Justament-Klassiker: Pinars Tagebuch, März 2008
Aus dem Tagebuch einer Rechtsreferendarin
Liebes Tagebuch,
letzte Woche ist bei mir eine schicke Einladung ins Haus geflattert. Schon am Umschlag war dies deutlich erkennbar, da er deutlich schwerer wog und viel edler war als der restliche Inhalt meines Briefkastens. Es war eine Einladung zum Tag der Justiz vom Ministerpräsidenten des Landes persönlich. Zwar wurde die Veranstaltung bereits im Vorfeld über das Landgericht angekündigt, aber mit einer persönlichen Einladung hatte ich nicht gerechnet. Was für eine Ehre dachte ich mir, dass ich in meiner Funktion als Mitglied des Sprechervorstands an solch einer Veranstaltung teilnehmen darf.
Nach über zwei Stunden im Stau kamen wir endlich am Veranstaltungsort an. Überall wimmelte es von aufgeregten Referendaren, die auch zu dieser Veranstaltung eingeladen waren. Es war wirklich sehr aufregend. Schließlich wollte sich der Ministerpräsident des Landes endlich einmal Zeit für die Belange von Rechtsreferendaren nehmen. Vor Ort erfuhren wir, dass auch Studenten der Rechtspflegerfachhochschulen und Notaranwärter eingeladen worden waren. Wir saßen alle ganz erwartungsvoll da, als der Ministerpräsident den Raum betrat und einen halben Meter von unserer Nase entfernt Platz nahm. Die Ausbildungsleiter der Landgerichte in unserem Bezirk waren auch anwesend. Aber dieses Mal war ausnahmsweise nicht deren Meinung gefragt. Sie waren nur als Zuschauer anwesend, auch wenn es ihnen sichtlich schwer fiel, keine Fragen an Herrn O. zu stellen.
Im übelsten Dialekt legte Herr O. los und begrüßte uns. Einige von uns, die nicht aus der Region stammten, hatten Probleme ihn zu verstehen und wunderten sich noch nachträglich darüber, dass O. nicht in der Lage war, einen einzigen Satz auf Hochdeutsch zu sprechen.
Nun ja, alle unsere Erwartungen wurden ziemlich enttäuscht. Obwohl wir so viele waren und aufgrund unserer differierenden Tätigkeitsfelder ganz andere Anliegen hatten, dauerte der Frage-und-Antwort- Teil nur 15 Minuten. Davon ging natürlich die meiste Zeit für umständliche und Um-den-heißen-Brei-rede-Antworten drauf. Die Antworten enthielten nur Plattitüden und waren weder hilfreich noch informativ. Immer wenn ihm zu einer Sache nichts einfiel, rief er seiner Assistentin zu, dass sie sich die Adressen der Fragesteller notieren solle und er die Sache überprüfen werde. Außerdem riet er uns dazu, dass wir uns nicht nur Jobs auf dem juristischen Arbeitsmarkt suchen sollten, sondern auch wie er in die Politik gehen könnten. Wir alle hielten dies für einen Scherz und lachten herzhaft, bis wir von ihm unterbrochen wurden und er uns erklärte, dass er dies ernst meine. Daraufhin sprach er meinen Kollegen aus dem Vorstand an: „Sie, junger Mann, sie sehen doch gut aus. Werden sie doch Bürgermeister.“ Alle anwesenden konnten sich nicht mehr halten und brachen erneut in Lachen aus. Na, wenn gutes Aussehen dafür ausreichend ist, gibt es sicherlich noch zahlreiche andere Interessenten an einem Bürgermeister-Posten. So endete unsere kurze Fragezeit. Besonders verärgert waren diejenigen, die noch Fragen stellen wollten und wegen der kurzen Redezeit nicht zu Wort kamen. Diejenigen, die Antworten bekommen hatten, waren aber auch nicht wirklich zufriedener. „Der interessiert sich doch überhaupt nicht für unsere Belange. Der wollte lediglich seinen Pflichttermin runterreißen“, riefen einige erbost.
Damit die Anreise nicht gänzlich umsonst war, stürzten wir uns alle auf das wirklich leckere Büffet und palaverten über unsere künftigen Politikerkarrieren.
Deine Pinar
Anmerkung der Redaktion: Wer errät, um welchen damaligen Ministerpräsidenten es sich handelte, kann dies der Redaktion unter justament@lexxion.de mitteilen. Unter den richtigen Einsendern verlosen wir hochwertige Buchpräsente. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen!
Noch ein kleiner Tipp: Dieser Politiker legt besonderen Wert darauf, dass jeder gut Englisch sprechen kann, und hat – um mit gutem Beispiel voranzugehen – seinerzeit die folgende Rede gehalten: