Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen
Liebes Tagebuch,
als Kind mochte ich es gar nicht, wenn meine Eltern mir ständig irgendwelche Aufträge erteilten, was ich an Hausarbeiten zu verrichten hatte: den Tisch decken und wieder abräumen, Geschirr abtrocknen, Staub wischen, Wäsche auf- und abhängen, später auch den Rasen mähen und das Auto waschen. Immer war irgendetwas im Haushalt zu tun, woran ich mich beteiligen sollte. Dabei hätte ich mich in der dafür aufgewendeten Zeit viel lieber mit anderen Dingen beschäftigt: hätte ferngesehen, Bücher gelesen, mit meinen Spielfiguren und Spielzeugautos gespielt oder sie sortiert und gezählt (was ich stets besonders gern tat). Und ich dachte dann immer: Meine Eltern haben schon ein hartes Leben, dass sie neben ihrer Berufstätigkeit auch noch fortwährend etwas im Haushalt zu tun haben…
Heute, fast ein halbes Jahrhundert später, sehe ich zumindest die Hausarbeit mit ganz anderen Augen. Es liegt wahrscheinlich auch daran, dass ich das große Glück habe, ruhig und selbstbestimmt von zu Hause aus meiner täglichen Arbeit nachgehen zu können, die sich mittlerweile gar nicht mehr sauber von meinen Hobbys abgrenzen lässt. Denn dadurch, dass ich für gewöhnlich den ganzen Tag lang nur lese oder schreibe, liegt dann – je älter ich werde, desto stärker merke ich es – der Kreislauf immer wieder derartig am Boden, dass ich mich zwischendurch mal dringend bewegen muss. Da kommt die jeweils anfallende Hausarbeit doch wie gerufen, denn man schlägt mit ihr mehrere, ach was: unzählige Fliegen mit einer Klappe:
Erstens spart man sich, wenn man im Haushalt selbst Hand anlegt, die Putzfrau. Zweitens spart man sich das Fitnesstudio, denn jedenfalls das Staubsaugen und Nachwischen in der ganzen Wohnung kann locker als sportliche Betätigung durchgehen. Drittens kommen einem gute Gedanken zumeist nicht, wenn man still am Schreibtisch sitzt, sondern wenn man sich bewegt. Wie sagte Friedrich Nietzsche: Traue keinem Gedanken, der dir nicht in munterer Bewegung gekommen ist. (Eigentlich hat er noch dazu gesagt: in frischer Luft. Aber darauf achtet ja meine Frau schon mit ihrer Schrittzähler-App, damit wir auf unseren Spaziergängen auch täglich unsere mindestens 10.000 Schritte kriegen.) Viertens hat man nach dem Putzen oder Kücheaufräumen auch immer ein schönes kleines Erfolgserlebnis, was einem sonst bei seiner Arbeit manchmal versagt bleibt, wenn eine Sache so gar nicht vorankommen will. Fünftens bleibt man auf diese Weise schlank, denn nach meinen früheren Beobachtungen stopfen oftmals Büroangestellte, deren Kreislauf vom langen Stillsitzen natürlich ebenfalls durchhängt, um sich Abhilfe zu verschaffen, gerne täglich große Mengen an Kuchen, Keksen, Chips oder Schokoriegeln in sich hinein, oder – noch schlimmer – sie schlürfen süße Getränke. Das alles braucht man nicht, wenn man, statt zu naschen, zwischendurch putzt, Wäsche aufhängt oder die Spülmaschine ausräumt. Sechstens schließlich tut es auch gut, wenn man sich durch seine Tätigkeit nützlich machen und gebraucht fühlen kann und für seine Putz- und Aufräumarbeiten unmittelbare Anerkennung bekommt.
Kurzum, die mir einst so verhasste Hausarbeit gehört heute sogar beinahe zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Hätte ich mir früher niemals vorstellen können, ist aber so.
Dein Johannes