Der Anfang vom Ende

Aus dem Tagebuch eines Jurastudenten

Liebes Tagebuch,

mein alter Freund. Wie lange kennen wir uns schon? Zwei Jahre? Mein Gott wie die Zeit vergeht. Wollte ich nicht schon vor einem halben Jahr mein Examen schreiben? Ja. Aber ich habe es nicht getan. Der nächste Termin ist dafür meiner. Ich habe mich angemeldet. Und wie lange studiere ich schon? Bald sechs Jahre. Warum hat das denn so lange gedauert? Ein leidiges Thema. War nicht vieles auch richtig gut am Studium? Ich habe viele Rechtsmaterien kennengelernt, deren richtige Pflege für unsere Gesellschaft nicht zu unterschätzen ist. Und ich werde den Rest meines Lebens wahrscheinlich daran teilhaben dürfen.
Und während des Studiums? Du glaubst gar nicht, wie viele Freunde ich gefunden habe. Richtig gute Menschen. Leute die mich ernst nehmen und gleichzeitig den nötigen Humor haben, wenn ich zu ernst bin. Viele sind schon weggezogen und haben mit dem Referendariat begonnen. In meinem Freundeskreis vor Ort sind wir weniger geworden. Manchmal wird es dadurch sogar langweilig.
Waren wir nicht richtig klein, als wir anfingen zu studieren? Mann, was haben wir am Anfang noch unter der Woche gefeiert, als wäre das völlig normal. Haben wir die älteren Studenten nicht ausgelacht, als sie vor dem Examen immer früher zu Bett gingen? War es nicht sehr schwer neben all den vielen Angeboten der Universität, sich irgendwann auf das Jurastudium zu konzentrieren? Mir fällt gerade auf, dass mir schon lange kein Baumwollpulli mehr in der Wäsche eingegangen ist. Den Müll bringe ich auch nach draußen und mein Geschirr wasche ich regelmäßig ab, wenn auch noch nicht sofort. Vieles hat sich geändert, und ich muss ein wenig darüber lachen, dass ich erwachsener geworden bin.
Wenn ich dieser Tage mit meinen Freunden etwas unternehme, lerne und diskutiere, dann merke ich, dass ich sie vermissen werde, wenn ich mit dem Referendariat in einer anderen Stadt anfangen werde. Keine Angst, ich weine nicht. Meine Augen sind nur glasig, wegen des Heuschnupfens, weil dieses Jahr vieles so früh aufblüht. Gleichzeitig freue ich mich darüber, dass das Studium endet. Ich habe herausgefunden, dass ich kein großer Wissenschaftler bin und dass ich praktisch arbeiten möchte.
Auch wenn ich mit dem Studium lange gebraucht habe, gebe ich vor diesem Hintergrund Gottfried Keller Recht, der in seinem Gedicht „Die Zeit geht nicht“ (1883) schrieb: „Es blitzt ein Tropfen Morgentau/ Im Strahl des Sonnenlichts;/ Ein Tag kann eine Perle sein/ Und ein Jahrhundert nichts.“

Mit lieben Grüßen

Dein Alex

Veröffentlicht von on Apr. 21st, 2014 und gespeichert unter ALEX, LIEBES TAGEBUCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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