Die bürgerliche Welt des Bertolt B.

Bertolt Brechts Sommerhaus im östlichen Brandenburg ist ein Anziehungspunkt für Literaturliebhaber – am politischen Erbe des Literaten scheiden sich bis heute die Geister

Benedikt Vallendar

Sommerhaus, später: Idylle am Schermützelsee (Foto: BV)

Sommerhaus, später: Idylle am Schermützelsee (Fotos: BV)

Buckow – „Sozialismus im Brechtschen Sinne, das  ist Humanismus, Gerechtigkeit und Frieden!“, sagt Margret Brademann, die Leiterin des ehemaligen Sommerhauses Bertolt Brechts in Buckow am Ufer des Schermützelsees, knapp 50 Kilometer östlich von Berlin. Offiziell heißt das Gebäude „Brecht-Weigel-Haus“, benannt nach Brechts zweiter Ehefrau, Helene Weigel. Brademann lässt an ihrer Auffassung keinen Zweifel. Es klingt trotzig, fast dogmatisch, wenn sie ihre Thesen zum Sozialismus, der sich, ihrer Meinung nach, „stark vom Stalinismus unterscheidet“, verteidigt. Und es ist der zierlichen Frau anzumerken, wie sehr sie sich mit den Werken Brechts identifiziert hat. Denn Brecht gilt als linker Autor. Als er 1956 in Ostberlin starb, bereitete ihm die SED ein offizielles Begräbnis, doch insgeheim dürfte die Partei wohl froh gewesen, ihn los zu sein. Denn Brecht war, seiner linken Haltung zum Trotz, ein Stachel im Fleisch der DDR. Er scheute sich nicht, den SED-Funktionären mit Sarkasmus die Meinung zu sagen, wenn es ihm opportun erschien. Ein „Staatsschriftsteller“ nach dem Schlage eines Hermann Kant war Brecht mitnichten. Sein satirischer, realistischer Blick auf die Dinge des Lebens, der in dem von ihm geprägten epischen Theater seinen Ausdruck fand, passten nicht in die offizielle „Aufbruchstimmung“  des DDR-Sozialismus der Fünfzigerjahre.

Enfant terrible des Westens

Brecht trug ein kommunistisches Weltbild in sich und war nach den Schrecken des Nationalsozialismus zunächst davon überzeugt, dass die DDR das „bessere Deutschland“ sei. Als er sich nach dem gescheiterten Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 mit der SED solidarisch erklärte, war sein Ruf im Westen zunächst für viele Jahrzehnte ramponiert. Bühnen und Schriftstellerkollegen in der Bundesrepublik wandten sich von ihm ab, strichen seine Stücke vom Spielplan und mieden jeden Kontakt. Brecht hat darunter sehr gelitten und versucht, die einmal los getretene Kampagne westlicher Medien gegen ihn zu stoppen, was ihm bis zu seinem Tode nicht mehr gelingen sollte.

Seit 1977 ist das Sommerhaus in Buckow ein Museum, maßgeblich gefördert mit Mitteln des damaligen Ostberliner Kulturministeriums. Buckow, die „Perle der Märkischen Schweiz“, war Ende des 19. Jahrhunderts von wohlhabenden Berliner Bürgern als Erholungsort vor den Toren der Hauptstadt entdeckt worden. Brecht und Helene Weigel hatten den Ort ebenfalls für sich auserkoren und sich nach Jahren der Flucht aus Deutschland dort niedergelassen. Heute gehört das Haus dem Landkreis Märkisch Oderland und steht inmitten einer Reihe aufwändig sanierter Luxusvillen mit direktem Blick auf den Schermützelsee. Der Erholungsort des einstigen Salonkommunisten Brecht ist heute das, was er eigentlich schon immer war: ein Ort für Leute mit dickem Geldbeutel. Der Quadratmeter Wohneigentum ist am Schermützelsee heuer kaum unter 4.000 Euro zu haben; teurer ist es derzeit nur am Starnberger See und auf der Insel Sylt.

