Sven Regeners acht Jahre alte Vorlesung über „Humor in der Literatur“erscheint als kleines Büchlein
Thomas Claer
Vermutlich um den zahlreichen Regener-Fans die Wartezeit bis zum nächsten Lehmann-Roman zu verkürzen, ist der Galiani-Verlag auf die Idee gekommen, die im Rahmen seiner Gastprofessur an der Uni Kassel bereits 2016 vom Autor gehaltene Poetik-Vorlesung „Über Humor in der Literatur“ als schmales Bändchen herauszubringen. Dabei täuscht die Seitenzahl von immerhin 90 angesichts des sehr großen gewählten Schriftbilds sogar noch über den tatsächlich viel knapperen Umfang des Textes hinweg, zumal im Buch auch ein Anhang mit einer (noch älteren) Regener-Laudatio für den Kollegen Frank Schulz enthalten ist, aus der noch dazu im Hauptteil mehr als vier Seiten wörtlich zitiert werden. Aber schlimm ist das natürlich alles nicht. Auch nicht, dass auf dem Buchdeckel etwas hochtrabend von einem „kühnen Versuch über ein großes, fast unerforschtes Thema“ die Rede ist. Im Gegenteil muss man froh sein, dass der Verfasser auf die zahlreichen existenten Humor-Theorien nicht weiter eingegangen ist (abgesehen von einem kurzen Exkurs zu den einschlägigen Ausdeutungen Sigmund Freuds), denn bis heute hat wohl noch niemand überzeugend darlegen können, was es mit dem Lustigen und Komischen in der Welt nun wirklich auf sich hat. Das kann selbstredend auch der Romanautor und Musiker Sven Regener nicht leisten, aber ihm gelingen in seinen knappen Annäherungen und Einkreisungen der Thematik doch einige bemerkenswerte Treffer, und das vor allem bezugnehmend auf sein eigenes Romanwerk.
Ob Humor zwingend eine, wie es bei Regener heißt, „kalte Technik, herz- und mitleidlos“ sein muss, das mag man bezweifeln. Aber sein Ansatz, dass das Witzige und Lustige eine Art der Daseinsbewältigung neben mehreren anderen wie etwa Kunst oder Religion ist und den Menschen dabei hilft, sich mit ihrer Existenz mitsamt dem Wissen um ihre eigene Vergänglichkeit zu versöhnen, das ist sicher nicht von der Hand zu weisen. Ebenso plausibel ist Regeners Humor-Begriff (anknüpfend an den legendären Kunstbegriff seines Romanhelden Karl Schmidt), wonach darunter schlichtweg alles fällt, was mindestens einen anderen Menschen zum Lachen bringt. Brauchbar ist ferner die Kategorisierung des Humors in die drei Spielarten übel, flach und gut, wobei sich hieran allerdings bemängeln ließe, dass damit eine moralische und eine qualitative sowie eine aus beidem gemischte Kategorie einander gegenübergestellt werden. Gut kann nämlich sowohl handwerklich gut gemacht (im Gegensatz zu schlecht oder mangelhaft gemacht) als auch moralisch gut (im Gegensatz zu böse) bedeuten. Würde man also auch noch zwischen diesen beiden Arten von gut differenzieren, ergäbe sich ein vierachsiges dreidimensionales Koordinatensystem mit den Polen moralisch gut und böse auf der einen und den Polen handwerklich gut und schlecht auf der anderen Ebene. Demnach gäbe es dann also auch handwerklich gut gemachten, aber moralisch verwerflichen Humor, etwa solchen, der sich gegen Schwächere oder Minderheiten richtet. Und es gäbe auch politisch korrekten Humor, der aber einfach nur flach ist. Am schlimmsten wäre, so gesehen, natürlich ein übler und zugleich flacher Humor, und die beste Variante wäre einer mit Niveau und zugleich tadelloser Gesinnung, wobei letztere allerdings auch nicht zu indiskret im Vordergrund stehen dürfte, denn das zöge dann wiederum das Niveau herab…
Doch zum Glück wird in Regeners Vorlesung gar nicht so viel theoretisiert, sondern auch ausführlich auf die veritable Problematik der missverstandenen Humorrezeption eingegangen. Immer liegt es ja auch maßgeblich am jeweiligen Leser, was in der Literatur als witzig empfunden und worüber aus welchen Gründen gelacht wird. Und der Autor hat darauf am Ende gar keinen Einfluss mehr. So werden etwa Leser, die in Herrn Lehmann eine verkrachte Existenz sehen und sich über sein ambitionsloses Bierzapferdasein lustig machen, womöglich aus ganz anderen Gründen beim lesen des Romans lachen als andere Leser, die ihn von Anfang an ins Herz geschlossen und sich vielleicht in ihm wiedererkannt haben, denn letztere lachen ja dann zugleich auch über sich selbst. Und so ist anzunehmen, dass auch eher Leserinnen und Leser mit Humor und Herz zu diesem Bändchen greifen werden.
Sven Regener
Zwischen Depression und Witzelsucht: Humor in der Literatur
Galiani Verlag Berlin, 1. Aufl. 2024
90 Seiten; 14,00 Euro
ISBN: 978-3-86971-310-6