Das einzig umstrittene EoC-Album

Sentimentale Betrachtungen nach 27 1/2 Jahren

Thomas Claer

Von Element of Crime mag man entweder alles oder nichts. Darüber wenigstens herrscht wohl noch weitgehende Einigkeit. Nur über ihr siebtes Studio-Album mit dem klangvollen Titel „An einem Sonntag im April“ gehen die Meinungen, selbst unter eingefleischten EoC-Anhängern, bis heute erheblich auseinander…

Für mich jedenfalls war diese Platte, damals, im Frühjahr 1994, eine riesige Enttäuschung. Mit „Weißes Papier“ hatte es bei mir 1993 angefangen, dann besorgte ich mir das zwei Jahre zuvor erschienene „Damals hinterm Mond“ und war bereits zum ehrfürchtigen Bewunderer dieser Musik und insbesondere auch ihrer stets hintergründigen Texte geworden. Klar, so mit Anfang 20 ist man ja oftmals sehr begeisterungsfähig… Doch während ich noch damit beschäftigt war, mir das englischsprachige Frühwerk dieser Band zu erarbeiten und auch dabei Songperlen in großer Zahl entdeckte, ging bereits ihre dritte deutschsprachige Platte an den Start. Beim ersten Hören fiel ich dann aber leider aus allen Wolken. Schlagerhaft und seicht kamen die neuen Songs mir vor. Was hatte dieses saft- und kraftlose Zeug mit der Band zu tun, die ich so ins Herz geschlossen hatte?! Immerhin, die zweite Hälfte des Albums wurde dann etwas besser, und mit „Im vorigen Jahr“ war sogar noch ein richtig starker Titel dabei. Aber alles andere war für mich nur schwer zu ertragen. Umso irritierender allerdings war es für mich, dass die Platte in den seinerzeit noch sehr einflussreichen Musikzeitschriften durchweg hervorragende Kritiken bekam. War denn vielleicht mit mir etwas nicht in Ordnung?!

Im Laufe der Jahre wurde mein Urteil dann allerdings zunehmend milder. Auch wenn der „Sonntag im April“ bei weitem nicht mit den Vorgänger- und Nachfolgeralben der Elements mithalten konnte, so sah ich ihn doch immer mehr als interessanten Exkurs in stilistisch abgelegene Gebiete mit ganz eigenem Charme. Und das besagte „Im vorigen Jahr“ mit seinen unwiderstehlichen Streicher-Passagen und seiner wunderbar lakonischen Beschreibung einer behutsamen Annäherung in Zeitlupe wurde sogar zu einem meiner Allzeit-Favoriten aus dem Oeuvre der Band.
Doch nun das. In ihrem aktuellen Podcast „Narzissen und Kakteen“, das in 15 Folgen Gespräche der drei maßgeblichen Protagonisten über alle ihre Langspiel-Publikationen bis zu „Lieblingsfarben und Tiere“ enthält, distanzieren sich die Musiker nunmehr scharf von dieser (aber auch nur von dieser!) Platte: Ein Schnellschuss sei der „Sonntag im April“ gewesen, die Band sei damit auf Abwege geraten, eine einzige Verirrung sei diese Platte gewesen. Und nur weniger als eine Handvoll Höhepunkte auf dieser lassen sie gelten, darunter das grandiose Streicher-Arrangement von Orm Finnendahl in „Im vorigen Jahr“. So wie ein bekannter Regisseur einmal bekundet habe, manche Filme mache man nur wegen einer einzigen Szene, seien die Streicher im „Vorigen Jahr“ also gewissermaßen diese „Szene“ im Album, das man ansonsten weitgehend vergessen könne, auch wenn es ja durchaus seine Liebhaber gefunden habe, aber diese Musik sei nun einmal wirklich nicht das, was die Band eigentlich ausmache, und auch die Texte seien ziemlich schwach…

Insofern sei es auch nicht weiter verwunderlich, dass die Band kaum jemals ein Lied von diesem Album live gespielt habe, nicht einmal „Im vorigen Jahr“, denn darin, so Sven Regener, sei ihm die Stimmlage zu tief, das könne er live einfach nicht singen. Was aber wirklich sehr schade ist! Und daher hier nun folgender Vorschlag: „Im vorigen Jahr“ wird noch einmal neu eingespielt (und später dann auch entsprechend live zum Besten gegeben), und zwar im stimmlichen Duett mit Stella Sommer von „Die Heiterkeit“, die alle tieferen Passagen übernimmt und deren Stimme mühelos bis in alle Tiefen hinabreichen dürfte. Und bei dieser Gelegenheit wird das bisher dreistrophige Lied, das sich textlich nacheinander – warum auch immer – lediglich dem Frühling, dem Sommer und dem Winter widmet, noch um eine längst überfällige vierte bzw. dann einzufügende neue dritte Strophe über die bislang zu Unrecht ausgesparte Jahreszeit Herbst ergänzt. Dafür hier ein Textvorschlag aus der Feder des Rezensenten zur freien Verwendung:

Bunte Blätter wuseln im Wind
Ein halbwegs Erwachsener stellt sich blind
Beim Drachensteigen im Herbst im vorigen Jahr
Ein altes Brett und ein Fliegerschein
Mehr brauchte es nicht, um dabei zu sein
Beim Drachensteigen im Herbst im vorigen Jahr
Wenn unsere Drachen sich zufällig trafen
Dann hast du gelächelt und ich war peinlich berührt
Denn täglich hab ich dich dort ausspioniert
Und du mich an der ganz langen Leine geführt
Beim Drachensteigen im Herbst im vorigen Jahr

Element of Crime
An einem Sonntag im April
Universal Music 1994
ASIN: B000026V8O

Veröffentlicht von on Sep 6th, 2021 und gespeichert unter SCHEIBEN VOR GERICHT. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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