Konrad Schober hat in seiner voluminösen Dissertation die Entwicklung des Rechts der europäischen Polizeizusammenarbeit zusammengefasst
Matthias Wiemers
Ich schreibe diese Zeilen am Wochenende des G-20-Gipfels in Hamburg. Wieder einmal wird – wie auch bei ähnlichen Veranstaltungen der letzten Jahre auch in Deutschland – deutlich, dass es „gewaltbereite Demonstranten“ gibt, die aus ganz Europa anreisen, um vor Ort Chaos, Verwüstung und Kollateralschäden unter den friedlichen Versammlungsteilnehmern auszulösen, die von ihrem friedlichen Recht im Sinne des Art. 8 GG Gebrauch machen. „Gewaltbereite Demonstranten“ ist in dieser Kategorie ein Euphemismus, der die Augen vor einem Phänomen verschließt, dem nur mit einem gut organisierten System der Zusammenarbeit europäischer Polizeien begegnet werden kann, das nunmehr schon über eine gewisse Geschichte verfügt. Diese Geschichte erzählt die im Frühjahr veröffentlichte und hoch aktuelle (SS 2015) Bremer Doktordissertation von Konrad Schober, der selbst aus dem Polizeidienst stammt.
Die Arbeit ist in vier Teile zuzüglich einem Anlagenteil gegliedert. Nach einer Einleitung, die den Untersuchungsgegenstand skizziert, folgt in Teil B. („Erstes Buch“), eine Chronologie der europäischen Polizeizusammenarbeit zwischen TREVI und Prüm, die allein rund 600 Seiten umfasst und künftig schon immer dann herangezogen werden kann, wenn es etwa darum geht, die Kompetenzen der Europäischen Union neu zu vermessen und darüber nachzudenken, ob nicht bestimmte Kompetenzen, die man bislang als der staatlichen Souveränität reserviert betrachtete, nicht weiter europäisiert werden sollten.
Dabei bezeichnet TREVI eine im Jahre 1975 in Luxemburg und Rom begonnene polizeiliche Zusammenarbeit („Terrorisme, Radicalisme, Extremisme, Violence Internationale), deren bisheriger Höhepunkt mit dem Vertragt von Prüm aus dem Jahre 2005, das zunächst fünf Staaten (Deutschland, Belgien, Luxemburg, Niederlande und Österreich, s. S. 522 ff.) ausgehandelt haben und an dem sich Frankreich und Spanien noch vor Unterzeichnung und schließlich Finnland, Slowenien, Ungarn und Norwegen durch Beitritt beteiligt haben. Das bekannteste in der Zeit dazwischen getroffene Abkommen ist freilich das „Schengener Durchführungsübereinkommen“, dem besondere Bedeutung für die Grenzsicherung zukommt und das inzwischen in den rechtlichen Besitzstand des EU-Rechts überführt wurde.
Immer wieder streut der Autor schon während der wirklich ausführlichen Schilderung der Entstehungsgeschichte der Polizeizusammenarbeit und der ihr zugehörigen Regelungen auf rechtliche Fragestellungen ein, bevor er dann im Teil C. den deutsch-österreichischen Polizei- und Justizkooperationsvertrag (S. 629 ff.) und den Vertrag von Prüm (S. 822 ff.) jeweils einer näheren juristischen Untersuchung unterzieht.
Im letzten Teil D. folgt eine Zusammenfassung von insgesamt 62 Ergebnissen sowie ein Ausblick (S. 1035 ff.) Die gefundenen Ergebnisse sind nicht nur juristische Schlussfolgerungen, sondern vielmehr auch die Darstellung politischer Verhaltensmuster in dem sensiblen Bereich der (inneren) Sicherheitspolitik.
Schließen wir mit dem Schlussergebnis Schobers: „In der Gesamtschau aller Einzelergebnisse ist festzuhalten, dass es bei der fast 30jährigen Entwicklungsgeschichte einer Europäischen Polizeizusammenarbeit zwischen TREVI und Prüm zwar da und dort Missverständnisse, Irrungen, Wirrungen und auch rechtspolitisch krisenhafte Episoden gegeben hat. Dennoch wurde das im Laufe der Zeit generierte Mehr an Sicherheit nicht auf Kosten von Freiheit und Recht erkauft, sondern stets in einem ausgewogenen Verhältnis mit diesen zentralen Elementen eines demokratisch verfassten Rechtsstaates geschaffen.“
In einem kurzen Ausblick äußert sich der Autor skeptisch gegenüber dem Gedanken einer weiteren Vertiefung der europäischen Polizeizusammenarbeit, dem der Autor erkennbar positiv gegenübersteht, und zwar in Bezug auf das Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Die bedenkenswerten Ausführungen des BVerfG (s. dazu zustimmend Wiemers, KritV 2011, S. 226 ff.) müssen freilich auch künftig vor dem Hintergrund der eingangs geschilderten halb-terroristischen Bedrohungslage immer wieder hinterfragt werden.
Konrad Schober, Europäische Polizeizusammenarbeit zwischen TREVI und Prüm. Mehr Sicherheit auf Kosten von Freiheit und Recht? C. F. Müller Verlag, Heidelberg 2017, 1090 S., 129,99 Euro (ISBN 978-3-811442580)