Jahrelang hat die berüchtigte „XY-Bande“ in Neuruppin auch kirchliche Strukturen für ihre illegalen Geschäfte missbraucht
Benedikt Vallendar
Neuruppin – Wer mit Olaf Kamrath ins Gespräch kommt, könnte meinen: „Der würde auch gut in ein Kloster passen.“ Freundlich, bescheiden und für alle ein offenes Wort, der geborene Ordensmann. Doch der Eindruck täuscht. Denn einst zeigte Kamrath von sich auch eine ganz andere, hochkriminelle Seite, die den heute 56-Jährige wegen Drogenhandels mehrere Jahre ins Gefängnis gebracht hat. 2013 kam er frei und führt seither ein unbescholtenes Leben, mit Ehefrau und zwei gemeinsamen Kindern am Rande der Brandenburger Kleinstadt Neuruppin.
Fernstudium im Knast
Sein Sohn promoviere gerade, sagt Kamrath nicht ohne Stolz. Und wäre Kamrath zu anderen Zeiten jung gewesen als zu jenen chaotischen der Wendejahre, wer weiß, was aus dem freundlichen, liebenswerten Mann aus der ostdeutschen Provinz geworden wäre. Heute arbeitet Kamrath als Immobilienmakler. Seinen Abschluss legte er per Fernstudium im Gefängnis ab. Die Erlaubnis zum Studium hatte er schon bei seiner Verurteilung beantragt und dafür viel Spott geerntet. „Wollen Sie Wohnungen an Ihre Mitgefangenen verkaufen?“, hatte ihn der Vorsitzende Richter ironisch gefragt und für Gelächter im Gerichtssaal gesorgt. Doch der Richter sollte den Ehrgeiz des heimatverbundenen Brandenburgers unterschätzen. Denn heute betreiben Olaf Kamrath und seine Ehefrau Conny erfolgreich eine Verkaufsagentur für Luxuswohnobjekte in Berlin und Brandenburg.
Elend im Drogensumpf
Mit der acht Jahre jüngeren Conny ist Kamrath seit Jahrzehnten liiert und verheiratet, und damit wohl der Inbegriff dessen, was die katholische Kirche unter „Bis dass der Tod euch scheidet“ versteht. Durch dick und dünn sei Conny mit ihm gegangen, sagt Kamrath mit stockender Stimme, habe auch während der Haftjahre treu zu ihm gehalten und ihn im Gefängnis besucht. Sie habe sehr unter seinen Untaten gelitten, und fast wäre die Beziehung zu der Liebe seines Lebens in die Brüche gegangen. Er bereue sehr, was er getan habe, sagt Kamrath rückblickend; vor allem, dass er durch die Drogen so viele Menschen ins Unglück gestürzt hat, habe ihm die rechtschaffende Conny lange Zeit richtig übelgenommen. Das nage bis heute an ihm, sagt Kamrath und werde doch bei allem, was mit Koks und Co zu tun hat, so gerne ausgeblendet. Will sagen: Das grausame Elend, das durch den Konsum illegaler Substanzen über Familien, Freunde und Kollegen gebracht wird, und in der Berichterstattung darüber nur selten eine Rolle spielt.
Der Fall Olaf Kamrath, der einst als Imbissbudenbesitzer begonnen und mit seiner „XY-Bande“ kiloweise Kokain aus den Niederlanden nach Brandenburg geschmuggelt hatte, gilt bis heute als einer der spektakulärsten Kriminalfälle in der Geschichte Ostdeutschlands. Die Buchstabenkombination „XY“ hatten sich die Bandenmitglieder einst als Erkennungsmerkmal auf die Nummernschilder ihrer Autos prägen lassen. Persönliche Verbindungen zur Zulassungsstelle machten es möglich.
Fußball und Pfarrfeste
Das Kuriose am Fall Kamrath: Als Opfer waren darin auch die beiden christlichen Kirchen involviert, da es die Bande über CDU-Seilschaften meisterhaft verstanden hatte, vielerorts Kontakte zu knüpfen und sich als Saubermänner zu präsentieren; wozu die zeitweilige Präsidentschaft in einem lokalen Fußballverein ebenso gehörte wie Geld-und Sachspenden an karitative Einrichtungen und das „Sich-blicken-Lassen“ auf Pfarr- und Gemeindefesten, was Kamrath und Komplizen ein Stückweit die Aura der Unangreifbarkeit verlieh. Ob er spezielle Bezüge zum christlichen Profil der CDU habe? Kamrath räumt ein, erst im Gefängnis über einen Anstaltsgeistlichen mit dem Glauben in Berührung gekommen zu sein. Und erst später erlebt habe, dass Religion, die Rückbindung an Gott dem Menschen Halt und Geborgenheit bietet; vor allem in schwierigen Lebenslagen, die Kamrath als jahrelangen Alptraum erlebt hat, eingepfercht auf wenigen Quadratmetern, umgeben von Mördern, Messerstechern und psychisch kranken Mithäftlingen. Parallel zu seinen Drogengeschäften war Kamrath auch jahrelang als Zuhälter und Menschenhändler im Rotlichtgewerbe unterwegs gewesen, waren ihm die seelischen und physischen Nöte der anschaffenden Frauen aus Osteuropa schlichtweg egal gewesen.
In der katholischen Pfarrei der Heiligen Gertrud von Helfta in Neuruppin hält man sich indes bedeckt. Der örtliche Pfarrer verweist darauf, dass er zum Zeitpunkt der Verbrechensserie noch „nicht im Dienst“ gewesen sei und daher zu den Vorgängen „nichts sagen“ könne. Unterschwellig ist jedoch zu spüren, dass die Unverfrorenheit der Täter auch hier ihre Spuren hinterlassen hat; will sagen: die Enttäuschung darüber, als Gemeinde missbraucht worden zu sein, um Geschäfte anzubahnen, die viel Leid über Menschen, Familien und Partnerschaften gebracht haben.
Nur durch Zufall übrigens ist die Sache mit den Drogen ans Licht gekommen. Als eine junge Frau bei einem Polizeieinsatz einen Neuruppiner Beamten als bezahlten Zuträger und Informanten der XY-Bande identifizierte und die anschließenden Ermittlungen offenlegten, was in der idyllischen Kleinstadt kaum wer für möglich gehalten hätte.