„Blindheit ist einfach eine andere Art zu leben“

Eine Begegnung mit Pamela Pabst, Deutschlands erster blinder Strafverteidigerin

Julia Roller

Wir treffen Frau Pabst im Amtsgericht Berlin. Die kleine, zierliche Anwältin mit Pony und einem langen geflochtenen Zopf bis zur Hüfte ist eingehakt bei einer ebenfalls kleinen, aber kurzhaarigen Frau. Gemeinsam gehen sie ins Gerichtszimmer, um an einer Verhandlung über eine fahrlässige Tötung teilzunehmen. Soweit alles nicht auffällig, nur – Pamela Pabst ist die erste deutsche Strafanwältin, die blind ist. Bis auf starke Farbkontraste und auffälliges Blinken kann sie mit dem ihr verbliebenen 1% Sehstärke nichts sehen.
In der Verhandlung fällt ihre Sehbehinderung nicht wirklich auf; sie spricht deutlich und zum Gericht gewandt, trägt ihre schwarze Robe und nimmt genauso an der Verhandlung teil wie jeder andere Anwalt. Nur als es um in Augenschein zu nehmende Zeichnungen und Fotos geht, steht nicht sie vorne an der Richterbank, sondern ihre Assistentin, Frau Müller. Sie erklärt Frau Pabst hinterher, was sie gesehen hat.
Der Anwaltsberuf war schon seit dem 11. Lebensjahr der Traumberuf von Pamela Pabst – das bei einem Anwaltsbesuch mit ihrer Mutter gehörte magische Wort „Mandant“ ließ sie bereits auf dem Gymnasium auf das Jura-Studium hinarbeiten, welches sie dann schließlich an der FU Berlin absolviert hat. An der Uni kannte sie nur einen weiteren sehbehinderten Menschen, der allerdings in einem anderen Semester studierte. Trotzdem war sie alles andere als eine „Einzelkämpferin“, sondern hatte guten Kontakt zu ihren Kommilitonen, die sie zum Beispiel dadurch unterstützten, dass sie ihr vorlasen. Auch die Universität selbst half Frau Pabst, etwa durch das Bereitstellen eines eigenen Raumes in der Bibliothek und durch Zeitverlängerung bei den in Blindenschrift geschriebenen Klausuren. Dennoch, das maschinelle Aufsprechen der Bücher ist so kostspielig, dass sie trotz aller Unterstützung, die ihr zuteil wurde, ein Stipendium benötigte, um studieren zu können.
Da sie in den Klausuren nur die Gesetzestexte auf Datenträgern nutzen durfte, hatte sie eine nicht juristisch geschulte Helferin in einem extra Raum, die ihr aus den Kommentaren vorlas. Letztlich absolvierte sie das Erste und Zweite Staatsexamen jeweils fast mit einem VB und begann als Anwältin zu arbeiten. Ihren Erstwunsch, nämlich Strafrichterin zu werden, konnte sie wegen einer Entscheidung des BGH nicht realisieren, wonach nur zivilrechtliche Richter oder Staatsanwälte, nicht aber Strafrichter blind sein dürfen. Deutschlandweit gibt es heutzutage um die 270 blinde Juristen, blinde strafrechtliche Anwälte gibt es bis auf Frau Pabst noch nicht.
Nun arbeitet sie auf dem Dachboden ihres Hauses, wo sie ihr Büro hat, während sie ihre Mandanten im Wintergarten empfängt. Ihre Assistentin Frau Müller, eine Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte, ist dabei von Montag bis Freitag für insgesamt 33 Stunden an ihrer Seite. Mehrmals in der Woche sind beide gemeinsam im Gericht, wohin sie mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Besonders mag Frau Pabst an ihrer Arbeit, dass sie mit so vielen Menschen in Kontakt kommt und oft vor Gericht sprechen kann. Ihre Auswahl der Mandate bemisst sich dabei zum einen nach der Menge der Akten. Da sie viel länger als andere braucht, um Akten durchzuarbeiten, kommen Fälle, bei denen es ganze Räume voller Dokumente zu lesen gilt, für sie von vorneherein nicht in Betracht. Zum anderen möchte sie niemanden verteidigen, der Tieren etwas angetan hat.
Ihren ersten Mandanten hat sie übrigens in ihrem Schuldirektor gefunden, der damals allerdings zivilrechtlich vertreten wurde. Ihr erster Strafrechtsmandant war dann eine Pflichtverteidigung, mittlerweile läuft vieles über Mundpropaganda; vor allem Frau Pabsts häufige Besuche in der JVA Tegel führen dazu, dass ihr Name unter den dortigen Kriminellen eine Empfehlung geworden ist. Dabei spielt ihre Blindheit keine Rolle; ihr sei soweit nicht bekannt, dass sich Mandanten deshalb an sie gewandt hätten, weil sie den Fall vielleicht unvoreingenommen(er) betrachten würde. Schließlich sei es auch so, dass sie zwar sicherlich ein feineres Gehör als Sehende habe und damit auch Dinge heraushören könne, die Sehenden durch die Überlagerung visueller Eindrücke verwehrt blieben. Allerdings falle es ihr schwer, da einen Vergleich zu ziehen, da sie ja nicht wisse, was es nun zu sehen gibt. Was ihr als ein Klischee gegenüber Blinden aber ab und an begegne, sei die Frage, ob sie das Gesicht des Gegenübers anfassen möge. Blindheit sei schlichtweg eine andere Form zu leben, nicht eine schlechtere, das sei vielen nicht sofort einleuchtend. Auch von ihren Kollegen wurde sie nie aufgrund ihrer Blindheit respektlos behandelt; entweder habe man schnell gemerkt, dass sie mehr als nur gute „Schreibtischarbeit“ machen könne und vielmehr auch in Hauptverhandlungen auftrete, oder die Betreffenden hätten an sich ein schlechtes Benehmen, was aber nicht auf ihre Behinderung zurückzuführen sei.
Wenn sie nach langen Arbeitstagen und emotional herausfordernden Fällen nach Hause kommt, entspannt sie sich gerne mit einem ihrer über 3000 Hörspiele. Aber insgesamt könne sie Privates und Berufliches gut trennen, indem sie ihre Fälle wenn nötig auf Distanz zu sich halte.

Veröffentlicht von on Mai 19th, 2014 und gespeichert unter DRUM HERUM, SONSTIGES. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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