Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen
Liebes Tagebuch,
so eine geheime und anonyme Kolumne zu haben, ist schon etwas Tolles. Man kann darin endlich einmal und sogar unerkannt über Dinge schreiben, die man sonst nie im Leben öffentlich gemacht hätte. Und dennoch hätte ich das, was ich jetzt schreibe, niemals zu schreiben gewagt, wenn ich nicht vor kurzem zufällig über einen kleinen Text aus den frühen Neunzigern von Max Goldt gestolpert wäre. Max Goldt? Ex-NDW-Star mit Foyer des Arts („Wissenswertes über Erlangen“), langjähriger Titanic-Satiriker und ansonsten vielgelobter Schriftsteller (u.a. häufiger von Gustav Seibt in der Süddeutschen Zeitung). Endlich habe ich mal ein Buch von Max Goldt, dachte ich erfreut, als ich ein solches aus der Bücherbox gefischt hatte, und legte es mir zu Hause auf den Schreibtisch. Doch wie groß war meine Enttäuschung bei der späteren Lektüre dieser „Ausgesuchten Texte 1991-1994“. Ich las ein paar Seiten vorne, ein paar hinten, ein paar in der Mitte: Mit nichts davon konnte ich etwas anfangen. Beinahe wollte ich den schmalen Band schon wieder zurück zur Bücherbox bringen, da entschied ich mich abschließend dazu, auch noch dem Beitrag „Die rot-blaue Luftmatratze“ eine Chance zu geben. Doch was darin stand, hat mich dann regelrecht umgehauen:
„Die Menschen wissen heute nicht mehr, wie man sich wäscht. Bis vor fünf Jahren wusste ich es auch nicht, doch dann lernte ich Personen in der DDR kennen. Sie hausten in verfallenen Bauten aus der Kaiserzeit. Duschen und Wannen gab es darin keine. `Wie wascht ihr euch denn?`, fragte ich. Man erklärte es mir, und ich werde dieses Wissen im weiteren Verlauf meiner Ausführungen ohne Scheu verbreiten, weil es wichtig ist.
Duschen oder gar baden sollte man ohnehin nur vor Arztbesuchen, wenn man bei einer neuen Liebschaft antritt, vor kirchlichen Feiertagen oder einer militärischen Musterung. Wer es öfter tut, frönt dem Laster der Verschwendung und riskiert Erkrankungen der Haut. Was viele Hautärzte noch immer nicht wissen bzw. zwar wissen, aber den Patienten nicht weitererzählen, ist dies: 50 Prozent, wenn nicht 70 bis 75 Prozent, wahrscheinlich sogar 90 Prozent, in einigen Regionen sogar 95 Prozent aller Hautkrankheiten haben ihre Ursache in der verweichlichten Unsitte des täglichen Badens oder Duschens. Es gibt zahlreiche Körperstellen, aus denen kaum jemals Sekrete quellen. Es gibt kein Ellenbogenschmalz, der Rücken gibt keine Exkremente von sich, und die Schweißabsonderung von Waden und Oberschenkeln ist normalerweise gering. Es ist daher absurd, diese Körperteile ständig einzuweichen und mit aromatisierten Schmierseifen zu behandeln. Was also ist zu tun? Hier mein Vorschlag: (…)
Der Menschen Erfahrungsschatz lehrt, dass es lediglich vier Körperstellen gibt, die einen Hang zu beschleunigtem Stinken haben. Hat man längere Zeit enge Schuhe getragen, erhöht sich die Anzahl auf sechs. Nur diese Stellen muss man regelmäßig reinigen, und damit auch Hinterwäldler wissen, was gemeint ist, möchte ich diese Stellen nun aufzählen: Achsel (links), Achsel (rechts), Fuß (links), Fuß (rechts) und dann noch zwei. (…)
