Justament Debatte: Darf man Ossis diskriminieren?
Wer als Ostdeutscher mal in Westdeutschland gelebt hat, weiß, dass man sich dort so einiges anhören muss. Regelrecht freundlich gemeint sind da noch Sprüche wie „Du bist aus dem Osten? Hätte ich jetzt wirklich nicht gedacht, das merkt man dir aber echt nicht an.“ Beklagt man dann etwa die schwache Präsenz ostdeutscher Fußballmannschaften in den oberen deutschen Ligen, heißt es: „Seid doch froh, dass ihr überhaupt mitspielen dürft!“ Und nun das: Eine aus der ehemaligen Hauptstadt der DDR stammende Bewerberin bekam von einer Stuttgarter Firma mit ihrer Absage auch ihre eingereichten Bewerbungsunterlagen zurück, und auf dem Lebenslauf standen handschriftlich hinzugefügt ein eingekreistes Minus und das Wort „OSSI“. „So nicht“, dachte die Bewerberin und klagte vor dem Arbeitsgericht Stuttgart, ging dort aber leer aus. Der Vermerk könne zwar als diskriminierend verstanden werden, urteilte das Gericht am 15.4.2010. Er falle aber nicht unter die gesetzlich verbotene Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft gemäß dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), denn „Ossis“ seien kein eigener Volksstamm.
Und seitdem ist die Aufregung groß. Der Anwalt der Bewerberin hat bereits Berufung eingelegt. Mittlerweile werden in Ostalgie- und DDR-Devotionalienläden auch T-Shirts mit der trotzigen Aufschrift „(-) OSSI“ verkauft. Der Osten, so scheint es, ist kollektiv beleidigt. Sollen sich diskriminierte Frauen, Migranten, Schwule, Lesben und Behinderte mit Recht auf das Gleichstellungsgesetz berufen können, nur die Ossis sind wieder mal gekniffen?
Liebe Leserinnen und Leser, hier ist Eure Meinung gefragt. Geht das Urteil des Stuttgarter Arbeitsgerichts so in Ordnung oder hätte es durch Gesetzesanalogie bzw. verfassungskonforme Gesetzesauslegung zu einer anderen Entscheidung kommen müssen? Sollte womöglich das AGG so geändert werden, dass künftig auch die Ossis darunter fallen? Oder gehen euch die Ossis mit ihrer ewigen Jammerei einfach nur auf die Nerven? Wir bitten um zahlreiche Postings!
Die Redaktion
Also man lernt doch schon in den unteren Semestern, dass die Grundrechte eine Ausstrahlungswirkung auf alle anderen Gesetze haben. Und in Artikel 3 Abs. III GG heißt es schließlich, dass niemand wegen seiner Heimat und Herkunft benachteiligt werden darf. Insofern wäre das AGG verfassungskonform so auszulegen gewesen, dass es auch für Ossis gilt.
Das wäre eine amüsante Vorlage an den EuGH geworden:
„Ist der Begriff der „ethnischen Herkunft“ in Artikel 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (Amtsblatt Nr. L 180 vom 19/07/2000 S. 22 – 26) dahingehend auszulegen, dass darunter auch Populationen von Menschen fallen, die durch ihre Herkunft, ihre Geschichte, ihre Kultur, durch ihre Verbindung zu einem spezifischen Territorium und durch ein geteiltes Gefühl der Solidarität verbunden sind, was sich in Tradition, Sprache, Religion, Kleidung oder in gleichartiger Ernährung ausdrücken kann, wenn diese Populationen nur wenig mehr als eine Generation, etwa 40 Jahre lang, eine unterschiedliche Entwicklung genommen haben als andere Populationen im Gebiet des Mitgliedstaats?“
Ich finde das Urteil nicht wirklich überzeugend. Die wörtliche Auslegung des Begriffes Ethnie hin oder her – hier wurde die Bewerberin offensichtlich aufgrund ihrer örtlichen Herkunft abgelehnt. Die vor Gericht genannten Gründe wie unvollständige Bewerbungsunterlagen oder schlecht qualifiziert wirken eher nachgeschoben.
Aber Juristerei hin oder her: Welcher Unternehmer ist bitte so kurzsichtig, dass er sich auf so einen Prozess einlässt? Da kann er auch bei obsiegendem Urteil nur als Verlierer vom Platz schleichen.
Und ich war in dem festen Glauben, dass es sich bei diesen Volksmusikantenstadelfernsehgarten vernarrten Leutchen wirklich um eine Spezie sui generis handelt. Jeden Abend versammeln sie sich vor ihren Westfernsehern und gucken Horrorprogramme: den MDR. Wer als Wessi da nicht mitmacht, der wird solange mit Achim Menzel CDs beworfen, bis er um Gnade fleht.
