Altmeister Nick Cave kommt langsam wieder in Form
Thomas Claer
Zwischenzeitlich schien es, als sei Nick Cave, 1957 in Australien geborener Meister des lärmigen Underground, einfach nur ein müder alter Sack geworden. Vom kommerziellen Erfolg seiner „Murder Ballads“ (1996) hatte er sich – daran konnte kein Zweifel bestehen – mehr als ein Jahrzehnt lang nicht mehr richtig erholt. Nach jenem seinerzeit in Szenekreisen misstrauisch beargwöhnten Turn zur hinreißenden Popballade mit Kylie Minogue („Where the Wild Roses Grow“) und zum nicht minder bezaubernden Duett mit P.J. Harvey („Henry Lee“ – Was für ein Video!) war bei Cave und seinen Bad Seeds irgendwie die Luft raus. Immer langsamer und schleppender wurden fortan ihre Songs, immer reduzierter und spartanischer die Arrangements. Meist plätscherten die Lieder ihrer zwischen 1997 und 2004 veröffentlichten Alben nur noch so dahin. (Immerhin wurden aber die Berliner Bad Seeds-Konzerte in jenen Jahren noch von Sven Regener, einer allzeit zuverlässigen Instanz des guten Geschmacks, besucht.) Man konnte allerdings gar nicht glauben, dass dort die einst so wilden Kerle am Werk waren, neben Cave noch Mick Harvey und Barry Adamson, die Anfang der Achtziger in Australien unter dem Namen „Birthday Party“ für gefeierte Lärmorgien gesorgt hatten, bevor sie 1983 nach West-Berlin zogen. Dort, in der Kreuzberger Szene vor dem Mauerfall, wurden unter Mitwirkung von Blixa Bargeld („Einstürzende Neubauten“), noch bis vor wenigen Jahren vollwertiges Mitglied der Band, kurz darauf die „Bad Seeds“ geboren. Mit „From Her To Eternety“ (1984) gelang ihnen ein unübertroffen morbides, wirres, destruktiv-schönes Debut, die Bandmitglieder auf den Plattencover-Fotos allesamt vom Wahnsinn gezeichnet. Seitdem galten Nick Cave & The Bad Seeds als Institution in der Dark Wave-Szene, bis sich Nick Cave unglücklicherweise in Kylie Minogue verliebte …
Es brauchte einen Umweg: Nick Cave, den viele schon abgeschrieben hatten, nahm 2006 mit dem Geiger Warren Ellis und einigen anderen härteren Jungs ein sehr kraftvolles Album namens „Grinderman“ auf, das auch textlich, etwa mit dem „No Pussy Blues“, zur harten Obszönität der ganz frühen Jahre zurückfand. Und diesem Jungbrunnen entstiegen geht es bei Mr. Cave nun auch mit seinen guten alten Bad Seeds wieder richtig zur Sache. Schon vor gut einem Jahr erschien das neue, überaus frisch wirkende Album „Dig, Lazarus, Dig!!!´”. (Wir sind spät dran mit unserer Rezension, ich weiß. Aber wie zuletzt schon bei den Breeders geht auch hier Relevanz vor Aktualität.) Auch optisch ist Nick Cave kaum wiederzuerkennen. Ein mächtiger Schnurrbart schmückt jetzt das Gesicht der einstigen Coolness-Ikone. Und musikalisch knüpft „Dig, Lazarus, Dig!!!” an die besten Jahre der Band an. Alle Lieder des Albums haben das, was unsere Großeltern-Generation ehedem als Schmiss bezeichnete, soll heißen: da geht was los. Der Opener und Single-Track ist noch gar nicht mal so überragend, aber dann kommen finstere Rassel-Nummern wie „Night Of The Lotus Eaters“, fulminante Rock-Kracher wie „Albert Goes West“, aber auch mit „Hold On To Yourself“ ein hochmelodiöses Stück der entspannteren Art. Das Urteil lautet: voll befriedigend (11 Punkte).
Nick Cave & The Bad Seeds
Dig, Lazarus, Dig!!!
4AD/Beggar (Indigo) Mute (EMI) 2008
Ca. € 17,-
ASIN: B000ZN258M