Mit meinen Ratschlägen zur sowohl öko- als auch dermatologisch sinnvollen Körperpflege möchte ich fortfahren, indem ich ein nützliches und preiswertes Requisit der drohenden Museumsreife entreiße. Waschlappen heißt das Gerät. Zuerst befeuchtet man die Achseln, schmiert etwas Seifenschaum rein, und dann kommt der Waschlappen. Desgleichen verfährt man mit den Körperstellen, denen ich vorhin mit `noch zwei`die Vorzüge diskreter Ummantelung verlieh. Erst vorne, dann hinten. Das Ganze dauert zwei Minuten, und man hat gerade zwei Liter Wasser verbraucht. Immer bedenke man: Nur das Wasser, das die Ahnen nicht verduschen, kann die durstigen Kehlen der Enkel befeuchten. Diese Waschmethode, die vom Duschwahn befallene als `Katzenwäsche` diffamieren, hat noch andere Vorteile… (…)
Was der Umwelt dienlich ist, sind nur in zweiter Linie Waschmittel, auf deren Verpackungen Störche, Frösche oder andere Sympathietiere abgebildet sind. Wichtiger wäre es, den Menschen ihre krankhafte Etepetete-Hygiene abzuerziehen. Wer kennt nicht die grausamen Eltern, die ihrem Kind verbieten, Sachen in die Hand zu nehmen, mit dem Argument: `Wer weiß, wer das schon alles angefasst hat!` Man denke auch an die Millionen Tonnen von Reinigungsmitteln, die Damen verschwenden, denen von `Hausfrauenverbänden`, welche in Wirklichkeit verkappte Lobbys der chemischen Industrie sind, eingeredet wurde, ihr Dasein sei ein vollwertiger Beruf, und die infolgedessen alle fünf Minuten die Fenster putzen, Kacheln polieren und mit schaumsprühenden Dampfwalzen auf ihren Teppichen herumfahren. Die Öko-Spots im Fernsehen brauchten durchaus nicht zu zeigen, dass man keine Kühltruhen in den Wald wirft. Das ist so, als ob man Spots darüber zeigt, dass es sich nicht gehört, Leute zu erschießen. Was die Öko-Spots vermitteln sollten, ist, dass jeder, der z.B. täglich seine Unterwäsche wechselt, ein Ferkel ist, das sich schämen sollte. Es mag einige undichte und stark sekretierende oder körperlich schwer arbeitende Außenseiter geben, bei denen sich ein Leibwäschewechsel nach zwei Tagen empfiehlt. Beim normalen Menschen ist er erst nach vier Tagen geboten. Eher riecht es nicht durch die Oberbekleidung durch. Fazit: Kleiderwechsel erst kurz vor der Stinkschwelle! Und es dauert sehr lange, bis eine Jeans stinkt! Bei einem verschwitzt riechenden Oberhemd reicht es oft aus, es zwei Tage zu lüften, um den Geruch loszuwerden. Solche Selbstverständlichkeiten sind heute in so große Vergessenheit geraten, dass es Epikureer geben mag, die es komisch finden, wenn man an sie erinnert. Doch es ist notwendig. TV-Prominenz sollte hier vorreiten. (…) …wenn sie sich in schmutzigen Hosen in eine Talkshow setzten und begründeten, warum sie das tun. Es wäre ein heilsamer Schock für die desinfektionssüchtige Gesellschaft. (…) Nun habe ich Stellung bezogen zu Fragen der sommerlichen Körperpflege und Kleidung. Menschen, die nicht starrköpfig sind, sondern sich zu ihrer Hilfsbedürftigkeit bekennen, werden es mir danken. (…)“ (Aus: Max Goldt – „Die rot-blaue Luftmatratze“ in: ders.: „Schließ einfach die Augen und stell dir vor, ich wäre Heinz Kluncker. Ausgesuchte Texte 1991-1994!“ (1994))
In diesem Sinne sage ich also: Danke, lieber Max Goldt! Nun ist es allerdings nicht so, dass ich aus diesem Text etwas für mich grundsätzlich Neues erfahren hätte. Wohl aber deckt er sich sehr weitgehend mit meinen eigenen Ansichten über diesen Gegenstand, worüber ich aber leider in unserer inzwischen noch weitaus mehr als damals der Etepetete-Hygiene verfallenen Zeit mit niemandem offen reden kann, ohne Gefahr zu laufen, als verabscheuenswürdiger asozialer Sonderling zu gelten. Sehr wahrscheinlich würde auch der fabelhafte Max Goldt sich heutzutage davor hüten, sich noch einmal öffentlich zu seinem grandiosen Text von damals zu bekennen – so durchdrungen ist derzeit alle Welt vom vorgeblichen Reinlichkeitswahn.
