verfährt – ihrem Gegenstand entsprechend – kritisch und beleuchtet auch nicht zu knapp die zahlreichen inneren Widersprüche und Aporien aufklärender Theorie und insbesondere auch Praxis. Wie jeder weiß, waren die Aufklärer ganz überwiegend weiß und männlich. Und der von Anfang an geringschätzende Blick auf auf all die rückständigen Unaufgeklärten dieser Welt kam und kommt noch dazu…

Mein persönliches Lieblingsexponat ist eine in Öl gemalte Abbildung mit dem Titel „Kurze Beschreibung der in Europa befintlichen Völckern und Ihren Eigenschaften“ oder kurz „die steirische Völkertafel“ (siehe Abbildung). Sie stammt vermutlich aus dem frühen 18. Jahrhundert und vergleicht angebliche Charaktereigenschaften von zehn europäischen Nationen anhand von 18 Rubriken wie etwa „Natur und Eigenschaft“, „Sitten“ und „Lieben“. Dadurch festigt sie sowohl Fremd- als auch EIgenbilder. So seien die „Teutschen“ etwa „Offenherzig“ und liebten „Den Trunck“. Die „Angerländer“ seien „Wohl Gestalt“, die Spanier „Hochmüttig“ und litten unter „Verstopfung“. Der „Schwöth“ hingegen sei „Stark und Groß“, aber auch „Graussam“ und liebe „Köstlichkeiten“. Der „Poläck“ sei „Bäurisch“ und „Mittelmäßig“, der „Muskawith“ sei „boßhaft“ und liebe „den Prügl“. Der „Tirk oder Griech“ (das wird hier in einen Topf geworfen) sei „Wie das Abril-Weter“, leide „An Schwachheit“ und sei „Gar faul“; seine Kleidung sei „auf Weiber Art“…

Diese hübsche Tafel scheint mir das ganze Dilemma der Aufklärung auf den Punkt zu bringen. Mit dem löblichen Vorsatz, vorhandenes Wissen zu ordnen und zu systematisieren, werden hier in einem fort fragwürdigste Stereotype aneinandergereiht, die zu Ausgrenzung und Intoleranz führen können, in letzter Konsequenz sogar zu Hass und Völkermord. Es ist also, wie es schon Goya in seinem berühmten Bild antizipiert hat, „der Traum der Vernunft“ selbst, der Ungeheuer hervorbringt. Was ja auch der Befund in Horkheimers und Adornos „Dialektik der Aufklärung“ ist, laut meinem Philosophie-Lehrer einem der nur drei Werke, die man als aufgeklärter Mensch unbedingt gelesen haben sollte. (Die anderen beiden sind die „Kulturgeschichte der Neuzeit“ von Egon Friedell und die „Philosophische Hintertreppe“ von Wilhelm Weischedel.)

Kurzum, „Was ist Aufklärung“? führt uns „back to the roots“ unseres modern-aufgeklärten Weltbildes und lässt uns innehalten angesichts der dramatischen tagespolitischen Verfinsterungsprozesse.

Was ist Auklärung? Fragen an das 18. Jahrhundert
Noch bis 6.April 2025 im Deutschen Historischen Museum Berlin

Veröffentlicht von on Jan. 6th, 2025 und gespeichert unter DRUM HERUM, RECHT HISTORISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

Hinterlassen Sie einen Kommentar!