Vor 70 Jahren wurde der Staat Israel gegründet – als Heimstätte jüdischen Lebens und Anziehungspunkt für junge Menschen aus aller Welt
Benedikt Vallendar
Tel Aviv – Um es vorweg zu sagen: Israel ist teuer. Für Essen, Wohnen und Ausgehen zahlt man dort mehr als in Europa und den USA. Neubauwohnungen mit Blick aufs Meer zum Preis von 7.000 Euro pro Quadratmeter sind in Tel Aviv keine Seltenheit. Der Grund: Von jeder Geldtransaktion geht in Israel ein Teil ans Militär, der Lebensversicherung des jüdischen Staates, worüber aber kaum jemand murrt, gleichwohl wachsende Ungleichheit dem kleinen Land arg zu schaffen macht. Allein die allgemeine Wehrpflicht für Männer und Frauen sorgt für eine gewisse Nivellierung. Nach unbestätigten Schätzungen lebt etwa ein Drittel der israelischen Bevölkerung in Armut. Suppenküchen, Beratungsstellen und Kleiderkammern wie in Berlin und New York gibt es auch in Haifa, Tel Aviv und Jerusalem, auch wenn Besucher das gerne ausblenden. Und TV-Beiträge über Israel gern die Sonnenseiten zeigen, Surfschulen, junge Frauen in knappen Bikinis und das hippe Leben in den Bars von Tel Aviv, DER Partystadt schlechthin. „In Haifa wird gearbeitet, in Jerusalem gebetet und in Tel Aviv gefeiert“, heißt es klischeehaft über das Leben in Israel, dessen Gründung sich am 14. Mai zum siebzigsten Mal jährt. Und dessen Bevölkerung sich heuer aus aller Herren Länder speist, wie einst die USA und neuerdings auch Deutschland und seine europäischen Nachbarn.
Modernes Multikulti
Die israelische Staatsgründung war blutig erkämpft worden und steht, ginge es nach dem Willen muslimischer Hardliner, bis heute unter keinem guten Stern. Nach der Vertreibung der Juden aus Palästina 70 nach Christus, jahrhundertelanger Verfolgung und den Gräueln von Auschwitz, Sobibor und Treblinka war sich die Weltgemeinschaft am Ende des Zweiten Weltkrieges einig, dass nur ein jüdischer Staat die Existenz des jüdischen Volkes garantieren könne. Israels Gründerväter, allen voran der aus Polen stammende Ben Gurion, erster israelischer Ministerpräsident und sein später legendär gewordener Verteidigungsministerkollege Mosche Dajan setzten die Ideen des 1904 verstorbenen Autoren Theodor Herzl von einem „jüdischen Staat“ in praktische Politik um, indem sie die Zeichen der Zeit erkannten. Und Israel zu dem machten, was es heute ist: Ein moderner, westlich orientierter Multi-Kulti-Staat, der noch immer Anziehungspunkt ist für Kreative aus aller Welt. Eine von ihnen ist die deutsche Marketingspezialistin Sandra Jörg, die in Israel einen Wohnsitz hat und von dort aus ihre Kunden betreut, darunter die Schweizer Bahn, eBay und Volkswagen. „Israel ist ein Land der kurzen Wege, und die Menschen sind hier offen für neue Ideen“, schwärmt Sandra Jörg, die ein Team aus freiberuflichen PR-Fachleuten leitet, mit dem sie, überwiegend online, ihre Projekte umsetzt. Schon früh erkannte die gebürtige Schwäbin die Potentiale des Internets. Als deutsche Politiker noch über Datensicherheit, „Gefahren“ und Privatsphäre schwadronierten führte Israel freies WLAN für alle ein und wurde zu einer der ersten Adressen in Sachen IT. Fehlende Rohstoffe und die noch immer bestehende Abhängigkeit von US-amerikanischen Direkthilfen von jährlich rund zwei Milliarden Euro lassen dem Land auch keine andere Wahl. Von jeher setzt der jüdische Staat auf Bildung, Wissenschaft und neue Ideen, um sich vor der Welt zu behaupten.
Viele Kirchen, wenige Moscheen
Dass Bildung auch eine Frage des physischen Überlebens sein kann, bewies wiederholt das israelische Militär, das trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit nahezu alle Kriege gegen seine arabischen Nachbarn gewonnen hat, wohl auch weil seine Generale und Obristen handverlesen und bestens geschult waren. „Wer nach Israel kommt, sollte gut Englisch und ein wenig Hebräisch sprechen, weil es das Einleben in den Alltag erleichtert“, sagt Sandra Jörg. Obgleich rund zwanzig Prozent der Bevölkerung Araber sind bestimmen nicht Moscheen und Synagogen, sondern Kirchen das Bild der Städte, wie Besucher immer wieder erstaunt feststellen. „Fast alle christlichen Konfessionen haben in Israel Fuß gefasst“, sagt die Potsdamer Historikerin Jenny Krämer. Nonnen und Ordensleute in schwarzen und beigen Habits prägen vielerorts das Bild, was auch christlichen Waisenhäusern, Schulen und Hospitälern geschuldet ist, die grundsätzlich allen Menschen, gleich welcher Religion und Herkunft offen stehen. „Das Zusammenleben klappt hier besser als manche behaupten“, sagt Sandra Jörg, die in Israel über ein breites Netzwerk aus Kollegen, Familienangehörigen und Freunden verfügt und sich im Land längst heimisch fühlt. Es bleibt allein die Sorge um das kühle Nass, Wasserknappheit, die viele Menschen rund um den See Genezareth und das Tote Meer um die Zukunft ihrer Kinder bangen lässt. „Das Tote Meer sinkt jährlich um einen Meter“, sagt Sandra Jörg. Und hätte Israel nicht frühzeitig in moderne Meerwasserentsalzungsanlagen und Bewässerungssysteme investiert müsste es heute genauso um sein Überleben kämpfen wie Menschen in Jordanien, Kairo und im benachbarten Syrien.
Fotos: BV