Versteckte Kritik an der SED

In den Achtzigerjahren begannen sich bundesdeutsche Intellektuelle wieder verstärkt für Brechts Werk zu interessieren. Wer in der Bundesrepublik  in den Jahren 1986 bis 1988 sein Abitur abgelegt hat, kam an Brecht, selbst im Grundkurs Deutsch, nicht vorbei. Und wer in dieser Zeit gegen USA und NATO war, der sympathisierte fast automatisch mit dem Friedensapologeten aus Berlin.
Erst nach der Wende 1989/90 sind  auch kritische Äußerungen Brechts zur Niederschlagung des Arbeiteraufstands in der DDR am 17. Juni 1953 publik geworden, obgleich er sich in seinen „Buckower Elegien“, die zwischen Juli und August 1953 in dem Sommerhaus entstanden, zunächst widersprüchlich zu den Ereignissen in Ostberlin geäußert hatte. Brecht hatte Verständnis für die Niederschlagung des Aufstands gezeigt, jedoch auch eine „Aussprache“ mit den protestierenden Arbeitern verlangt. Berühmt wurde sein ironisch gemeinter, an die SED gerichteter Vorschlag, „die Regierung möge, wenn sie mit dem Volk denn unzufrieden sei, sich doch ein neues wählen“.

Brecht war kein kommunistischer Dogmatiker, sondern ein zeitlebens denkender, in sich zerrissener Mensch und Literat. Nach den Erfahrungen des Dritten Reichs und dem Leben im Exil versuchte der gebürtige Bayer seinen Traum vom Sozialismus am Ende seines Lebens künstlerisch zu verarbeiten, obgleich er sich des SED-Unrechts und seiner eigenen Privilegien durchaus bewusst war. Brecht kassierte, nach den Recherchen seines Biografen John Fuegi, allein am Ostberliner Ensemble ein Monatsgehalt von 3000 Ost-Mark, etwa das Zehnfache dessen, was 1953 ein Arbeiter auf der Stalinallee in Berlin, die heute wieder Frankfurter Allee heißt, verdiente. Brecht war ein Spitzenverdiener und seine Erben haben mit seinem weltweit übersetzten Werk bis heute ein Millionenvermögen zusammengetragen. Zahlreiche materielle Annehmlichkeiten, die ihm die DDR-Führung zuteilwerden ließ, nahm Brecht, der 1898 in Augsburg Geborene, gerne an.

Originalwagen aus "Mutter Courage"

Originalwagen aus "Mutter Courage"

In der Weimarer Republik hatte sich Brecht offen zum Kommunismus bekannt, ohne jemals einer Partei beizutreten. In Buckow fand er seit 1952 Ruhe vor den Unbilden des Berliner Theaterbetriebs und Linderung für sein angeborenes Herzleiden. Aufgrund Brechts polygamer Lebensweise dürften sich auf dem heute so idyllisch anmutenden Areal auch kleine menschliche Dramen abgespielt haben. Seit 1928 mit Helene Weigel verheiratet, hatte Brecht seiner außerehelichen Geliebten unweit des Sommerhauses ein eigenes Gartenhaus errichten lassen, wo sich die beiden regelmäßig trafen.

Platz in der Münchner Ruhmeshalle

Dass sich Brecht nach dem Krieg, nach Jahren des Exils in der Schweiz und in den USA, ausgerechnet in der DDR niederließ, um dort zu arbeiten, machte ihn im Westen zum enfant terrible. Doch diese Zeiten sind lange vorbei. Heute gehört Brecht, neben Goethe, Schiller, Thomas Mann und Fontane zu den Granden der deutschen Literaturgeschichte, seine Stücke zur Pflichtlektüre an Gymnasien im wiedervereinigten Deutschland. Es werden Klausurarbeiten und Abiturprüfungen über ihn geschrieben, selbst in Österreich, wo das Abitur „Matura“ heißt, in der deutschsprachigen Schweiz und im CSU-regierten Bayern. Seit 2009 ziert seine Büste gar die Ruhmeshalle in München.