Dabei ist es doch sonnenklar, dass tägliches Duschen (bei vielen sogar im Winter!) – vor allem auch in Kombination mit teurer, schlechter Kosmetik – Hautreizungen und -krankheiten aller Art begünstigt und hervorruft, wie es ja auch bei vielen Mitmenschen in meinem Umfeld nicht zu übersehen ist. Ich erinnere mich auch noch gut daran, wie kurz nach der Wiedervereinigung – für viele überraschend – festgestellt wurde, dass Westkinder weitaus öfter als Ostkinder unter Allergien litten, und man als Ursache schließlich auf die unterschiedlichen Hygiene-Standards kam. In meiner Kindheit im Osten hatten wir in unserem Gartenhäuschen, in dem wir im Hochsommer wochenlang lebten, keine Dusche, sondern nur ein Waschbecken und zwei Schüsseln. Hat völlig gereicht, niemandem fehlte etwas. Und meine Eltern waren wohlgemerkt nicht Hippies, sondern Ärzte… Der Roman „Die Blechtrommel“ von Günter Grass beschreibt im ersten Kapitel, die sieben nach einem ausgeklügelten System übereinander gezogenen Röcke der Großmutter, von denen jeder nur alle sieben Wochen einmal gewaschen wird. Ist damals ganz normal gewesen.
Wäre es daher heute, wo eine junge Generation die ökologische Frage – Stichwort Umweltsau – für sich entdeckt hat, als stünde sie erst seit Kurzem auf der Tagesordnung, nicht endlich an der Zeit, auch einmal unsere verbreiteten Hygiene-Rituale zu hinterfragen? Allein, es wird wohl nicht passieren, weil sich niemand traut, an diesen Tabus zu rütteln und dann selbst als angeblicher Schmutzfink dazustehen. Daher sage ich es also hier nur ganz leise und unter uns, aber dafür mit Nachdruck: Es lebe die Katzenwäsche! Es! Lebe! Die! Katzenwäsche!!
Dein Johannes
P.S.: Die Hautärtztin Yael Adler im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (13.6.2020): „Die Haut reinigt und schützt sich von ganz alleine. Menschen, die sich sehr oft waschen, gerne auch noch mit einer alkalischen Seife, zerstören sich ihr Hautmikrobiom. Sie haben mehr Infekte an der Haut, Kontaktallergien, Reizungen und oft auch schlechten Körpergeruch, weil ihr Säureschutzmantel kaputt ist. (…) Der Körper ist nicht darauf angewiesen, eingeseift oder mit Peelings behandelt zu werden. Das schädigt die Haut sogar, weil es ihren Eigenschutz schwächt. Nur Wasser reicht. (…) Gesichtswasser? Völliger Unsinn. Genau wie Augencreme, Tagescreme, Nachtcreme, Bodylotion, und, und, und. Braucht man alles nicht, wenn man eine intakte Hautbarriere hat. (…) Falten entstehen in Schichten, in die keine Creme hineinreicht. (…) Die einzig sinnvolle Creme ist Sonnenschutz. (…) Je weniger wir machen, desto besser.“