Digitale Unsterblichkeit

Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen

Liebes Tagebuch,

diese Vorstellung ist schon verführerisch: Ein KI-Programm wird gefüttert mit allem, was man jemals geschrieben hat. Dazu beantwortet man hunderte Fragen zum eigenen Weltbild. Und dann wird noch einige zig Stunden lang die eigene Stimme aufgezeichnet und der KI zugeführt. Und heraus kommt – Täräh! – ein perfektes digitales Abbild von einem selbst, mit dem sich dann andere beliebig unterhalten können, als ob man es selbst wäre. Das ist Zukunftsmusik? Oh nein, das gibt es längst. Und schon bald wird es das sogar zum erschwinglichen Preis für alle geben. Fehlt nur noch, dass das eigene Parallelgeschöpf dann als Avatar im sogenannten Metaversum existiert, diesem obskuren Projekt von Mark Zuckerberg, das sich bislang allerdings als Ladenhüter erwiesen hat. Doch vielleicht kommt die Kundschaft ja irgendwann doch noch auf den Geschmack, wenn man auf diese Weise eine Art von Unsterblichkeit erlangen kann. Denn die Avatarwesen im Metaversum können potentiell ewig „leben“, brauchen weder Luft noch Nahrung, nur eine funktionierende Hardware und immer ausreichend Strom.

Der Haken daran ist natürlich, dass man es ja nicht selbst ist, sondern nur ein digitaler Stellvertreter von sich. Man selbst geht trotz allem irgendwann den Weg alles Irdischen und merkt dann nichts mehr vom Fortleben seines Abbilds. Außer es wird der Wissenschaft eines Tages auch noch gelingen, menschliche Gehirne vor dem biologischen Ableben ihrer Träger eins zu eins auf deren Avatare zu übertragen. Aber wird das dann überhaupt noch man selbst sein? Wird man sich als Avatar mit transformiertem Gehirn noch an seine frühere rein biologische Existenz erinnern können? Fragen über Fragen…

Das Schöne an diesen wundesamen technischen Innovationen ist, dass man in nicht allzu ferner Zukunft lebensechte Gespräche mit Goethe, Thomas Mann oder Albert Einstein führen können wird. Es wird interessant sein, sie zu allen möglichen Themen und Problemen unserer Zeit zu befragen. Doch das Fürchterliche ist, dass dann selbstredend auch Figuren wie Wladimir Putin oder Donald Trump nach ihrem biologischen Ableben weiterhin präsent bleiben und womöglich die Geschicke ihrer Länder in ihren dann nicht mehr physisch existenten Händen behalten könnten. Oder – noch schlimmer – Josef Stalin wieder zum Leben erweckt würde. Und natürlich früher oder später auch Adolf Hitler. Vermutlich werden das fast alle von uns noch im Prä-Avatar-Stadium erleben. Na besten Dank!

Dein Johannes

Veröffentlicht von on Jul 8th, 2024 und gespeichert unter JOHANNES, LIEBES TAGEBUCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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