Recht cineastisch, Teil 34: „Adam und Evelyn“ von Andreas Goldstein
Thomas Claer
Das Leben in Diktaturen ist, wie jeder weiß, kein Zuckerschlecken. Doch selbst dort kann man sich mitunter ganz behaglich einrichten, womöglich sogar ein kleines privates Paradies erschaffen. Adam (Florian Teichtmeister), die Hauptfigur in Andreas Goldsteins Debüt-Film „Adam und Evelyn“ nach dem gleichnamigen Roman von Ingo Schulze (2008), hat es nicht schlecht getroffen. Als freischaffender Damen-Konfektionsschneider in einer DDR-Kleinstadt kann er weitgehend tun und lassen, was er will. Die Staatsmacht kommt ihm, der politisch indifferent und ambitionslos ist, nicht in die Quere. Seine Aufträge kann er sich aussuchen, denn die sozialistische Mangelwirtschaft mit ihren potthässlichen Bekleidungs-Erzeugnissen aus den volkseigenen Betrieben sorgt für zuverlässige Nachfrage seiner Kundinnen nach hübschen und kunstvoll individuell geschneiderten Klamotten. Außerdem hat Adam mit der 28-jährigen Kellnerin Evelyn (er selbst ist schon einige Jahre älter) eine bildhübsche Freundin an seiner Seite und unterhält darüber hinaus noch erotischen Kontakt zu einer seiner Kundinnen, was sich wiederum besonders gut mit seinem Hobby verträgt, der Fotografie weiblicher Akte. Und so sitzt er nun tagaus, tagein entweder nähend in seinem idyllischem Garten oder Fotos entwickelnd im dunklen Keller seines großen, alten Hauses, das er nach dem Tod seiner Eltern gemeinsam mit Evelyn bewohnt. Doch irgendwann läuft Evelyns Eifersucht aus dem Ruder und bringt so eine Lawine ins Rollen. Hinzu kommt, dass wir uns im Wende-Jahr 1989 befinden. Niemand unter den fünf Protagonisten, die ihren Sommer-Urlaub am Balaton in Ungarn verbringen (neben Adam und Evelyn sind noch deren Freundin und Kollegin Simone, deren angeberischer West-Cousin Michael und Adams zur Republikflucht entschlossene Bekanntschaft Katja mit von der Partie), ahnt etwas von den grundstürzenden politischen Ereignissen, die unmittelbar bevorstehen. Und die sich bald auch mit den Liebeskonfusionen unter den Hauptpersonen verschränken…
Dem bereits 55-jährigem Film-Newcomer Andreas Goldstein, einem (weiteren) Sohn des DDR-Funktionärs Klaus Gysi, gelingt es über weite Strecken, die ganz eigentümliche Atmosphäre aus Ingo Schulzes vielschichtigem und anspielungsreichem Roman (mit hintergründig- ironischer BIBEL-Metaphorik) einzufangen. Zwar wirken die Figuren manchmal ein wenig hölzern und die Kameraführung etwas statisch, doch passt gerade dies gar nicht schlecht zu den dargestellten Ostdeutschen jener Zeit. Gut getroffen ist auch der „Besserwessi“ Michael, ein Biologe aus Hamburg, der mit dickem Auto und noch dickerer Brieftasche (und dabei einen FDP-Spruch nach dem anderen raushauend) vorübergehend Eindruck auf schöne Ost-Frauen wie Evelyn macht. Und besonders gelungen sind – wie schon in der Romanvorlage – die Dialoge zwischen den Beteiligten. Kostprobe: „Ist schon schlimm“, sagt Michael, „dass ihr im Osten so eingesperrt seid. Ihr kriegt ja gar nichts von der Welt zu sehen.“ Darauf Adam: „Also ich kriege immer eine Menge zu sehen, dazu muss ich nicht mal meinen Garten verlassen…“ Kurzum, eine gelungene und sehenswerte Roman-Adaption.
Adam und Evelyn
Deutschland 2018
1 Stunde 40 Minuten, FSK: 0
Regie: Andreas Goldstein
Drehbuch: Andreas Goldstein, Jakobine Motz
Darsteller: Florian Teichtmeister (Adam), Anne Kanis (Evelyn), Lena Lauzemis (Katja),Milan Zerzawy (Michael), Christin Alexandrow (Simone) u.v.a.