Da hat mich das Stuttgarter AG jetzt aber bitter enttäuscht und ich kann nur sagen: nachbessern! Sonst wird sich dieses kulturbeflissene Ostvolk irgendwann bitter rächen, dann wird Carmen Nebel Präsidentin des BVerfG.
Haben Sie sich mal gefragt, wie es „Wessis“ im „Osten“ gehen kann? Nicht viel anders als umgekehrt!
Bayern in Ostfriesland auch, und von den Ostfriesen – die „Ossis“ waren bis 1989 übrigens die Ostfriesen – wollen wir schweigen, die müssen regelrechte Beleidigungen über sich ergehen lassen.
Das Grundgesetz enthält keine zivilrechtlichen Anbspruchsgrundlagen. Über eine „Ausstrahlung“ oder „Einstrahlung“ kann man deshalb auch nicht das AGG um ein Tatbestandsmerkmal „regionale Herkunft“ einfach ergänzen. Das wäre dann schon dem Gesetzgeber vorbehalten.
Das AGG beruht u.a. auf einer Richtlinie der Europäischen Union. Der deutsche Gesetzgeber hat deren Erwägungen ausdrücklich in die Gesetzesbegründung aufgenommen. Dazu zählt, dass mit dem Tatbestand „Rasse oder ethnische Herkunft“ neben einer verbalen Distanzierung vom Rassebegriff – ausschließlich – der Schutz vor Rassismus gemeint ist. Entweder, man brandmarkt die Äußerung „Ossi“ deshalb als rassistisch – oder das AGG ist eben nicht anwendbar. Einen Rassismus kann man aber wohl kaum erkennen – das zeigt schon der Vergleich mit wirklich rassistischen Phänomenen. Es bliebe also nur die Tätigkeit des Gesetzgebers: Er müsste regionale Herkünfte schützen.
Aber – wäre das für das Zusammenleben von Deutschen in Deutschland gesellschaftlich wünschenswert? Können Ossis wie Wessis nicht aufrecht und selbstbewußt genug handeln, um über die für Deutschland seit jeher charakteristischen regionalen Sticheleien („Saupreiß“ in der Münchner Innenstadt oder „So kann nur ein Wessi parken“ in Postsdam Sansouci) souverän hinwegzusehen, wie die Ostfriesen das seit Jahr und Tag machen? Durchdenkt man das, kommt man zu dem Schluss, dass eine Erweiterung des AGG in diese Richtung nicht sinnvoll ist. Übrigens: Die Hype um das Urteil ist ein Medienprodukt, an welchem dem Anschein nach die Klägerin nicht ganz unschuldig ist („Ich gehen zur Bildzteitung“, ein langjähriger Werbeslogan, wurde hier vielleicht ernst genommen). Denn bereits Anfang 2009 hatte das Arbeitsgericht Würzburg eine identische Entscheidung mit fast gleicher Begründung gefällt. Die in Rede stehende Äußerung „als schwuler Ostler hast Du hier nichts zu sagen“ geht über den Sachverhalt aus Stuttgart doch wohl deutlich hinaus, zumal die Beleidigungsabsicht in Würzburg klar ist, während die beklagte Stuttgarter Firma stets betont, das Wort „Ossi“ gar nicht abwertend gemeint zu haben, was sie auch recht überzeugend begründen kann. Die Medienhype blieb völlig aus – das Würzburger Urteil ist schon lange rechtskräftig. Alle Leute, die zufällig bis oder fast bis 1989 in der DDR wohnten, als „Ethnie“ zu bezeichnen, ist doch eher befremdlich, oder? Mit einem rassistischen Begriff dieser Art verbinde ich auch z.B., dass diese Identität nicht austauschbar ist. Nur ist in der Wahrnehmung meist jemand kein Ossi, dessen Elternteil aus Leipzig ist, seit 1987 in Stuttgart lebt, wobei Elternteil B aus Kirchheim an der Teck stammt. Für Rassisten sind aber solche „ethnischen Merkmale“ vererblich, jdenfalls unterstellen sie das immer. Eine solche Betrachtungsweise gibt es in Bezug auf „Ossis“ nicht: Es ist ein diffuser Begriff.
Das Verfahren ist daher ziemlich überflüssig. Ich gebe aber zu bedenken: Die Klägerin fängt einen Prozess an. Der Beklagte kann sich nur verteidigen. Er hat es nicht in der Hand, die Sach einfach zu beerdigen.