Recht philosophisch: Immanuel Kant in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ von 1796
Jochen Barte
„Harry Truman, Doris Day, Red China, Jonny Ray […]. We didn’t start the fire, but it was always burning since the world’s been turning“, heißt es in einem Popsong von Billy Joel aus dem Jahr 1989. Der US-Sänger montierte darin Namen und Ereignisse frech gereimt zur politisch-zeitgeschichtlichen Collage. Und heute könnte es locker weitergehen mit Bankenrettung, Börsenblase, Klimawandel, Treibhausgase… Das Feuer brennt noch, vielleicht stärker als jemals zuvor. Aber warum und zu welchem Zweck? Billy Joel geht darauf nicht ein. Er definiert nur einen Anfang, aber kein Ziel. Wer Antworten sucht, der ist bei Immanuel Kant besser aufgehoben, denn der deutsche Philosoph hatte schon in seiner rechtsphilosophischen Schrift „Zum ewigen Frieden“ von 1796 den Ursachen der irdischen Probleme nachgespürt und einen Zielpunkt der Entwicklung benannt: den permanenten Weltfrieden.
Starker Tobak, und ein Statement, das man eher mit intellektuell überforderten Schönheitsköniginnen als mit einem kritischen Philosophen in Verbindung zu bringen pflegt. Aber Kant wollte keinen metaphysischen Beauty-Contest gewinnen, sondern er hatte sich mit deutscher Gründlichkeit in die Sache hineingefressen und seine Schriften zur Natur- und zur Religionslehre lediglich um eine juristische Dimension ergänzt.
Juristische Gliederung
Der Text ist entsprechend juristisch gegliedert, er ähnelt einem Friedensvertrag. Er umfasst sechs Präliminarartikel und drei Definitivartikel nebst Zusätzen, deren Einhaltung zum ewigen Frieden führen soll. Verkürzt wird darin Folgendes postuliert: Verzicht auf taktisch motivierte Friedensschlüsse, kein Erwerb eines anderen Staates durch Erbung, Tausch, Kauf oder Schenkung, keine stehenden Heere, keine Staatsschulden in Beziehung auf äußere Staatshändel, keine gewalttätige Einmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten und schließlich keine Grausamkeiten, die künftige Friedensschlüsse vereiteln. Die Definitivartikel fordern sodann eine republikanische Staatsverfassung, ein föderalistisches Völkerrecht, das auf dem freiwilligen Bund souveräner Staaten beruht, und ein Weltbürgerrecht, das Fremden ein Gastrecht zubilligt als Schutz vor willkürlichen Feindseligkeiten.
All das zeigt, dass hier kein versponnener Idealist am Werke war, sondern ein scharfer Analytiker seiner Zeit und der Grundbedingungen humanen Zusammenlebens. Vieles mutet nachgerade sehr modern an. Denn auch für Kant gilt: „Der Friedenszustand unter Menschen, die nebeneinender leben, ist kein Naturzustand (status naturalis), der vielmehr ein Zustand ist, das ist wenngleich nicht immer ein Ausbruch der Feindseligkeiten, doch immerwährende Bedrohung mit denselben.“ Weshalb er an die im Menschen schlummernde moralische Anlage appelliert, das „böse Princip“ der Gewalt zu überwinden und sich zunächst selbst und dann auch im Verbund einen rechtlichen Rahmen zu verordnen, der die widerstreitenden Impulse bändigt, indem er die Verfolgung und Durchsetzung von Recht verbindlich formalisiert. Kant fasst dies in seiner „transcendentalen Formel“ des öffentlichen Rechts so zusammen: „Alle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publicität verträgt, sind unrecht.“ Denn ein etwaiger böser Vorsatz, würde so allen kundgetan und wäre damit unmöglich zu realisieren. Damit setzt Kant Recht per se mit öffentlichem Recht gleich.
Weltgemeinschaft schafft den Frieden
So sollte in mehreren Stufen vom Einzelmenschen ausgehend, der die moralische Notwendigkeit einer Verrechtlichung seiner Verhältnisse erkennt, über den Staat, der seine Beziehungen zu anderen Staaten formaljuristisch – nicht kriegerisch – gestaltet, eine miteinander verbundene Weltgemeinschaft geschaffen werden, deren moralische Verankerung und Vernetzung den permanenten Frieden garantiert.
Und heute? Wie sieht es nun, knapp zweihundert Jahre danach, auf unserem Planeten aus, möchte man fragen. Sicher, der Weltfrieden ist nirgendwo in Sicht. Wasser auf die Mühlen der Pessimisten. Und das Ende der Geschichte auch nicht, so wie es sich viele Kritiker des Königsberger Philosophen von Fichte, über Hegel, bis Marx in unterschiedlichsten Entwürfen erträumt hatten. Stattdessen dominieren lokale Brandherde. Aber Kants Konzepte haben sich dennoch als äußerst brauchbar erwiesen. Es gibt die Uno, die EU, den Commenwealth und ganz generell eine unübersehbare Vielzahl internationaler Organisiertheit. Demokratien bekriegen sich nicht, auch das hatte Kant im Grundsatz vorhergesehen. Alles in Allem also Grund genug den Ideen des alten Herrn und seinen verstaubten Schriften gelegentlich mal ein Reloading zukommen zu lassen.
Quellen:
Kant, Immanuel: Werke, 6 Bde., hg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1983.
– Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf (1795/96), in: Bd. 6.
Hübner Dietmar: Die Geschichtsphilosophie des deutschen Idealismus, Stuttgart 2011.