Blick auf den Schermützelsee

Blick auf den Schermützelsee

Empfindlich reagiert  Margret Brademann, die in der DDR Museologie und Geschichte studiert hat, wenn sie im Zusammenhang mit Brecht auf die Verbrechen des Sowjetführers Stalins angesprochen wird. Denn Brecht hat nach dem 17. Juni 1953 auch solidarisch anmutenden Briefkontakt mit SED-Generalsekretär Walter Ulbricht, bekanntlich einem engen Verbündeten Stalins, gepflegt und den Arbeiteraufstand als „Provokation des Westens“ bezeichnet. „Das war doch kein Sozialismus, was wir hier hatten!“, empört sich Brademann und hätte unseren Besuch im Sommerhaus fast abgebrochen. Offenbar ist das ein wunder Punkt bei ihr. Denn auf „ihren“ Brecht lässt die resolut wirkende Museumsleiterin überhaupt nichts kommen. Doch dann fängt sie sich wieder, lächelt charmant und sagt versöhnlich. „Na ja, eben   w e i l   das hier kein Sozialismus war, sind wir ja 1989 auf die Straße gegangen“.
Ob die Bürger der DDR im Herbst 1989 tatsächlich für einen „anderen Sozialismus“ demonstriert und dabei zuvörderst an das literarische Erbe Bertolt Brechts gedacht haben, sei dahingestellt. Mehr als zwanzig Jahre sind seither vergangen. Und aus dem Museum am Schermützelsee ist inzwischen ein Kleinod für literaturbegeisterte Menschen aus der ganzen Welt geworden.

Internet:
www.brechtweigelhaus.de

Veröffentlicht von on Jun 24th, 2013 und gespeichert unter DRUM HERUM, RECHT HISTORISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

2 Antworten for “Die bürgerliche Welt des Bertolt B.”

  1. Noreen Mayer sagt:

    Schon nach Ende des 2. Weltkrieges versucht Brecht nach Deutschland zurückzugelangen. Er fliegt in die Schweiz. Dort hat er ein Haus am Zürcher See, wo er auf seine Einreisegenehmigung nach Westdeutschland wartet. Doch diese Genehmigung wird ihm verweigert und daraufhin fährt er mit einem tschechischen Pass über Prag nach Ostberlin, weil man ihm dort die besten Voraussetzungen für seine Theaterarbeit bietet. Dort übernimmt Brecht die Generalintendanz des „Deutschen Theaters“.

  2. „Der von der Feigheit und Dummheit der Zeit frei Gebliebene führte das Doppelleben, das „Der gute Mensch von Sezuan“ darstellt, und befleckte sich mit Zugeständnissen, um sich halten zu können. Es half ihm nichts, daß seine für offizielle Anlässe gelieferten Verse, absichtlich oder nicht, erstaunlich schlecht waren, Schweyks Schläue im Umgang mit der Diktatur konnte ihn innerlich nicht beruhigen. Er mußte sich als Gespenst seiner selbst vorkommen, weil er, zur Flucht zu stolz, unter der ihm längst fragwürdig gewordenen Fahne ausharrte. Nur ein besseres Ende des Krieges hätte ihn vor dieser Zwangslage bewahren können. Er war kein Verräter, aber ein Gefangener. Er wurde wieder zum Außenseiter, sein Gesicht bekam einen leichenhaften Zug. Der schlimmste Mißbrauch seiner Person war die Unterschlagung seiner kritischen Stellungnahme zur Unterdrückung des Berliner Juniaufstandes von 1953, von der die Öffentlichkeit nur die verbindliche Schlußformel zu sehen bekam. Nach seinem frühen Tod, der wohl mit dem Gram darüber zusammenhängt, kamen Gedichte ans Licht, die zeigen was er litt.

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