Menage-a-trois am Han-Fluss

Recht cineastisch, Teil 35: „Burning“ von Lee Chang Dong

Thomas Claer

Das südkoreanische Kino ist schon lange kein Geheimtipp mehr. Vielleicht sei es, so mutmaßte schon vor mehr als einem Jahrzehnt das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung, „das coolste Kino der Welt“. Nun hat mit „Parasite“ von Bong Joon Ho erstmals ein Film aus dem Land der Morgenstille die „Goldene Palme“ in Cannes gewonnen. Grund genug, sich den ebenfalls hochgelobten koreanischen Vorjahres-Beitrag in Cannes, den Film „Burning“ von Lee Chang Dong, der nun in unsere Kinos kommt, einmal anzusehen.

Hierbei handelt es sich um die Verfilmung einer Kurzgeschichte von Haruki Murakami aus dem Jahr 1983. Haruki Murakami? Richtig, der japanische Schriftsteller, über dessen Buch „Naokos Lächeln“ sich vor 19 Jahren das „Literarische Quartett“ so sehr in die Wolle kriegte, dass Sigrid Löffler nach der Sendung verärgert ihren Austritt aus dem Quartett erklärte. (Für sie war das Buch „literarisches Fastfood“, während es Marcel Reich-Ranicki als „fabelhaft und hocherotisch“ ansah. Natürlich gilt Haruki Murakami heute längst als Schriftsteller von Weltrang…)

Regisseur Lee Chang Dong verlegt nun also die Handlung aus Harukis 36 Jahre alter Geschichte ins Südkorea der Gegenwart. Und dies funktioniert durchaus, denn das Phänomen der zornigen und frustrierten jungen Menschen auf Sinnsuche, die sich in ihrem Außenseitertum eingerichtet haben, ist mittlerweile auch im einstigen Tigerstaat am Han-Fluss angekommen. Was die Japaner schon vor Jahrzehnten kannten, spüren nun auch die lange Zeit von traumhaften Wirtschaftswachstumsraten verwöhnten Südkoreaner: Es ist für junge Leute selbst mit guter Qualifikation nicht mehr so leicht wie früher, irgendwo unterzukommen. Und so mancher wird dabei, was in diesem Land mit seiner traditionell so starken sozialen Kontrolle eigentlich gar nicht vorgesehen ist, zum Individualisten.

So auch Jongsu (Yoo Ah In), der Held dieses Films, ein junger Hochschulabsolvent (Studienschwerpunkt: Kreatives Schreiben), der sich mit Gelegenheitsjobs und Arbeiten auf dem Bauernhof seines Vaters über Wasser hält, während er bereits an seinem Roman-Debüt arbeitet. Eines Tages begegnet ihm so etwas wie der feuchte Traum jedes (angehenden) Schriftstellers: eine attraktive junge Dame, die ihn ausgiebig für sein Tun bewundert. Dass Jongsu einen Roman schreibt, findet Haemi (Jeon Jong Seo), die ebenfalls von Gelegenheitsjobs lebt und auf der Suche nach dem Sinn des Lebens eine Reise nach Afrika unternehmen will, „mochitda“. Dieses kaum ins Deutsche übersetzbare koreanische Wort (es entspricht in etwa dem englischen „handsome“) bedeutet so viel, wie dass sie Jongsu für einen tollen Typen hält. Sehr schnell kommen beide auch zur Sache, wobei die Initiative eindeutig von Haemi ausgeht. Doch dann fliegt Haemi für ein paar Wochen nach Afrika, während Jongsu ihre Katze versorgt. Und zurück kommt Haemi zu Jongsus großem Verdruss in Begleitung des einige Jahre älteren Ben (Steven Yeun), der ebenfalls großen Gefallen an Haemi gefunden hat. Ben ist, in krassem Gegensatz zu den beiden anderen Protagonisten dieser Dreiecksgeschichte, offenbar steinreich und protzt ganz hemmungslos mit seinem Porsche und seinem Luxus-Apartment im mittlerweile weltweit berüchtigten Seouler Nobel-Bezirk Gangnam. Es versteht sich, dass Jongsu in diesem ungleichen Wettbewerb denkbar schlechte Karten hat…

Doch will Haemi, die sonst kaum soziale Bindungen hat und von ihrer Familie verstoßen wurde, am liebsten beide junge Männer gleichzeitig als Freunde (und offenbar auch als Liebhaber) behalten. Ben, der oberflächliche und egomanische Yuppi, der seinerseits Kontakte zu vielen weiteren jungen Damen unterhält, sieht das alles ganz locker, während Jongsu von nun an Höllenqualen der Eifersucht erleidet. Immer wieder treffen sie sich zu dritt, mal in Bens durchgestylter Wohnung, mal auf Jongsus schäbigem Bauernhof, wo sich Haemi in der Abendsonne ihrer Kleidung entledigt und ihren beiden Verehrern nackt etwas vortanzt. (Die schockierende Wirkung solcher Bilder im streng konfuzianischen Korea lässt sich leicht vorstellen…) Beiläufig berichtet Ben noch von seinem bizarren Hobby, ab und zu ein Gewächshaus auf dem Lande anzuzünden. Bis zum Ende des Films wird nicht klar, ob er dies womöglich nur erfunden hat.

Plötzlich ist Haemi spurlos verschwunden und weder für Jongsu noch für Ben erreichbar. Jongsu verdächtigt (ohne dies jemals auszusprechen) Ben, ihr etwas angetan zu haben. Doch aus verschiedenen Quellen erfährt er, dass Haemi wohl erhebliche Kreditkartenschulden angehäuft haben soll, weshalb sie auch aus diesem Grunde schlicht untergetaucht sein könnte. Die Suche nach der verschwundenen Haemi wird nun für Jongsu zur großen Obsession. Doch hilft ihm alles Träumen und Masturbieren und Spekulieren und Spionieren nichts. Haemi taucht nicht wieder auf. Das Ende des Films, in dem sich Jongsus angestauter Groll entlädt, soll hier allerdings nicht verraten werden. Und vielleicht hat er es sich, wofür gewisse Indizien sprechen, ja auch nur vorgestellt, und es ist bereits ein Teil seines Romans… Kurzum: ein starker, ein sehenswerter Film.

Burning
Südkorea 2018
148 Minuten
Regie: Lee Chang Dong
Drehbuch, Oh Jung Mi, Lee Chang Dong
Darsteller: Yoo Ah In (Lee Jongsu), (Ben), Jeon Jong Seo (Shin Haemi)

Veröffentlicht von on Juni 24th, 2019 und gespeichert unter DRUM HERUM, RECHT CINEASTISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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