Deutsche Juristenbiographien, Teil 31: Otto Geßler (1875-1955)
Matthias Wiemers
Der schwäbische Soldatensohn Otto Geßler, ein Anhänger der Monarchie auch in der Weimarer Republik, war dennoch eine Stütze des Parlamentarischen Systems nach der Weimarer Reichsverfassung. Seine Autobiographie bietet eine seltene Darstellung der Regierungspraxis nach Aufhebung der Monarchie.
Am 6. Februar 1875 wird Otto Geßler als Sohn eines Unteroffiziers im schwäbischen Ludwigsburg geboren. Der als Wachtmeister bei der Artillerie tätige Vater hat, als Bauernsohn, an den deutschen Einigungskriegen von 1866 und 1870/71 teilgenommen.
Der einzige Sohn Otto besucht zunächst die Volksschule und dann das Gymnasium. Schlechte Noten vor allem im Griechischen veranlassen den Vater, den Sohn von der Schule zu nehmen und in eine Schusterlehre zu geben. Schon nach kurzer Zeit bittet der Sohn den Vater, zurück auf das Gymnasium zu gehen, das der Vater von seinen Ersparnissen aus 23 Dienstjahren finanzieren muss. Die weitere Schulkariere glückt, wenn auch nicht mit überragenden Ergebnissen. Das seitens der Eltern in Aussicht genommene Berufsziel eines Pfarrers liegt dem Sohn nicht, und so beginnt er 1894 in Erlangen ein Rechtsstudium. Nach drei Semestern mäßigen Studiums geht es nach Tübingen, ein Semester später nach Leipzig. Erst im Wintersemester in Leipzig findet Geßler den Weg zum juristischen Studium, hört u. a. bei Rudolf Sohm und Karl Binding. Zum neuen Semester und zum Abschluss des Studiums nach Erlangen zurückgekehrt, legt Geßler 1898 sein Erstes Examen ab, das mit dem Prädikat „hervorragend befähigt“ benotet wird.
Es folgt der Wehrdienst als „Einjährig-Freiwilliger“ in Lindau am Bodensee, in Bayern. Bereits Ende September 1899 erfolgt die Ausmusterung aufgrund einer gesundheitlichen Beeinträchtigung, als Offiziersanwärter. Kurz nach Ende des Militärdienstes promoviert Geßler in Erlangen über ein Thema aus dem Staatsrecht (Budgetrecht) mit der Note „summa cum laude“. Die praktische jur. Ausbildung beginnt sodann in Lindau und endet in München. Nebenher bei einem Rechtsanwalt zu arbeiten, wurde damals üblich, und ein Anwalt bietet Geßler noch vor Verkündung der Ergebnisse des Zweiten Staatsexamens 1903 den Eintritt in seine Kanzlei an. Die in Aussicht genommene Anwaltskariere wird aber schon kurz darauf beendet, weil Geßler in das bayerische Justizministerium berufen wird, weil man festgestellt hat, dass er von 183 Examenskandidaten die Nr. 7 ist. Geßler, der gerne in München bleibt, nimmt an.
Aus Dankbarkeit für die vom Vater erbrachten finanziellen Opfer spart nun der Sohn und ermöglicht es dem Vater somit, einen Bauernhof in Lindenberg im Allgäu zu erwerben. 1904 erfolgt die Beförderung auf die Stelle als III. Staatsanwalt beim Landgericht Straubing. Inzwischen parteipolitisch bei den Liberalen engagiert, bewirbt sich Geßler schon bald auf eine gut dotierte Stelle beim städtischen Münchner Gewerbegericht. Ein Wechsel in die Münchener Stadtverwaltung scheitert am Widerstand der eigenen Partei, aber dafür wird Geßler 1910 zum Ersten Bürgermeister von Regensburg gewählt, wo er ein Reformer wird und – spätestens seit dem Wechsel an die Spitze der wesentlich größeren Stadt Nürnberg im Jahre 1913 – zu den bedeutenden Oberbürgermeistern der Jahrhundertwende gerechnet werden kann, die damals Industrialisierung und Bevölkerungswachstum in den Städten zu bewältigen haben. Die Oberbürgermeisterzeit in Nürnberg währt von Anfang 1914 bis Oktober 1919. in dieser Zeit sind die besonderen Herausforderungen von Lebensmittelknappheit und kriegswirtschaftlichen Anforderungen zu bewältigen. Inzwischen Mitglied der neugegründeten Deutschen Demokratischen Partei (DDP), die in zahlreichen Reichsregierungen der Weimarer Republik beteiligt ist, nimmt Geßler im Oktober 1919 zunächst das Amt eines „Wiederaufbauministers“ an. Im Gegensatz zum ähnlich betitelten Ministerium nach dem Zweiten Weltkrieg, dient dieses nicht dem Wiederaufbau zerstörter Städte, sondern der Wiedererrichtung der durch den Krieg zerstörten weltweiten Wirtschaftsbeziehungen. Bereits im März wird Geßler Reichswehrminister und bleibt es bis zum Januar 1928. Aus seiner Partei ist Geßler, der zeitweilig auch Reichstagsmitglied ist, schon 1927 ausgetreten. Er kann sich nur so lange im Amt halten, weil er als weitgehend überparteilicher Fachmann gilt. Eine Kandidatur als Nachfolger des Reichspräsidenten Ebert scheitert im Jahre 1925 jedoch. In den Restjahren der Weimarer Republik ist Geßler Präsident des Volksbundes deutsche Kriegsopferfürsorge wie des Bundes zur Erneuerung des Reichs und zieht sich sodann ins Privatleben in Lindenberg zurück. In Kontakt zu Widerstandskreisen, wird Geßler nach dem Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 für einige Monate im KZ Ravensbrück interniert, kommt aber im Februar 1945 frei. Nach dem Krieg stellt sich Geßler dem Bayerischen und Deutschen Roten Kreuz als Präsident zur Verfügung und ist zeitweise auch Mitglied des Bayerischen Senats. Mit dem späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss ist Geßler Jahrzehnte befreundet.
Am 24. März 1955 stirbt Otto Geßler in seiner Lindenberger Heimat.
Quelle: Otto Geßler, Reichswehrminister in der Weimarer Zeit, herausgegeben von Kurt Sendtner, Stuttgart 1958