Scheiben vor Gericht – spezial –
Thomas Claer
Schlag auf Schlag ging es 2012: Erst konnten Lou Reed und John Cale von The Velvet Underground ihre 70. Geburtstage feiern, dann auch noch Paul McCartney von den Beatles. Bob Dylan war schon 2011 an der Reihe, 2013 werden Mick Jagger und Keith Richards von den Rolling Stones nachziehen. Auf der Bühne stehen sie alle noch, eigentlich tun sie das sogar ständig. Und ihre Bühnenshows sind kaum weniger temperamentvoll als vor Jahrzehnten. Doch kann das wirklich überraschen? Als der deutsche Altrocker Achim Reichel (ex Rattles und Wonderland), der übrigens 2014 siebzig wird und heute selbstverständlich auch noch regelmäßig Konzerte gibt – wie sein Kollege Udo Lindenberg, der aber erst 2016 ins achte Lebensjahrzehnt eintreten wird – als Achim Reichel also 1989 ein Lied namens „Rock’n Roll und graue Schläfen“ herausbrachte, da galt es schon als kleine Sensation, dass die wilden Kerle von einst auch noch mit Mitte vierzig der Rockmusik die Treue hielten, die man damals vornehmlich mit Jugendlichkeit, Aufbruch und Protest assoziierte. Dabei war das, wie wir heute wissen, erst der Anfang! Längst hat sich erwiesen, dass kein Rock-Musiker, der etwas auf sich hält, jemals in Rente geht. So wie der Cowboy am liebsten durch eine Kugel auf dem Pferd stirbt, wünscht es sich der Rockstar im Beifallssturm des Publikums beim Gitarrensolo auf der Bühne. Schon vor Jahren kam Willi Winkler in der Süddeutschen Zeitung zu dem Schluss, dass der mythische Jungbrunnen der Antike, dem entstiegen alte Greise zu singen und zu tanzen, sich wie Jugendliche zu gebärden beginnen, nunmehr gefunden sei: Es ist die Rockmusik.
Nur dass die jungen Leute das inzwischen längst nicht mehr cool finden. Die hören lieber Schmuse-Pop und Lady Gaga. Als ich vor einigen Jahren einer jungen Kollegin eine CD mit ziemlich fetziger Rockmusik aufnahm, da kommentierte sie das mit den vernichtenden Worten: „Sowas hört aber eigentlich mein Vater.“ Man muss sich wohl schon langsam darauf einstellen, irgendwann den Satz zu hören: „Solche Musik hört doch mein Opa.“
Über das Hauptwerk der eingangs erwähnten Velvet Underground, „The Velvet Underground and Nico“, jene Platte aus dem Jahr 1967 mit dem legendären Bananencover von Andy Warhol, muss man indessen keine großen Worte mehr verlieren. Wenn es in der Welt eine perfekte, ganz und gar vollkommene Pop-Platte gibt, dann diese. Das Urteil lautet: sehr gut (18 Punkte).
The Velvet Underground
The Velvet Underground and Nico
Polydor (Universal) 1967
6,97 EUR (bei Amazon)
ASIN: B000002G7C