Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen
Liebes Tagebuch,
vor langer Zeit habe ich mich einmal in einen Schreibstil verliebt. Damals, ich war wohl etwa Ende zwanzig, hatte ich schon seit einigen Jahren die Süddeutsche Zeitung abonniert. Und dort schrieb im Feuilleton neuerdings regelmäßig eine Autorin mit klangvollem Namen. Mir gefielen ihre Texte auf Anhieb. Ihr Sprachstil war witzig, ironisch und immer sehr lebendig. Bald stellte ich mir die Verfasserin als eine attraktive blonde junge Dame vor. Dabei stehe ich gar nicht unbedingt auf Blondinen, aber diese Vorstellung schien mir offenbar am besten zum wohlklingenden Namen und zum bezaubernden Schreibstil jener Autorin zu passen. Mit dem Internet war es damals noch nicht so weit her. Daran, jemanden einfach mal zu googeln, war seinerzeit noch nicht zu denken. So lebte ich also weiter in meiner Vorstellung und freute mich jahrelang immer wieder sehr darüber, wenn ich im SZ-Feuilleton einen neuen Beitrag meiner Favoritin entdeckte.
Doch welche Enttäuschung musste ich erleben, als meine vermeintliche Lieblingsfeuilletonistin eines Tages als Gast in einer Fernsehtalkshow angekündigt wurde. Natürlich schaltete ich extra zu dieser Zeit den Fernseher ein. Und konnte dann gar nicht recht glauben, was ich dort sah: Mein Zeitungs-Liebling war nämlich weder blond noch eine Frau, sondern vielmehr ein dunkelhäutiger Mann. Sein Name: Ijoma Mangold, heute Leiter des Literaturteils der ZEIT, geboren in Heidelberg und aufgewachsen in Dossenheim als Sohn einer deutschen Mutter und eines nigerianischen Vaters. Zwar habe ich seine Texte auch seitdem noch jederzeit gerne gelesen, allerdings wohl doch mit einer gänzlich anderen Erwartungshaltung, gewissermaßen mit anderen Augen. Denn irgendwo, das muss ich zugeben, war es beschämend für mich, so vor Augen geführt zu bekommen, welche Streiche einem die überschießende eigene Phantasie nur allzu leicht spielen kann. Aber wir sind nun einmal immer auch sinnliche Wesen. Und vor allem zeigt sich darin doch, welche Macht die Kombination eines schönen Namens und eines eleganten Schreibstils zu entfalten vermag – sobald sie nur auf eine dafür empfängliche Einbildungskraft trifft…
Dein Johannes