Deutsche Juristenbiographien, Teil 20: Karl Doehring (1919 – 2011)
Matthias Wiemers
Karl Doehring war ein Berliner, den das Schicksal nach dem Zweiten Weltkrieg in den Westen verschlug. Über sein Leben wusste er im Rahmen einer knappen biographischen Darstellung zu berichten, die diesem Text zugrunde liegt.
Karl Doehring wird als Sohn eines Rechtsanwalts am 17.3.1919 in Berlin-Wilmersdorf geboren. Der Vater war, als Sohn des dortigen Landrats, noch auf der Marienburg in Ostpreußen geboren. Das Elternhaus wird als deutsch-national beschrieben. Die Familie hat ein Landgut in der Uckermark, das in der Zeit der Weimarer Republik mit Einnahmen aus der Anwaltskanzlei subventioniert werden muss, und Karl ist kurzzeitig an der Universität Königsberg eingeschrieben. Der Besuch des französischen Gymnasiums, das Friedrich der Große für die Hugenotten eingerichtet hatte, von 1929 bis 1936, sollte Folgen für die spätere berufliche Entwicklung haben.
Anfang 1934 wird der Vater verhaftet und kurzzeitig in das Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg verbracht. Danach ist er politisch auf der Hut und jederzeit bereit, unterzutauchen. Ende 1944 wird er von Reichsjustizminister Thierack in den Ruhestand versetzt – wegen politischer Unzuverlässigkeit. Unter ungeklärten Umständen kommt der Vater 1947 vor den Toren Berlins um und wird nahe der Autobahn gefunden. Unter den zahlreichen bekannten Berlinern, mit denen die Familie bekannt ist, gehört auch der Völkerrechtler Erich Kaufmann, der jüdischer Abstammung war (s. justament nnnn). Der Jahrgang des jungen Karl hat die Oberprima nicht mehr zu absolvieren, sondern macht an der Jahreswende 1936/37 Abitur. Nach einem halben Jahr beim Reichsarbeitsdienst beginnt im Herbst 1937 der zweijährige Militärdienst bei der Panzertruppe in Wünsdorf – erkennbar ausgerichtet auf den Ernstfall.
Im März 1939 beginnen für Doehring die militärischen Einsätze, die ihn nach Prag führen und dann im Krieg in den Polenfeldzug und nach Afrika. Doehring wird Offizier, Leutnant und dann Oberleutnant, und ist 1942 nach einer Verwundung Ausbildungsoffizier in Brandenburg. Anfang 1943 erfolgt die Rückbeorderung nach Afrika, wo Doehring alsbald in britische Kriegsgefangenschaft gerät. Fünf Jahre ist er in einem Gefangenenlager in der Nähe des Roten Meeres interniert, wo es eine „Lageruniversität“ gibt, die am Ende das spätere Fachstudium nicht nur teilweise vorbestimmt, sondern auch um zwei Semester verkürzt. 1948 als einer der letzten Mitglieder des deutschen Afrika-Korps in die Heimat entlassen, führt ihn der Weg über das Aufnahmelager in Munster nach Heidelberg, wo inzwischen Mutter, Schwestern und Bruder ansässig sind, nachdem der Bombenkrieg sämtlichen Besitz der Familie in Berlin vernichtet hat.
Nach kurzer Überlegung, eventuell ein Handwerk zu erlernen, weil es in Deutschland so viel wieder aufzubauen gibt, entschließt sich Doehring für ein Jurastudium an der Heidelberger Universität, wo zunächst ein Aufnahmeverfahren durchlaufen werden muss. Ernst Forsthoff, der inzwischen wieder in Heidelberg lehrt, wird alsbald Doehrings Lehrer. Anhand dieser Person setzt sich Doehring in seinen Erinnerungen mit Rechtslehrern auseinander, die während des Dritten Reichs eine zu große Nähe zum Regime innehatten, wobei er Forsthoff zu denjenigen zählt, die ihren anfänglichen Irrtum einer Annäherung an das System bereut haben. Das Erste Staatexamen legt Doehring schon nach fünf Semestern ab und wird sodann Referendar, wobei er zugleich als Assistent am 1949 in Heidelberg wiedererrichteten May-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht unterm dem Direktor Carl Bilfinger ist. 1956 erfolgt die Promotion bei Forsthoff mit einer Arbeit über die Pflicht der Staatsgewalt zur diplomatischen Protektion ihrer Staatsbürger. 1962 erfolgen die gleichfalls von Forsthoff betreute Habilitation und noch im selben Jahr Rufe auf Lehrstühle in Göttingen und Heidelberg, die Doehring jedoch beide ablehnt. Er fühlt sich dieser Herausforderung noch nicht gewachsen, weil er zehn Jahre an seinem Bildungsgang verloren habe. Daher wird er zunächst neben seiner Tätigkeit am Max-Planck-Institut zum Honorarprofessor an der Universität berufen und folgt dann 1967 seinem Lehrer Forsthoff auf dessen Lehrstuhl nach. Karl Doehring richtet allerdings den Schwerpunkt des Lehrstuhls anders aus. Statt vornehmlich Verwaltungsrecht lehrt er Verfassungsrecht, Allgemeine Staatslehre, Völkerrecht und Europarecht. Trotz des mit 48 Jahren späten Antritts seines Ordinariats habilitiert Karl Doehring insgesamt sechs namhafte Vertreter vornehmlich des internationalen Rechts: Georg Ress, Kay Hailbronner, Torsten Stein, Rudolf Dolzer, Matthias Herdegen und Juliane Kokott.
Innerhalb der Studentenunruhen von 1968 wehrt sich Doehring mit Einlegung einer Verfassungsbeschwerde gegen den Zeitgeist, der ein nach seiner Auffassung verfassungswidriges Hochschulgesetz hervorgebracht hat. Er sieht einen übertriebenen Individualismus, kritisiert ein mangelhaftes Staatsbewußtsein und – im Zuge der deutschen Wiedervereinigung – auch den Umgang mit den Enteignungen in der Sowjetischen Besatzungszone, an denen sich der Staat nachträglich bereichert habe. Kritisiert er den Umgang auch des Bundesverfassungsgerichts mit dieser Frage, so gerät der hieran als Gerichtspräsident beteiligte Roman Herzog auch später nochmals unter Kritik, indem Doehring die unter seinem Konventsvorsitz entstandene europäische Grundrechtecharta – inzwischen Teil des EUV – als völlig unnötig bezeichnet. Dem kann man nicht viel hinzufügen.
Eine Gastprofessur im Jahre 1988 an der Emory Law School in Atlanta/Georgia ist nicht das Ende der Lehrtätigkeit des inzwischen Emeritierten. Er hat bis kurz vor seinem Tod am 24. März 2011 das Max Planck Institut besucht, dem er über 50 Jahre angehörte. Zahlreiche internationale Engagements, so etwa bei der International Law Commission der Vereinten Nationen und damit verbundene Beratungstätigkeit in vielen Teilen der Welt, und mehrere Lehrbücher, haben bleibende Früchte getragen. Das große Lehrbuch des Völkerrechts (C. F. Müller) erschien erstmals im Jahre 1998.
Quellen:
Karl Doehring, Von der Weimarer Republik zur Europäischen Union. Erinnerungen, Berlin 2008
Juliane Kokott, Nachruf, in: ZaöRV 2011, S. 435 ff.